Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

Bild:
<< vorherige Seite



be, so hätte ich auch einen Heuchler abgeben
können. Aber mein Haupt-Charackter ist so
bekannt, daß man mich auf einmal verdächtig
gehalten haben würde, wenn ich mich hätte zu
weiß brennen wollen. Doch was hätten wir
auch nöthig, uns zu verstellen? Es wäre denn,
daß der größeste Theil des schönen Geschlechts
uns wegen unsrer liederlichen Aufführung einen
Korb geben wollte. Die besten unter ihnen
wollen gern die Ehre haben, uns zu bessern.
Laß die guten Seelen es versuchen: Wenn sie
nichts ausrichten, so ist doch ihre Absicht gut
gewesen. Das wird ihr Trost seyn. Wir
aber, wir werden ein leichteres Werk haben,
und unsrer Sünden werden weniger seyn. Nur
ein wenig brauchen wir ihnen nachzuhelfen, so
werden sie sich selbst in die Falle bringen. Wir
werden ein Dutzend verfluchter Falschheiten er-
sparen, und Engeln und Menschen so in die
Augen fallen, wie wir sind. Jnzwischen wer-
den ihre eignen Grosmütter uns freisprechen,
mit ihrem: Wer was eingebrockt hat, der
muß es auch ausessen,
und ihnen vorwer-
fen, daß sie gegen ihre Einsicht gehandelt, und ge-
gen den offenbaren Anschein sich gewaget haben.
Was wäre es dann für ein Unsinn, wenn Leute
von unserm Charackter sich verstellen wollten!

Daß du mir nur die andern recht unterrich-
test, und dich selbst in Acht nimmst, unzüchti-
ge Reden zu führen! Jhr wisset, ich habe es
nie leiden können. Dazu ist Zeit genug, wenn

wir
H 2



be, ſo haͤtte ich auch einen Heuchler abgeben
koͤnnen. Aber mein Haupt-Charackter iſt ſo
bekannt, daß man mich auf einmal verdaͤchtig
gehalten haben wuͤrde, wenn ich mich haͤtte zu
weiß brennen wollen. Doch was haͤtten wir
auch noͤthig, uns zu verſtellen? Es waͤre denn,
daß der groͤßeſte Theil des ſchoͤnen Geſchlechts
uns wegen unſrer liederlichen Auffuͤhrung einen
Korb geben wollte. Die beſten unter ihnen
wollen gern die Ehre haben, uns zu beſſern.
Laß die guten Seelen es verſuchen: Wenn ſie
nichts ausrichten, ſo iſt doch ihre Abſicht gut
geweſen. Das wird ihr Troſt ſeyn. Wir
aber, wir werden ein leichteres Werk haben,
und unſrer Suͤnden werden weniger ſeyn. Nur
ein wenig brauchen wir ihnen nachzuhelfen, ſo
werden ſie ſich ſelbſt in die Falle bringen. Wir
werden ein Dutzend verfluchter Falſchheiten er-
ſparen, und Engeln und Menſchen ſo in die
Augen fallen, wie wir ſind. Jnzwiſchen wer-
den ihre eignen Grosmuͤtter uns freiſprechen,
mit ihrem: Wer was eingebrockt hat, der
muß es auch auseſſen,
und ihnen vorwer-
fen, daß ſie gegen ihre Einſicht gehandelt, und ge-
gen den offenbaren Anſchein ſich gewaget haben.
Was waͤre es dann fuͤr ein Unſinn, wenn Leute
von unſerm Charackter ſich verſtellen wollten!

Daß du mir nur die andern recht unterrich-
teſt, und dich ſelbſt in Acht nimmſt, unzuͤchti-
ge Reden zu fuͤhren! Jhr wiſſet, ich habe es
nie leiden koͤnnen. Dazu iſt Zeit genug, wenn

wir
H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0123" n="115"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
be, &#x017F;o ha&#x0364;tte ich auch einen Heuchler abgeben<lb/><hi rendition="#fr">ko&#x0364;nnen.</hi> Aber mein Haupt-Charackter i&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
bekannt, daß man mich auf einmal verda&#x0364;chtig<lb/>
gehalten haben wu&#x0364;rde, wenn ich mich ha&#x0364;tte zu<lb/>
weiß brennen wollen. Doch was ha&#x0364;tten wir<lb/>
auch no&#x0364;thig, uns zu ver&#x017F;tellen? Es wa&#x0364;re denn,<lb/>
daß der gro&#x0364;ße&#x017F;te Theil des &#x017F;cho&#x0364;nen Ge&#x017F;chlechts<lb/>
uns wegen un&#x017F;rer liederlichen Auffu&#x0364;hrung einen<lb/>
Korb geben wollte. Die be&#x017F;ten unter ihnen<lb/>
wollen gern die Ehre haben, uns zu be&#x017F;&#x017F;ern.<lb/>
Laß die guten Seelen es ver&#x017F;uchen: Wenn &#x017F;ie<lb/>
nichts ausrichten, &#x017F;o i&#x017F;t doch ihre Ab&#x017F;icht gut<lb/>
gewe&#x017F;en. Das wird ihr Tro&#x017F;t &#x017F;eyn. <hi rendition="#fr">Wir</hi><lb/>
aber, wir werden ein leichteres Werk haben,<lb/>
und un&#x017F;rer Su&#x0364;nden werden weniger &#x017F;eyn. Nur<lb/>
ein wenig brauchen wir ihnen nachzuhelfen, &#x017F;o<lb/>
werden &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t in die Falle bringen. Wir<lb/>
werden ein Dutzend verfluchter Fal&#x017F;chheiten er-<lb/>
&#x017F;paren, und Engeln und Men&#x017F;chen &#x017F;o in die<lb/>
Augen fallen, wie wir &#x017F;ind. Jnzwi&#x017F;chen wer-<lb/>
den ihre eignen Grosmu&#x0364;tter uns frei&#x017F;prechen,<lb/>
mit ihrem: <hi rendition="#fr">Wer was eingebrockt hat, der<lb/>
muß es auch ause&#x017F;&#x017F;en,</hi> und ihnen vorwer-<lb/>
fen, daß &#x017F;ie gegen ihre Ein&#x017F;icht gehandelt, und ge-<lb/>
gen den offenbaren An&#x017F;chein &#x017F;ich gewaget haben.<lb/>
Was wa&#x0364;re es dann fu&#x0364;r ein Un&#x017F;inn, wenn <hi rendition="#fr">Leute</hi><lb/>
von un&#x017F;erm Charackter &#x017F;ich ver&#x017F;tellen wollten!</p><lb/>
          <p>Daß du mir nur die andern recht unterrich-<lb/>
te&#x017F;t, und dich &#x017F;elb&#x017F;t in Acht nimm&#x017F;t, unzu&#x0364;chti-<lb/>
ge Reden zu fu&#x0364;hren! Jhr wi&#x017F;&#x017F;et, ich habe es<lb/>
nie leiden ko&#x0364;nnen. Dazu i&#x017F;t Zeit genug, wenn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><fw place="bottom" type="catch">wir</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0123] be, ſo haͤtte ich auch einen Heuchler abgeben koͤnnen. Aber mein Haupt-Charackter iſt ſo bekannt, daß man mich auf einmal verdaͤchtig gehalten haben wuͤrde, wenn ich mich haͤtte zu weiß brennen wollen. Doch was haͤtten wir auch noͤthig, uns zu verſtellen? Es waͤre denn, daß der groͤßeſte Theil des ſchoͤnen Geſchlechts uns wegen unſrer liederlichen Auffuͤhrung einen Korb geben wollte. Die beſten unter ihnen wollen gern die Ehre haben, uns zu beſſern. Laß die guten Seelen es verſuchen: Wenn ſie nichts ausrichten, ſo iſt doch ihre Abſicht gut geweſen. Das wird ihr Troſt ſeyn. Wir aber, wir werden ein leichteres Werk haben, und unſrer Suͤnden werden weniger ſeyn. Nur ein wenig brauchen wir ihnen nachzuhelfen, ſo werden ſie ſich ſelbſt in die Falle bringen. Wir werden ein Dutzend verfluchter Falſchheiten er- ſparen, und Engeln und Menſchen ſo in die Augen fallen, wie wir ſind. Jnzwiſchen wer- den ihre eignen Grosmuͤtter uns freiſprechen, mit ihrem: Wer was eingebrockt hat, der muß es auch auseſſen, und ihnen vorwer- fen, daß ſie gegen ihre Einſicht gehandelt, und ge- gen den offenbaren Anſchein ſich gewaget haben. Was waͤre es dann fuͤr ein Unſinn, wenn Leute von unſerm Charackter ſich verſtellen wollten! Daß du mir nur die andern recht unterrich- teſt, und dich ſelbſt in Acht nimmſt, unzuͤchti- ge Reden zu fuͤhren! Jhr wiſſet, ich habe es nie leiden koͤnnen. Dazu iſt Zeit genug, wenn wir H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/123
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/123>, abgerufen am 20.04.2024.