"sie wählten, gemäß fanden, oder wie es die Zu- "hörer auf die angenehmste Art rühren möchte.
"Aristoteles betrachtet die Trauerspiele, die "auf die eine oder die andere von diesen beyden "Arten geschrieben waren, und merket an, daß "diejenigen, in welchen ein unglücklicher Ausgang "der Sache vorgestellt worden, allezeit dem Volk "gefallen, und vor denen, die sich glücklich endig- "ten, in dem öffentlichen Streit der Schaubühne, "den Preiß davon getragen hätten (*).
"Schre-
(*) Dieß war zu einer Zeit, da die Unterhaltung der Schaubühne der Fürsorge der Obrigkeitspersonen empfohlen war; da die Preiße, um die man stritte, von dem Staat gegeben wurden; da folglich die Nacheiferung unter den Schriftstellern feurig war; und da die Gelehrsamkeit in der berühmten Repu- blick auf dem höchsten Gipfel der Ehre stand. Es läßt sich nicht vermuthen, daß die Athenienser in diesem Zeitalter, da ihr Geschmack und feine Sit- ten auf das höchste gestiegen waren, weniger Men- schenliebe, weniger Zärtlichkeit besessen haben sollten, als wir itzo besitzen. Allein sie fürchteten sich nicht, gerühret zu werden, und schämten sich auch nicht, sich gerührt zu bezeigen: wenn sie Unglücksfälle wohl geschildert und vorgestellt sahen. Kurz; sie waren eben der Meynung, welcher der Weiseste unter den Menschen gewesen ist, daß es besser wäre, in das
Trauer-
„ſie waͤhlten, gemaͤß fanden, oder wie es die Zu- „hoͤrer auf die angenehmſte Art ruͤhren moͤchte.
„Ariſtoteles betrachtet die Trauerſpiele, die „auf die eine oder die andere von dieſen beyden „Arten geſchrieben waren, und merket an, daß „diejenigen, in welchen ein ungluͤcklicher Ausgang „der Sache vorgeſtellt worden, allezeit dem Volk „gefallen, und vor denen, die ſich gluͤcklich endig- „ten, in dem oͤffentlichen Streit der Schaubuͤhne, „den Preiß davon getragen haͤtten (*).
„Schre-
(*) Dieß war zu einer Zeit, da die Unterhaltung der Schaubuͤhne der Fuͤrſorge der Obrigkeitsperſonen empfohlen war; da die Preiße, um die man ſtritte, von dem Staat gegeben wurden; da folglich die Nacheiferung unter den Schriftſtellern feurig war; und da die Gelehrſamkeit in der beruͤhmten Repu- blick auf dem hoͤchſten Gipfel der Ehre ſtand. Es laͤßt ſich nicht vermuthen, daß die Athenienſer in dieſem Zeitalter, da ihr Geſchmack und feine Sit- ten auf das hoͤchſte geſtiegen waren, weniger Men- ſchenliebe, weniger Zaͤrtlichkeit beſeſſen haben ſollten, als wir itzo beſitzen. Allein ſie fuͤrchteten ſich nicht, geruͤhret zu werden, und ſchaͤmten ſich auch nicht, ſich geruͤhrt zu bezeigen: wenn ſie Ungluͤcksfaͤlle wohl geſchildert und vorgeſtellt ſahen. Kurz; ſie waren eben der Meynung, welcher der Weiſeſte unter den Menſchen geweſen iſt, daß es beſſer waͤre, in das
Trauer-
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„ſie waͤhlten, gemaͤß fanden, oder wie es die Zu-
„hoͤrer auf die angenehmſte Art ruͤhren moͤchte.
„Ariſtoteles betrachtet die Trauerſpiele, die
„auf die eine oder die andere von dieſen beyden
„Arten geſchrieben waren, und merket an, daß
„diejenigen, in welchen ein ungluͤcklicher Ausgang
„der Sache vorgeſtellt worden, allezeit dem Volk
„gefallen, und vor denen, die ſich gluͤcklich endig-
„ten, in dem oͤffentlichen Streit der Schaubuͤhne,
„den Preiß davon getragen haͤtten (*).
„Schre-
(*) Dieß war zu einer Zeit, da die Unterhaltung der
Schaubuͤhne der Fuͤrſorge der Obrigkeitsperſonen
empfohlen war; da die Preiße, um die man ſtritte,
von dem Staat gegeben wurden; da folglich die
Nacheiferung unter den Schriftſtellern feurig war;
und da die Gelehrſamkeit in der beruͤhmten Repu-
blick auf dem hoͤchſten Gipfel der Ehre ſtand.
Es laͤßt ſich nicht vermuthen, daß die Athenienſer
in dieſem Zeitalter, da ihr Geſchmack und feine Sit-
ten auf das hoͤchſte geſtiegen waren, weniger Men-
ſchenliebe, weniger Zaͤrtlichkeit beſeſſen haben ſollten,
als wir itzo beſitzen. Allein ſie fuͤrchteten ſich nicht,
geruͤhret zu werden, und ſchaͤmten ſich auch nicht,
ſich geruͤhrt zu bezeigen: wenn ſie Ungluͤcksfaͤlle wohl
geſchildert und vorgeſtellt ſahen. Kurz; ſie waren
eben der Meynung, welcher der Weiſeſte unter den
Menſchen geweſen iſt, daß es beſſer waͤre, in das
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 898. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/904>, abgerufen am 22.11.2024.
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