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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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Diese Gedanken, welche vielmehr schärfer
werden, als daß sie durch die Zeit ihre Schärfe
verlieren sollten, begleiten mich in allem, was ich
thue, und wohin ich auch gehe, und mischen sich
in alle meine Lustbarkeiten und Ergötzungen.
Gleichwohl gehe ich in aufgeweckte und prächtige
Gesellschaft. Jch habe an den verschiedenen
Höfen, die ich besucht habe, neue Bekanntschaft
gemacht. Jch besuche die öffentlichen Gebäude
für die Studirende, die Kirchen, die Paläste.
Jch komme fleißig zu den Schauspielen, bin bey
allen öffentlichen Proben gegenwärtig, und sehe
alles Sehenswürdige, was ich vorher nicht gese-
hen hatte, in den Cabinettern der Liebhaber von
Seltenheiten. Bisweilen werde ich zu dem
Nachttisch einer vor andern ansehnlichen Schön-
heit gelassen, und gebe selbst mit vielem Vorzuge
in den Versammlungen von andern auch eine ab
- - Dennoch kann ich an nichts, und an niemand,
mit Vergnügen gedenken, als an meine Clarissa.
Jch habe auch kein einziges Frauenzimmer gese-
hen, das irgend einen Vorzug für sich hätte, als
in so fern es von Person, von Wesen, von Farbe,
von Stimme, oder in einigen Zügen dieser bezau-
bernden Schönheit, dieser einzigen bezaubernden
Schönheit, für meine Seele, ähnlich kommt.

Welche Strafe kann wohl größer seyn, als
daß ich leiden muß, daß diese erstaunenswürdige
Vollkommenheiten, die sie besaß, mein Gedächt-
niß mit solcher Stärke rühren: da mir nichts an-
ders übrig ist, als der nagende Verdruß, daß ich

mich


Dieſe Gedanken, welche vielmehr ſchaͤrfer
werden, als daß ſie durch die Zeit ihre Schaͤrfe
verlieren ſollten, begleiten mich in allem, was ich
thue, und wohin ich auch gehe, und miſchen ſich
in alle meine Luſtbarkeiten und Ergoͤtzungen.
Gleichwohl gehe ich in aufgeweckte und praͤchtige
Geſellſchaft. Jch habe an den verſchiedenen
Hoͤfen, die ich beſucht habe, neue Bekanntſchaft
gemacht. Jch beſuche die oͤffentlichen Gebaͤude
fuͤr die Studirende, die Kirchen, die Palaͤſte.
Jch komme fleißig zu den Schauſpielen, bin bey
allen oͤffentlichen Proben gegenwaͤrtig, und ſehe
alles Sehenswuͤrdige, was ich vorher nicht geſe-
hen hatte, in den Cabinettern der Liebhaber von
Seltenheiten. Bisweilen werde ich zu dem
Nachttiſch einer vor andern anſehnlichen Schoͤn-
heit gelaſſen, und gebe ſelbſt mit vielem Vorzuge
in den Verſammlungen von andern auch eine ab
‒ ‒ Dennoch kann ich an nichts, und an niemand,
mit Vergnuͤgen gedenken, als an meine Clariſſa.
Jch habe auch kein einziges Frauenzimmer geſe-
hen, das irgend einen Vorzug fuͤr ſich haͤtte, als
in ſo fern es von Perſon, von Weſen, von Farbe,
von Stimme, oder in einigen Zuͤgen dieſer bezau-
bernden Schoͤnheit, dieſer einzigen bezaubernden
Schoͤnheit, fuͤr meine Seele, aͤhnlich kommt.

Welche Strafe kann wohl groͤßer ſeyn, als
daß ich leiden muß, daß dieſe erſtaunenswuͤrdige
Vollkommenheiten, die ſie beſaß, mein Gedaͤcht-
niß mit ſolcher Staͤrke ruͤhren: da mir nichts an-
ders uͤbrig iſt, als der nagende Verdruß, daß ich

mich
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[860/0866] Dieſe Gedanken, welche vielmehr ſchaͤrfer werden, als daß ſie durch die Zeit ihre Schaͤrfe verlieren ſollten, begleiten mich in allem, was ich thue, und wohin ich auch gehe, und miſchen ſich in alle meine Luſtbarkeiten und Ergoͤtzungen. Gleichwohl gehe ich in aufgeweckte und praͤchtige Geſellſchaft. Jch habe an den verſchiedenen Hoͤfen, die ich beſucht habe, neue Bekanntſchaft gemacht. Jch beſuche die oͤffentlichen Gebaͤude fuͤr die Studirende, die Kirchen, die Palaͤſte. Jch komme fleißig zu den Schauſpielen, bin bey allen oͤffentlichen Proben gegenwaͤrtig, und ſehe alles Sehenswuͤrdige, was ich vorher nicht geſe- hen hatte, in den Cabinettern der Liebhaber von Seltenheiten. Bisweilen werde ich zu dem Nachttiſch einer vor andern anſehnlichen Schoͤn- heit gelaſſen, und gebe ſelbſt mit vielem Vorzuge in den Verſammlungen von andern auch eine ab ‒ ‒ Dennoch kann ich an nichts, und an niemand, mit Vergnuͤgen gedenken, als an meine Clariſſa. Jch habe auch kein einziges Frauenzimmer geſe- hen, das irgend einen Vorzug fuͤr ſich haͤtte, als in ſo fern es von Perſon, von Weſen, von Farbe, von Stimme, oder in einigen Zuͤgen dieſer bezau- bernden Schoͤnheit, dieſer einzigen bezaubernden Schoͤnheit, fuͤr meine Seele, aͤhnlich kommt. Welche Strafe kann wohl groͤßer ſeyn, als daß ich leiden muß, daß dieſe erſtaunenswuͤrdige Vollkommenheiten, die ſie beſaß, mein Gedaͤcht- niß mit ſolcher Staͤrke ruͤhren: da mir nichts an- ders uͤbrig iſt, als der nagende Verdruß, daß ich mich

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 860. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/866>, abgerufen am 22.11.2024.