Jn der That, in der That, Belford, ich bin das elendeste Wesen unter allen, und werde es bis an meine letzte Stunde seyn. So erhabene Groß- muth! - - Warum hast du mir die Abschrist von ihrem Testament in meine darnach ringende Hän- de gegeben? Warum hast du mir den hinterlasse- nen Brief zugeschickt? - - Warum, ob ich gleich ein ernstliches Verlangen bezeigte, das Testament zu sehen? Du wußtest, was beyde waren; ich nicht: du wußtest, daß es grausam seyn würde, mir zu Gefallen zu seyn.
Die Zusammenkunft mit zwanzig Obrist Mor- dens, wenn ich mit zwanzigen nach der Reihe zu- sammen kommen müßte, würde nichts für mich seyn; würde mir in Ansehung meiner Sicherheit nicht einen Augenblick Kummer machen: allein meine Gedanken über meine schändliche Undank- barkeit gegen ein so weit erhabenes Muster der Vollkommenheiten wird allezeit mein Fluch seyn.
Wäre sie eine Fräulein Howe gegen mich ge- wesen; und hätte mir so begegnet, als wenn ich ein Hickmann gewesen wäre: so hätte ich ein Recht zur Rache gehabt; und die Klugheit möch- te meine Unternehmungen, sie zu erniedrigen, ge- rechtfertigt haben, wenn ich willens gewesen wäre, ein Ehemann zu werden. Allein ihre Gemüths- art war sanft und gelinde: ob sie gleich eine wahr- haftige Heldinn war; so oft jemals Ehre oder Tugend eine Probe der Herzhaftigkeit forderte.
Nichts
Jn der That, in der That, Belford, ich bin das elendeſte Weſen unter allen, und werde es bis an meine letzte Stunde ſeyn. So erhabene Groß- muth! ‒ ‒ Warum haſt du mir die Abſchriſt von ihrem Teſtament in meine darnach ringende Haͤn- de gegeben? Warum haſt du mir den hinterlaſſe- nen Brief zugeſchickt? ‒ ‒ Warum, ob ich gleich ein ernſtliches Verlangen bezeigte, das Teſtament zu ſehen? Du wußteſt, was beyde waren; ich nicht: du wußteſt, daß es grauſam ſeyn wuͤrde, mir zu Gefallen zu ſeyn.
Die Zuſammenkunft mit zwanzig Obriſt Mor- dens, wenn ich mit zwanzigen nach der Reihe zu- ſammen kommen muͤßte, wuͤrde nichts fuͤr mich ſeyn; wuͤrde mir in Anſehung meiner Sicherheit nicht einen Augenblick Kummer machen: allein meine Gedanken uͤber meine ſchaͤndliche Undank- barkeit gegen ein ſo weit erhabenes Muſter der Vollkommenheiten wird allezeit mein Fluch ſeyn.
Waͤre ſie eine Fraͤulein Howe gegen mich ge- weſen; und haͤtte mir ſo begegnet, als wenn ich ein Hickmann geweſen waͤre: ſo haͤtte ich ein Recht zur Rache gehabt; und die Klugheit moͤch- te meine Unternehmungen, ſie zu erniedrigen, ge- rechtfertigt haben, wenn ich willens geweſen waͤre, ein Ehemann zu werden. Allein ihre Gemuͤths- art war ſanft und gelinde: ob ſie gleich eine wahr- haftige Heldinn war; ſo oft jemals Ehre oder Tugend eine Probe der Herzhaftigkeit forderte.
Nichts
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0862"n="856"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jn der That, in der That, Belford, ich bin<lb/>
das elendeſte Weſen unter allen, und werde es bis an<lb/>
meine letzte Stunde ſeyn. So erhabene Groß-<lb/>
muth! ‒‒ Warum haſt du mir die Abſchriſt von<lb/>
ihrem Teſtament in meine darnach ringende Haͤn-<lb/>
de gegeben? Warum haſt du mir den hinterlaſſe-<lb/>
nen Brief zugeſchickt? ‒‒ Warum, ob ich gleich ein<lb/>
ernſtliches Verlangen bezeigte, das Teſtament zu<lb/>ſehen? Du wußteſt, was <hirendition="#fr">beyde</hi> waren; ich nicht:<lb/>
du wußteſt, daß es grauſam ſeyn wuͤrde, mir zu<lb/>
Gefallen zu ſeyn.</p><lb/><p>Die Zuſammenkunft mit zwanzig Obriſt Mor-<lb/>
dens, wenn ich mit zwanzigen nach der Reihe zu-<lb/>ſammen kommen muͤßte, wuͤrde nichts fuͤr mich<lb/>ſeyn; wuͤrde mir in Anſehung meiner Sicherheit<lb/>
nicht einen Augenblick Kummer machen: allein<lb/>
meine Gedanken uͤber meine ſchaͤndliche Undank-<lb/>
barkeit gegen ein ſo weit erhabenes Muſter der<lb/>
Vollkommenheiten wird allezeit mein Fluch ſeyn.</p><lb/><p>Waͤre ſie eine Fraͤulein Howe gegen mich ge-<lb/>
weſen; und haͤtte mir ſo begegnet, als wenn ich<lb/>
ein Hickmann geweſen waͤre: ſo haͤtte ich ein<lb/>
Recht zur Rache gehabt; und die Klugheit moͤch-<lb/>
te meine Unternehmungen, ſie zu erniedrigen, ge-<lb/>
rechtfertigt haben, wenn ich willens geweſen waͤre,<lb/>
ein Ehemann zu werden. Allein ihre Gemuͤths-<lb/>
art war ſanft und gelinde: ob ſie gleich eine wahr-<lb/>
haftige Heldinn war; ſo oft jemals Ehre oder<lb/>
Tugend eine Probe der Herzhaftigkeit forderte.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Nichts</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[856/0862]
Jn der That, in der That, Belford, ich bin
das elendeſte Weſen unter allen, und werde es bis an
meine letzte Stunde ſeyn. So erhabene Groß-
muth! ‒ ‒ Warum haſt du mir die Abſchriſt von
ihrem Teſtament in meine darnach ringende Haͤn-
de gegeben? Warum haſt du mir den hinterlaſſe-
nen Brief zugeſchickt? ‒ ‒ Warum, ob ich gleich ein
ernſtliches Verlangen bezeigte, das Teſtament zu
ſehen? Du wußteſt, was beyde waren; ich nicht:
du wußteſt, daß es grauſam ſeyn wuͤrde, mir zu
Gefallen zu ſeyn.
Die Zuſammenkunft mit zwanzig Obriſt Mor-
dens, wenn ich mit zwanzigen nach der Reihe zu-
ſammen kommen muͤßte, wuͤrde nichts fuͤr mich
ſeyn; wuͤrde mir in Anſehung meiner Sicherheit
nicht einen Augenblick Kummer machen: allein
meine Gedanken uͤber meine ſchaͤndliche Undank-
barkeit gegen ein ſo weit erhabenes Muſter der
Vollkommenheiten wird allezeit mein Fluch ſeyn.
Waͤre ſie eine Fraͤulein Howe gegen mich ge-
weſen; und haͤtte mir ſo begegnet, als wenn ich
ein Hickmann geweſen waͤre: ſo haͤtte ich ein
Recht zur Rache gehabt; und die Klugheit moͤch-
te meine Unternehmungen, ſie zu erniedrigen, ge-
rechtfertigt haben, wenn ich willens geweſen waͤre,
ein Ehemann zu werden. Allein ihre Gemuͤths-
art war ſanft und gelinde: ob ſie gleich eine wahr-
haftige Heldinn war; ſo oft jemals Ehre oder
Tugend eine Probe der Herzhaftigkeit forderte.
Nichts
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 856. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/862>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.