"Niemand, pflegte sie zu sagen, könnte seine "Zeit wohl anwenden, der nicht nach einer gewis- "sen Regel lebte; der nicht, so nahe als seyn könn- "te, seine Stunden zu besondern Absichten und "Geschafften bestimmte.
Dieser selbstgegebenen Lehre zu folge, war die gewöhnliche Eintheilung der vier und zwanzig Stunden, nachdem sie sich selbst überlassen worden, auf folgende Art gemacht.
Zur Ruhe setzte sie nur sechs Stunden.
Sie glaubte, daß sie sich nicht so wohl, und so heiter von Verstande; so lebendig pflegte sie zu sagen; befände: wenn sie diese Proportion überschritte. Wenn sie nicht schlief: so stand sie lieber eher auf. Und im Winter hatte sie ihr Feuerwerk bereit legen lassen, und einen Wachs- stock, der leicht brennte, um es anzuzünden: in- dem sie den Bedienten nicht gern Beschwerde machte, "deren härtere Arbeit, wie sie zu sagen ge- "wohnt war, und späteres Zubettegehn in Be- "trachtung gezogen zu werden verdiente."
Jch habe ihr deswegen Vorwürfe gemacht, daß sie mehr auf diese, als auf sich selbst sähe. Al- lein dieß war ihre Antwort: "Jch habe meinen "freyen Willen: wie kann ich mehr wünschen? "Warum sollte ich andere Leute drücken, mir selbst "Genüge zu thun? Sie sehen, was ein freyer "Wille jemand zu thun in den Stand setzet: da "hingegen ein Befehl, wodurch etwas aufgeleget "wird, eine leichte Last schwer machen würde."
Jhre
Siebenter Theil. F f f
„Niemand, pflegte ſie zu ſagen, koͤnnte ſeine „Zeit wohl anwenden, der nicht nach einer gewiſ- „ſen Regel lebte; der nicht, ſo nahe als ſeyn koͤnn- „te, ſeine Stunden zu beſondern Abſichten und „Geſchafften beſtimmte.
Dieſer ſelbſtgegebenen Lehre zu folge, war die gewoͤhnliche Eintheilung der vier und zwanzig Stunden, nachdem ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen worden, auf folgende Art gemacht.
Zur Ruhe ſetzte ſie nur ſechs Stunden.
Sie glaubte, daß ſie ſich nicht ſo wohl, und ſo heiter von Verſtande; ſo lebendig pflegte ſie zu ſagen; befaͤnde: wenn ſie dieſe Proportion uͤberſchritte. Wenn ſie nicht ſchlief: ſo ſtand ſie lieber eher auf. Und im Winter hatte ſie ihr Feuerwerk bereit legen laſſen, und einen Wachs- ſtock, der leicht brennte, um es anzuzuͤnden: in- dem ſie den Bedienten nicht gern Beſchwerde machte, „deren haͤrtere Arbeit, wie ſie zu ſagen ge- „wohnt war, und ſpaͤteres Zubettegehn in Be- „trachtung gezogen zu werden verdiente.“
Jch habe ihr deswegen Vorwuͤrfe gemacht, daß ſie mehr auf dieſe, als auf ſich ſelbſt ſaͤhe. Al- lein dieß war ihre Antwort: „Jch habe meinen „freyen Willen: wie kann ich mehr wuͤnſchen? „Warum ſollte ich andere Leute druͤcken, mir ſelbſt „Genuͤge zu thun? Sie ſehen, was ein freyer „Wille jemand zu thun in den Stand ſetzet: da „hingegen ein Befehl, wodurch etwas aufgeleget „wird, eine leichte Laſt ſchwer machen wuͤrde.“
Jhre
Siebenter Theil. F f f
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„Niemand, pflegte ſie zu ſagen, koͤnnte ſeine
„Zeit wohl anwenden, der nicht nach einer gewiſ-
„ſen Regel lebte; der nicht, ſo nahe als ſeyn koͤnn-
„te, ſeine Stunden zu beſondern Abſichten und
„Geſchafften beſtimmte.
Dieſer ſelbſtgegebenen Lehre zu folge, war die
gewoͤhnliche Eintheilung der vier und zwanzig
Stunden, nachdem ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen worden,
auf folgende Art gemacht.
Zur Ruhe ſetzte ſie nur ſechs Stunden.
Sie glaubte, daß ſie ſich nicht ſo wohl, und
ſo heiter von Verſtande; ſo lebendig pflegte ſie
zu ſagen; befaͤnde: wenn ſie dieſe Proportion
uͤberſchritte. Wenn ſie nicht ſchlief: ſo ſtand ſie
lieber eher auf. Und im Winter hatte ſie ihr
Feuerwerk bereit legen laſſen, und einen Wachs-
ſtock, der leicht brennte, um es anzuzuͤnden: in-
dem ſie den Bedienten nicht gern Beſchwerde
machte, „deren haͤrtere Arbeit, wie ſie zu ſagen ge-
„wohnt war, und ſpaͤteres Zubettegehn in Be-
„trachtung gezogen zu werden verdiente.“
Jch habe ihr deswegen Vorwuͤrfe gemacht,
daß ſie mehr auf dieſe, als auf ſich ſelbſt ſaͤhe. Al-
lein dieß war ihre Antwort: „Jch habe meinen
„freyen Willen: wie kann ich mehr wuͤnſchen?
„Warum ſollte ich andere Leute druͤcken, mir ſelbſt
„Genuͤge zu thun? Sie ſehen, was ein freyer
„Wille jemand zu thun in den Stand ſetzet: da
„hingegen ein Befehl, wodurch etwas aufgeleget
„wird, eine leichte Laſt ſchwer machen wuͤrde.“
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 817. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/823>, abgerufen am 25.11.2024.
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