Entschuldigen Sie mich, gnädige Fräulein. Jch habe die aufrichtigste Ehrfurcht gegen Sie, und wollte Jhnen um aller Welt willen nicht mis- fällig werden.
Jch will mir nicht herausnehmen, über die Briefe, welche ich Jhnen schicke, und über die Nachrichten, die ich Jhnen von dem erschreckli- chen Ende zwoer unglücklichen und elenden Per- sonen zu geben habe, Anmerkungen zu machen. Die beyden Personen hatten in der Sache Jhrer anbetenswürdigen Freundinn die meiste Schuld. Sie sind die schändliche Sinclair und einer, von dem Sie sonder Zweifel in den Briefen der rei- zenden und unschuldigen Fräulein unter dem Na- men des Capitain Tomlinson etwas gelesen haben.
Das nichtswürdige Weib starb in der äußer- sten Marter und Verzweifelung: der Kerl, an Wunden, die er in seiner Vertheidigung bekom- men hatte, als er verbotene Waaren aufbrachte. Beyde warfen sich in ihren letzten Stunden die Rollen, welche sie gegen das vortrefflichste Frauen- zimmer gespielet hatten, als das Verbrechen vor, das ihr Gewissen am meisten beunruhigte.
Erlauben Sie mir zu sagen, gnädige Fräu- lein, daß, wo kein Mitleiden gegen den armen Menschen, der von der Angst seines eignen Ge- wissens, wie Sie aus seinem Briefe sehen wer- den, so viel leidet, und gegen die unglückliche Fa- milie, die so empfindliche Gewissensregungen füh- let; wie Sie aus den Briefen des Obrist Mor-
dens
Entſchuldigen Sie mich, gnaͤdige Fraͤulein. Jch habe die aufrichtigſte Ehrfurcht gegen Sie, und wollte Jhnen um aller Welt willen nicht mis- faͤllig werden.
Jch will mir nicht herausnehmen, uͤber die Briefe, welche ich Jhnen ſchicke, und uͤber die Nachrichten, die ich Jhnen von dem erſchreckli- chen Ende zwoer ungluͤcklichen und elenden Per- ſonen zu geben habe, Anmerkungen zu machen. Die beyden Perſonen hatten in der Sache Jhrer anbetenswuͤrdigen Freundinn die meiſte Schuld. Sie ſind die ſchaͤndliche Sinclair und einer, von dem Sie ſonder Zweifel in den Briefen der rei- zenden und unſchuldigen Fraͤulein unter dem Na- men des Capitain Tomlinſon etwas geleſen haben.
Das nichtswuͤrdige Weib ſtarb in der aͤußer- ſten Marter und Verzweifelung: der Kerl, an Wunden, die er in ſeiner Vertheidigung bekom- men hatte, als er verbotene Waaren aufbrachte. Beyde warfen ſich in ihren letzten Stunden die Rollen, welche ſie gegen das vortrefflichſte Frauen- zimmer geſpielet hatten, als das Verbrechen vor, das ihr Gewiſſen am meiſten beunruhigte.
Erlauben Sie mir zu ſagen, gnaͤdige Fraͤu- lein, daß, wo kein Mitleiden gegen den armen Menſchen, der von der Angſt ſeines eignen Ge- wiſſens, wie Sie aus ſeinem Briefe ſehen wer- den, ſo viel leidet, und gegen die ungluͤckliche Fa- milie, die ſo empfindliche Gewiſſensregungen fuͤh- let; wie Sie aus den Briefen des Obriſt Mor-
dens
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0768"n="762"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Entſchuldigen Sie mich, gnaͤdige Fraͤulein.<lb/>
Jch habe die aufrichtigſte Ehrfurcht gegen Sie,<lb/>
und wollte Jhnen um aller Welt willen nicht mis-<lb/>
faͤllig werden.</p><lb/><p>Jch will mir nicht herausnehmen, uͤber die<lb/>
Briefe, welche ich Jhnen ſchicke, und uͤber die<lb/>
Nachrichten, die ich Jhnen von dem erſchreckli-<lb/>
chen Ende zwoer ungluͤcklichen und elenden Per-<lb/>ſonen zu geben habe, Anmerkungen zu machen.<lb/>
Die beyden Perſonen hatten in der Sache Jhrer<lb/>
anbetenswuͤrdigen Freundinn die meiſte Schuld.<lb/>
Sie ſind die ſchaͤndliche <hirendition="#fr">Sinclair</hi> und einer, von<lb/>
dem Sie ſonder Zweifel in den Briefen der rei-<lb/>
zenden und unſchuldigen Fraͤulein unter dem Na-<lb/>
men des Capitain <hirendition="#fr">Tomlinſon</hi> etwas geleſen<lb/>
haben.</p><lb/><p>Das nichtswuͤrdige Weib ſtarb in der aͤußer-<lb/>ſten Marter und Verzweifelung: der Kerl, an<lb/>
Wunden, die er in ſeiner Vertheidigung bekom-<lb/>
men hatte, als er verbotene Waaren aufbrachte.<lb/>
Beyde warfen ſich in ihren letzten Stunden die<lb/>
Rollen, welche ſie gegen das vortrefflichſte Frauen-<lb/>
zimmer geſpielet hatten, als das Verbrechen vor,<lb/>
das ihr Gewiſſen am meiſten beunruhigte.</p><lb/><p>Erlauben Sie mir zu ſagen, gnaͤdige Fraͤu-<lb/>
lein, daß, wo kein Mitleiden gegen den armen<lb/>
Menſchen, der von der Angſt ſeines eignen Ge-<lb/>
wiſſens, wie Sie aus ſeinem Briefe ſehen wer-<lb/>
den, ſo viel leidet, und gegen die ungluͤckliche Fa-<lb/>
milie, die ſo empfindliche Gewiſſensregungen fuͤh-<lb/>
let; wie Sie aus den Briefen des Obriſt Mor-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dens</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[762/0768]
Entſchuldigen Sie mich, gnaͤdige Fraͤulein.
Jch habe die aufrichtigſte Ehrfurcht gegen Sie,
und wollte Jhnen um aller Welt willen nicht mis-
faͤllig werden.
Jch will mir nicht herausnehmen, uͤber die
Briefe, welche ich Jhnen ſchicke, und uͤber die
Nachrichten, die ich Jhnen von dem erſchreckli-
chen Ende zwoer ungluͤcklichen und elenden Per-
ſonen zu geben habe, Anmerkungen zu machen.
Die beyden Perſonen hatten in der Sache Jhrer
anbetenswuͤrdigen Freundinn die meiſte Schuld.
Sie ſind die ſchaͤndliche Sinclair und einer, von
dem Sie ſonder Zweifel in den Briefen der rei-
zenden und unſchuldigen Fraͤulein unter dem Na-
men des Capitain Tomlinſon etwas geleſen
haben.
Das nichtswuͤrdige Weib ſtarb in der aͤußer-
ſten Marter und Verzweifelung: der Kerl, an
Wunden, die er in ſeiner Vertheidigung bekom-
men hatte, als er verbotene Waaren aufbrachte.
Beyde warfen ſich in ihren letzten Stunden die
Rollen, welche ſie gegen das vortrefflichſte Frauen-
zimmer geſpielet hatten, als das Verbrechen vor,
das ihr Gewiſſen am meiſten beunruhigte.
Erlauben Sie mir zu ſagen, gnaͤdige Fraͤu-
lein, daß, wo kein Mitleiden gegen den armen
Menſchen, der von der Angſt ſeines eignen Ge-
wiſſens, wie Sie aus ſeinem Briefe ſehen wer-
den, ſo viel leidet, und gegen die ungluͤckliche Fa-
milie, die ſo empfindliche Gewiſſensregungen fuͤh-
let; wie Sie aus den Briefen des Obriſt Mor-
dens
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 762. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/768>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.