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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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ben, schon den Gedanken verabscheuen, sich zu so gar-
stigen Sklaven der Sinnlichkeit zu gesellen, deren
Hauptgeschmack sie hinreißet, sich mit dem Ab-
schaum der Hurenhäuser und gemeinen Cloaken
zu bemengen.

Gleichwohl werden viele würdige Frauensper-
sonen durch die falsche und unbesonnene Vorstel-
lung, die sonder Zweifel von dem Urheber alles
Betruges erreget und fortgepflanzet ist, daß ein
liederlicher Mensch, der sich gebessert hat,
den besten Mann abgebe,
verführet, eine sol-
che Wahl zu treffen. Wir liederlichen Leute sind
in der That kühn genug, die Vermuthung festzu-
setzen, daß die Frauenspersonen überhaupt eben so
liederlich in ihren Herzen sind, als die Liebhaber
der freyen Lebensart in ihrer Aufführung. Dieß
ist daher eine Vermuthung, welche Personen von
dem andern Geschlechte, die eine wahre Ehre lieben,
der Falschheit dadurch zu überweisen geziemet,
daß sie einen jeden mit seinem Antrage abweisen,
dessen Gemüthsart nicht die Probe derjenigen Tu-
gend hält, die der Ruhm eines Frauenzimmers;
und in der That, mag ich wohl sagen, auch einer
Mannsperson Ruhm und Ehre ist: warum sollte
es nicht seyn?

Wie ist es doch wohl möglich, wenn man
dieß gehörig erwäget, daß ein Mensch, der von
dem ganzen Geschlechte einerley denket,
und
weiß, daß es in dem Vermögen eines Weibes
stehe, ihm die größte Schande anzuthun, die ein
Mann haben kann, auch an ihrem Willen, es

zu
Siebenter Theil. N n



ben, ſchon den Gedanken verabſcheuen, ſich zu ſo gar-
ſtigen Sklaven der Sinnlichkeit zu geſellen, deren
Hauptgeſchmack ſie hinreißet, ſich mit dem Ab-
ſchaum der Hurenhaͤuſer und gemeinen Cloaken
zu bemengen.

Gleichwohl werden viele wuͤrdige Frauensper-
ſonen durch die falſche und unbeſonnene Vorſtel-
lung, die ſonder Zweifel von dem Urheber alles
Betruges erreget und fortgepflanzet iſt, daß ein
liederlicher Menſch, der ſich gebeſſert hat,
den beſten Mann abgebe,
verfuͤhret, eine ſol-
che Wahl zu treffen. Wir liederlichen Leute ſind
in der That kuͤhn genug, die Vermuthung feſtzu-
ſetzen, daß die Frauensperſonen uͤberhaupt eben ſo
liederlich in ihren Herzen ſind, als die Liebhaber
der freyen Lebensart in ihrer Auffuͤhrung. Dieß
iſt daher eine Vermuthung, welche Perſonen von
dem andern Geſchlechte, die eine wahre Ehre lieben,
der Falſchheit dadurch zu uͤberweiſen geziemet,
daß ſie einen jeden mit ſeinem Antrage abweiſen,
deſſen Gemuͤthsart nicht die Probe derjenigen Tu-
gend haͤlt, die der Ruhm eines Frauenzimmers;
und in der That, mag ich wohl ſagen, auch einer
Mannsperſon Ruhm und Ehre iſt: warum ſollte
es nicht ſeyn?

Wie iſt es doch wohl moͤglich, wenn man
dieß gehoͤrig erwaͤget, daß ein Menſch, der von
dem ganzen Geſchlechte einerley denket,
und
weiß, daß es in dem Vermoͤgen eines Weibes
ſtehe, ihm die groͤßte Schande anzuthun, die ein
Mann haben kann, auch an ihrem Willen, es

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Siebenter Theil. N n
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[561/0567] ben, ſchon den Gedanken verabſcheuen, ſich zu ſo gar- ſtigen Sklaven der Sinnlichkeit zu geſellen, deren Hauptgeſchmack ſie hinreißet, ſich mit dem Ab- ſchaum der Hurenhaͤuſer und gemeinen Cloaken zu bemengen. Gleichwohl werden viele wuͤrdige Frauensper- ſonen durch die falſche und unbeſonnene Vorſtel- lung, die ſonder Zweifel von dem Urheber alles Betruges erreget und fortgepflanzet iſt, daß ein liederlicher Menſch, der ſich gebeſſert hat, den beſten Mann abgebe, verfuͤhret, eine ſol- che Wahl zu treffen. Wir liederlichen Leute ſind in der That kuͤhn genug, die Vermuthung feſtzu- ſetzen, daß die Frauensperſonen uͤberhaupt eben ſo liederlich in ihren Herzen ſind, als die Liebhaber der freyen Lebensart in ihrer Auffuͤhrung. Dieß iſt daher eine Vermuthung, welche Perſonen von dem andern Geſchlechte, die eine wahre Ehre lieben, der Falſchheit dadurch zu uͤberweiſen geziemet, daß ſie einen jeden mit ſeinem Antrage abweiſen, deſſen Gemuͤthsart nicht die Probe derjenigen Tu- gend haͤlt, die der Ruhm eines Frauenzimmers; und in der That, mag ich wohl ſagen, auch einer Mannsperſon Ruhm und Ehre iſt: warum ſollte es nicht ſeyn? Wie iſt es doch wohl moͤglich, wenn man dieß gehoͤrig erwaͤget, daß ein Menſch, der von dem ganzen Geſchlechte einerley denket, und weiß, daß es in dem Vermoͤgen eines Weibes ſtehe, ihm die groͤßte Schande anzuthun, die ein Mann haben kann, auch an ihrem Willen, es zu Siebenter Theil. N n

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/567>, abgerufen am 16.07.2024.