Fall bald begeben würde: allein es wäre ihm gar nicht in den Sinn gekommen, daß es so gar bald geschehen sollte! - - Jedoch sie ist gewiß glückse- lig, sprach er!
Fr. Howe ging hinauf, nachdem sie sich ein wenig gefaßt hatte, um ihrer Tochter die Nachricht auf eine gute Art beyzubringen. Sie nahm den Brief und ihr Salz in die Hand. Und Henrich konnte merken, daß sie es gebraucht hatten. Denn die Haushälterinn kam bald in die Küche herunter gerannt und ihr Gesicht war von Thränen überschwemmet - - Jhre Fräulein, sagte sie, wäre in Ohnmacht gefallen - - Sie wunderte sich auch nicht darüber - - Niemals wäre eine Fräulein auf der Welt gewesen, die mehr verdienet hätte, von allen und jeden bewundert und bedauret zu werden, als Fräulein Clarissa Harlowe! Niemals wäre eine stärkere Freundschaft durch den Tod zer- störet, als die zwischen ihrer Fräulein und ihr. Sie eilte mit einem brennenden Wachsstock und mit Federn wieder hinauf, die sie ihrer jungen Herrschaft unter der Nase anzünden wollten. Dieß zeigte, daß die Ohnmachten noch anhielten.
Herr Hickmann machte hierauf mit seiner ge- wöhnlichen Leutseligkeit die Anstalt, daß man Henrichen die ganze Nacht über versorgte: weil der Tag eben zum Ende ging. Er fragte ihn nach meinem Befinden. Er bezeugte, daß er so wohl über den Verlust, als über die gerechte Be- trübniß der Fräulein, die er so herzlich liebet, aus- nehmend bekümmert wäre. Die abgeschiedne Fräu-
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Fall bald begeben wuͤrde: allein es waͤre ihm gar nicht in den Sinn gekommen, daß es ſo gar bald geſchehen ſollte! ‒ ‒ Jedoch ſie iſt gewiß gluͤckſe- lig, ſprach er!
Fr. Howe ging hinauf, nachdem ſie ſich ein wenig gefaßt hatte, um ihrer Tochter die Nachricht auf eine gute Art beyzubringen. Sie nahm den Brief und ihr Salz in die Hand. Und Henrich konnte merken, daß ſie es gebraucht hatten. Denn die Haushaͤlterinn kam bald in die Kuͤche herunter gerannt und ihr Geſicht war von Thraͤnen uͤberſchwemmet ‒ ‒ Jhre Fraͤulein, ſagte ſie, waͤre in Ohnmacht gefallen ‒ ‒ Sie wunderte ſich auch nicht daruͤber ‒ ‒ Niemals waͤre eine Fraͤulein auf der Welt geweſen, die mehr verdienet haͤtte, von allen und jeden bewundert und bedauret zu werden, als Fraͤulein Clariſſa Harlowe! Niemals waͤre eine ſtaͤrkere Freundſchaft durch den Tod zer- ſtoͤret, als die zwiſchen ihrer Fraͤulein und ihr. Sie eilte mit einem brennenden Wachsſtock und mit Federn wieder hinauf, die ſie ihrer jungen Herrſchaft unter der Naſe anzuͤnden wollten. Dieß zeigte, daß die Ohnmachten noch anhielten.
Herr Hickmann machte hierauf mit ſeiner ge- woͤhnlichen Leutſeligkeit die Anſtalt, daß man Henrichen die ganze Nacht uͤber verſorgte: weil der Tag eben zum Ende ging. Er fragte ihn nach meinem Befinden. Er bezeugte, daß er ſo wohl uͤber den Verluſt, als uͤber die gerechte Be- truͤbniß der Fraͤulein, die er ſo herzlich liebet, aus- nehmend bekuͤmmert waͤre. Die abgeſchiedne Fraͤu-
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Fall bald begeben wuͤrde: allein es waͤre ihm gar
nicht in den Sinn gekommen, daß es ſo gar bald
geſchehen ſollte! ‒ ‒ Jedoch ſie iſt gewiß gluͤckſe-
lig, ſprach er!
Fr. Howe ging hinauf, nachdem ſie ſich ein
wenig gefaßt hatte, um ihrer Tochter die Nachricht
auf eine gute Art beyzubringen. Sie nahm den
Brief und ihr Salz in die Hand. Und Henrich
konnte merken, daß ſie es gebraucht hatten.
Denn die Haushaͤlterinn kam bald in die Kuͤche
herunter gerannt und ihr Geſicht war von Thraͤnen
uͤberſchwemmet ‒ ‒ Jhre Fraͤulein, ſagte ſie, waͤre
in Ohnmacht gefallen ‒ ‒ Sie wunderte ſich auch
nicht daruͤber ‒ ‒ Niemals waͤre eine Fraͤulein
auf der Welt geweſen, die mehr verdienet haͤtte,
von allen und jeden bewundert und bedauret zu
werden, als Fraͤulein Clariſſa Harlowe! Niemals
waͤre eine ſtaͤrkere Freundſchaft durch den Tod zer-
ſtoͤret, als die zwiſchen ihrer Fraͤulein und ihr.
Sie eilte mit einem brennenden Wachsſtock und
mit Federn wieder hinauf, die ſie ihrer jungen
Herrſchaft unter der Naſe anzuͤnden wollten. Dieß
zeigte, daß die Ohnmachten noch anhielten.
Herr Hickmann machte hierauf mit ſeiner ge-
woͤhnlichen Leutſeligkeit die Anſtalt, daß man
Henrichen die ganze Nacht uͤber verſorgte: weil
der Tag eben zum Ende ging. Er fragte ihn
nach meinem Befinden. Er bezeugte, daß er ſo
wohl uͤber den Verluſt, als uͤber die gerechte Be-
truͤbniß der Fraͤulein, die er ſo herzlich liebet, aus-
nehmend bekuͤmmert waͤre. Die abgeſchiedne Fraͤu-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/523>, abgerufen am 22.11.2024.
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