Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



Es ist etwas besser mit ihr, als es war. Der
Arzt ist hier gewesen, und glaubt, sie werde
es noch einen oder zween Tage aushalten. Er
hat ihr bloß, wie einige Zeit her, ein wenig Herz-
stärkungen verordnet, die sie nehmen soll, wenn sie
eine Ohnmacht antreten will. Sie schien sich in
ihrer Hoffnung betrogen zu finden, als er ihr ver-
meldete, daß sie noch wohl zween oder drey Tage
leben könnte, und sagte, sie wünschte aufgelöset zu
seyn! - - Das Lebenslicht, sähe sie, wäre nicht so
leicht ausgelöschet, als sich einige vorstellten - - Ein
Tod aus Kummer und Herzeleid,
glaubte sie,
wäre der langsamste unter allen - - Allein
Gottes Wille müßte geschehen! - - Jhr einziges
Gebeth wäre itzo nur dieß, daß sie sich demselben
unterwerfen möchte. Denn sie zweifelte nicht,
daß sie durch Gottes Gnade glückselig seyn wür-
de, so bald sie nur von diesem abgenutzten
Gewand der Sterblichkeit
entkleidet seyn
könnte.

Sie that hierauf aus freyen Stücken von euch
Erwähnung: wovor sie sich bis daher gehütet
hatte. Sie fragte mit großer Heiterkeit, wo ihr
wäret?

Jch sagte ihr, wo: und was ihr für Ursachen
hättet, so nahe zu seyn. Jch las ihr auch einige
Zeilen aus eurem Briefe von heute frühe vor,
in welchen ihr eurer Wünsche, sie zu sehen, eurer
herzlichen Betrübniß, und eurer Entschließung,

euch



Es iſt etwas beſſer mit ihr, als es war. Der
Arzt iſt hier geweſen, und glaubt, ſie werde
es noch einen oder zween Tage aushalten. Er
hat ihr bloß, wie einige Zeit her, ein wenig Herz-
ſtaͤrkungen verordnet, die ſie nehmen ſoll, wenn ſie
eine Ohnmacht antreten will. Sie ſchien ſich in
ihrer Hoffnung betrogen zu finden, als er ihr ver-
meldete, daß ſie noch wohl zween oder drey Tage
leben koͤnnte, und ſagte, ſie wuͤnſchte aufgeloͤſet zu
ſeyn! ‒ ‒ Das Lebenslicht, ſaͤhe ſie, waͤre nicht ſo
leicht ausgeloͤſchet, als ſich einige vorſtellten ‒ ‒ Ein
Tod aus Kummer und Herzeleid,
glaubte ſie,
waͤre der langſamſte unter allen ‒ ‒ Allein
Gottes Wille muͤßte geſchehen! ‒ ‒ Jhr einziges
Gebeth waͤre itzo nur dieß, daß ſie ſich demſelben
unterwerfen moͤchte. Denn ſie zweifelte nicht,
daß ſie durch Gottes Gnade gluͤckſelig ſeyn wuͤr-
de, ſo bald ſie nur von dieſem abgenutzten
Gewand der Sterblichkeit
entkleidet ſeyn
koͤnnte.

Sie that hierauf aus freyen Stuͤcken von euch
Erwaͤhnung: wovor ſie ſich bis daher gehuͤtet
hatte. Sie fragte mit großer Heiterkeit, wo ihr
waͤret?

Jch ſagte ihr, wo: und was ihr fuͤr Urſachen
haͤttet, ſo nahe zu ſeyn. Jch las ihr auch einige
Zeilen aus eurem Briefe von heute fruͤhe vor,
in welchen ihr eurer Wuͤnſche, ſie zu ſehen, eurer
herzlichen Betruͤbniß, und eurer Entſchließung,

euch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0398" n="392"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Um achte.</hi> </dateline><lb/>
            <p><hi rendition="#in">E</hi>s i&#x017F;t etwas be&#x017F;&#x017F;er mit ihr, als es war. Der<lb/>
Arzt i&#x017F;t hier gewe&#x017F;en, und glaubt, &#x017F;ie werde<lb/>
es noch einen oder zween Tage aushalten. Er<lb/>
hat ihr bloß, wie einige Zeit her, ein wenig Herz-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rkungen verordnet, die &#x017F;ie nehmen &#x017F;oll, wenn &#x017F;ie<lb/>
eine Ohnmacht antreten will. Sie &#x017F;chien &#x017F;ich in<lb/>
ihrer Hoffnung betrogen zu finden, als er ihr ver-<lb/>
meldete, daß &#x017F;ie noch wohl zween oder drey Tage<lb/>
leben ko&#x0364;nnte, und &#x017F;agte, &#x017F;ie wu&#x0364;n&#x017F;chte aufgelo&#x0364;&#x017F;et zu<lb/>
&#x017F;eyn! &#x2012; &#x2012; Das Lebenslicht, &#x017F;a&#x0364;he &#x017F;ie, wa&#x0364;re nicht &#x017F;o<lb/>
leicht ausgelo&#x0364;&#x017F;chet, als &#x017F;ich einige vor&#x017F;tellten &#x2012; &#x2012; <hi rendition="#fr">Ein<lb/>
Tod aus Kummer und Herzeleid,</hi> glaubte &#x017F;ie,<lb/><hi rendition="#fr">wa&#x0364;re der lang&#x017F;am&#x017F;te unter allen</hi> &#x2012; &#x2012; Allein<lb/>
Gottes Wille mu&#x0364;ßte ge&#x017F;chehen! &#x2012; &#x2012; Jhr einziges<lb/>
Gebeth wa&#x0364;re itzo nur dieß, daß &#x017F;ie &#x017F;ich dem&#x017F;elben<lb/>
unterwerfen mo&#x0364;chte. Denn &#x017F;ie zweifelte nicht,<lb/>
daß &#x017F;ie durch Gottes Gnade glu&#x0364;ck&#x017F;elig &#x017F;eyn wu&#x0364;r-<lb/>
de, &#x017F;o bald &#x017F;ie nur von die&#x017F;em <hi rendition="#fr">abgenutzten<lb/>
Gewand der Sterblichkeit</hi> entkleidet &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
            <p>Sie that hierauf aus freyen Stu&#x0364;cken von euch<lb/>
Erwa&#x0364;hnung: wovor &#x017F;ie &#x017F;ich bis daher gehu&#x0364;tet<lb/>
hatte. Sie fragte mit großer Heiterkeit, wo ihr<lb/>
wa&#x0364;ret?</p><lb/>
            <p>Jch &#x017F;agte ihr, wo: und was ihr fu&#x0364;r Ur&#x017F;achen<lb/>
ha&#x0364;ttet, &#x017F;o nahe zu &#x017F;eyn. Jch las ihr auch einige<lb/>
Zeilen aus eurem Briefe von heute fru&#x0364;he vor,<lb/>
in welchen ihr eurer Wu&#x0364;n&#x017F;che, &#x017F;ie zu &#x017F;ehen, eurer<lb/>
herzlichen Betru&#x0364;bniß, und eurer Ent&#x017F;chließung,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">euch</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0398] Um achte. Es iſt etwas beſſer mit ihr, als es war. Der Arzt iſt hier geweſen, und glaubt, ſie werde es noch einen oder zween Tage aushalten. Er hat ihr bloß, wie einige Zeit her, ein wenig Herz- ſtaͤrkungen verordnet, die ſie nehmen ſoll, wenn ſie eine Ohnmacht antreten will. Sie ſchien ſich in ihrer Hoffnung betrogen zu finden, als er ihr ver- meldete, daß ſie noch wohl zween oder drey Tage leben koͤnnte, und ſagte, ſie wuͤnſchte aufgeloͤſet zu ſeyn! ‒ ‒ Das Lebenslicht, ſaͤhe ſie, waͤre nicht ſo leicht ausgeloͤſchet, als ſich einige vorſtellten ‒ ‒ Ein Tod aus Kummer und Herzeleid, glaubte ſie, waͤre der langſamſte unter allen ‒ ‒ Allein Gottes Wille muͤßte geſchehen! ‒ ‒ Jhr einziges Gebeth waͤre itzo nur dieß, daß ſie ſich demſelben unterwerfen moͤchte. Denn ſie zweifelte nicht, daß ſie durch Gottes Gnade gluͤckſelig ſeyn wuͤr- de, ſo bald ſie nur von dieſem abgenutzten Gewand der Sterblichkeit entkleidet ſeyn koͤnnte. Sie that hierauf aus freyen Stuͤcken von euch Erwaͤhnung: wovor ſie ſich bis daher gehuͤtet hatte. Sie fragte mit großer Heiterkeit, wo ihr waͤret? Jch ſagte ihr, wo: und was ihr fuͤr Urſachen haͤttet, ſo nahe zu ſeyn. Jch las ihr auch einige Zeilen aus eurem Briefe von heute fruͤhe vor, in welchen ihr eurer Wuͤnſche, ſie zu ſehen, eurer herzlichen Betruͤbniß, und eurer Entſchließung, euch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/398
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/398>, abgerufen am 03.12.2024.