Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



Straße, jene hinunter zu der andern, wie mir
mein Pserd den Weg zeigte. Den ganzen
Weg über verfluchte ich mein eignes Daseyn:
und ob ich gleich erst vor kurzer Zeit die ganze
Welt unter mir gesehen hatte; so wünschte ich
doch itzo meine Umstände mit dem ärmsten Bett-
ler zu vertauschen, der mich um eine milde Gabe
anschrie, als ich beym ihm vorbey ritte - - und
warf ihm Geld zu, in Hoffnung, durch sein Ge-
beth das Glück zu erlangen, wornach meine Seele
schmachtet.

Nachdem ich eine oder zwo Stunden, die mir
als drey oder vier verdrießliche Stunden vorka-
men, herumgestreifet hatte: so war mir bange,
ich möchte den Kerl nicht gemerkt haben. Da-
her fragte ich bey allen Schlagbäumen, ob nicht
ein Bedienter in solcher und solcher Liverey auf
seinem Rückwege von London in vollen Sprüngen
durchgeritten wäre; denn wehe dem Hunde, wenn
er mir in einem schläsrigen Trab begegnet seyn soll-
te! Und damit er mir nicht an einem Ende von
Kensington entgehen möchte, nach dem er entweder
den Weg über Acton oder über Hamersmith näh-
me; oder an dem andern, nach dem er entweder
durch den Park käme, oder nicht: O! wie viel
hundertmal ritte ich hin und her von dem Palast
bis an die Grenze; so daß ich mich selbst zu einem
Gegenstande machte, den alle betrachteten, die
vorbeykamen, sie mochten zu Pferde oder zu Fu-
ße seyn! Sie wunderten sich sonder Zweifel, daß
sie einen wohlgeputzten und wohl zu Pferde sitzen-

den
Siebenter Theil. A a



Straße, jene hinunter zu der andern, wie mir
mein Pſerd den Weg zeigte. Den ganzen
Weg uͤber verfluchte ich mein eignes Daſeyn:
und ob ich gleich erſt vor kurzer Zeit die ganze
Welt unter mir geſehen hatte; ſo wuͤnſchte ich
doch itzo meine Umſtaͤnde mit dem aͤrmſten Bett-
ler zu vertauſchen, der mich um eine milde Gabe
anſchrie, als ich beym ihm vorbey ritte ‒ ‒ und
warf ihm Geld zu, in Hoffnung, durch ſein Ge-
beth das Gluͤck zu erlangen, wornach meine Seele
ſchmachtet.

Nachdem ich eine oder zwo Stunden, die mir
als drey oder vier verdrießliche Stunden vorka-
men, herumgeſtreifet hatte: ſo war mir bange,
ich moͤchte den Kerl nicht gemerkt haben. Da-
her fragte ich bey allen Schlagbaͤumen, ob nicht
ein Bedienter in ſolcher und ſolcher Liverey auf
ſeinem Ruͤckwege von London in vollen Spruͤngen
durchgeritten waͤre; denn wehe dem Hunde, wenn
er mir in einem ſchlaͤſrigen Trab begegnet ſeyn ſoll-
te! Und damit er mir nicht an einem Ende von
Kenſington entgehen moͤchte, nach dem er entweder
den Weg uͤber Acton oder uͤber Hamerſmith naͤh-
me; oder an dem andern, nach dem er entweder
durch den Park kaͤme, oder nicht: O! wie viel
hundertmal ritte ich hin und her von dem Palaſt
bis an die Grenze; ſo daß ich mich ſelbſt zu einem
Gegenſtande machte, den alle betrachteten, die
vorbeykamen, ſie mochten zu Pferde oder zu Fu-
ße ſeyn! Sie wunderten ſich ſonder Zweifel, daß
ſie einen wohlgeputzten und wohl zu Pferde ſitzen-

den
Siebenter Theil. A a
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0375" n="369"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Straße, <hi rendition="#fr">jene</hi> hinunter zu der andern, wie mir<lb/>
mein P&#x017F;erd den Weg zeigte. Den ganzen<lb/>
Weg u&#x0364;ber verfluchte ich mein eignes Da&#x017F;eyn:<lb/>
und ob ich gleich er&#x017F;t vor kurzer Zeit die ganze<lb/>
Welt <hi rendition="#fr">unter mir</hi> ge&#x017F;ehen hatte; &#x017F;o wu&#x0364;n&#x017F;chte ich<lb/>
doch itzo meine Um&#x017F;ta&#x0364;nde mit dem a&#x0364;rm&#x017F;ten Bett-<lb/>
ler zu vertau&#x017F;chen, der mich um eine milde Gabe<lb/>
an&#x017F;chrie, als ich beym ihm vorbey ritte &#x2012; &#x2012; und<lb/>
warf ihm Geld zu, in Hoffnung, durch &#x017F;ein Ge-<lb/>
beth das Glu&#x0364;ck zu erlangen, wornach meine Seele<lb/>
&#x017F;chmachtet.</p><lb/>
          <p>Nachdem ich eine oder zwo Stunden, die mir<lb/>
als drey oder vier verdrießliche Stunden vorka-<lb/>
men, herumge&#x017F;treifet hatte: &#x017F;o war mir bange,<lb/>
ich mo&#x0364;chte den Kerl nicht gemerkt haben. Da-<lb/>
her fragte ich bey allen Schlagba&#x0364;umen, ob nicht<lb/>
ein Bedienter in &#x017F;olcher und &#x017F;olcher Liverey auf<lb/>
&#x017F;einem Ru&#x0364;ckwege von London in vollen Spru&#x0364;ngen<lb/>
durchgeritten wa&#x0364;re; denn wehe dem Hunde, wenn<lb/>
er mir in einem &#x017F;chla&#x0364;&#x017F;rigen Trab begegnet &#x017F;eyn &#x017F;oll-<lb/>
te! Und damit er mir nicht an einem Ende von<lb/>
Ken&#x017F;ington entgehen mo&#x0364;chte, nach dem er entweder<lb/>
den Weg u&#x0364;ber Acton oder u&#x0364;ber Hamer&#x017F;mith na&#x0364;h-<lb/>
me; oder an dem andern, nach dem er entweder<lb/>
durch den Park ka&#x0364;me, oder nicht: O! wie viel<lb/>
hundertmal ritte ich hin und her von dem Pala&#x017F;t<lb/>
bis an die Grenze; &#x017F;o daß ich mich &#x017F;elb&#x017F;t zu einem<lb/>
Gegen&#x017F;tande machte, den alle betrachteten, die<lb/>
vorbeykamen, &#x017F;ie mochten zu Pferde oder zu Fu-<lb/>
ße &#x017F;eyn! Sie wunderten &#x017F;ich &#x017F;onder Zweifel, daß<lb/>
&#x017F;ie einen wohlgeputzten und wohl zu Pferde &#x017F;itzen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Siebenter Theil.</hi> A a</fw><fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0375] Straße, jene hinunter zu der andern, wie mir mein Pſerd den Weg zeigte. Den ganzen Weg uͤber verfluchte ich mein eignes Daſeyn: und ob ich gleich erſt vor kurzer Zeit die ganze Welt unter mir geſehen hatte; ſo wuͤnſchte ich doch itzo meine Umſtaͤnde mit dem aͤrmſten Bett- ler zu vertauſchen, der mich um eine milde Gabe anſchrie, als ich beym ihm vorbey ritte ‒ ‒ und warf ihm Geld zu, in Hoffnung, durch ſein Ge- beth das Gluͤck zu erlangen, wornach meine Seele ſchmachtet. Nachdem ich eine oder zwo Stunden, die mir als drey oder vier verdrießliche Stunden vorka- men, herumgeſtreifet hatte: ſo war mir bange, ich moͤchte den Kerl nicht gemerkt haben. Da- her fragte ich bey allen Schlagbaͤumen, ob nicht ein Bedienter in ſolcher und ſolcher Liverey auf ſeinem Ruͤckwege von London in vollen Spruͤngen durchgeritten waͤre; denn wehe dem Hunde, wenn er mir in einem ſchlaͤſrigen Trab begegnet ſeyn ſoll- te! Und damit er mir nicht an einem Ende von Kenſington entgehen moͤchte, nach dem er entweder den Weg uͤber Acton oder uͤber Hamerſmith naͤh- me; oder an dem andern, nach dem er entweder durch den Park kaͤme, oder nicht: O! wie viel hundertmal ritte ich hin und her von dem Palaſt bis an die Grenze; ſo daß ich mich ſelbſt zu einem Gegenſtande machte, den alle betrachteten, die vorbeykamen, ſie mochten zu Pferde oder zu Fu- ße ſeyn! Sie wunderten ſich ſonder Zweifel, daß ſie einen wohlgeputzten und wohl zu Pferde ſitzen- den Siebenter Theil. A a

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/375
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/375>, abgerufen am 11.05.2024.