Sodann rieb sie ihre Augen wieder, welche, wie sie sagte, sehr benebelt waren, und sehe ge- nauer auf einem jeden herum, sonderlich auf mich - - Gott segne sie alle, waren ihre Worte! Wie gütig sind sie um mich bekümmert! - - Wer sagt, daß ich ohne Freunde? Wer sagt, daß ich verlassen und unter Fremden sey? - - Lieber Hr. Belford, bezeigen sie sich nicht so ungemein mit- leidig! - - Jn der That - - Hiebey legte sie ihr Schnupftuch an ihre schöne Augen - - sie werden mich weniger glücklich machen, als sie, nach meiner Ueberzeugung, mich zu seyn wün- schen.
Jndem wir so feyerlich beschäfftiget waren, kam ein Bedienter mit einem Briefe von ihrem Vetter Morden. - - So, sprach sie, ist er nicht selbst gekommen!
Sie brach ihn auf: aber eine jede Zeile, sag- te sie, schien ihr gedoppelt; so daß sie mich bat, weil sie ihn selbst nicht zu lesen im Stande war, ihn ihr vorzulesen. Jch that es, und wünschte, daß er ihr mehr zum Troste gereichen möchte. Sie war aber ganz gedultig und aufmerksam. Jedoch tröpfelten oft Thränen ihre Wangen her- unter. Nach der Unterschrift war er gestern ge- schrieben: und hier ist der Hauptinhalt davon.
Er meldet ihr, "daß er Donnerstags vorher "eine Zusammenkunft von allen ihren vornehm- "sten Verwandten bey ihrem Vater zuwege ge- "bracht hätte: ob gleich nicht ohne Schwierigkeit; "indem ihr übermüthiger Bruder sich dagegen
"gesetzet,
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Sodann rieb ſie ihre Augen wieder, welche, wie ſie ſagte, ſehr benebelt waren, und ſehe ge- nauer auf einem jeden herum, ſonderlich auf mich ‒ ‒ Gott ſegne ſie alle, waren ihre Worte! Wie guͤtig ſind ſie um mich bekuͤmmert! ‒ ‒ Wer ſagt, daß ich ohne Freunde? Wer ſagt, daß ich verlaſſen und unter Fremden ſey? ‒ ‒ Lieber Hr. Belford, bezeigen ſie ſich nicht ſo ungemein mit- leidig! ‒ ‒ Jn der That ‒ ‒ Hiebey legte ſie ihr Schnupftuch an ihre ſchoͤne Augen ‒ ‒ ſie werden mich weniger gluͤcklich machen, als ſie, nach meiner Ueberzeugung, mich zu ſeyn wuͤn- ſchen.
Jndem wir ſo feyerlich beſchaͤfftiget waren, kam ein Bedienter mit einem Briefe von ihrem Vetter Morden. ‒ ‒ So, ſprach ſie, iſt er nicht ſelbſt gekommen!
Sie brach ihn auf: aber eine jede Zeile, ſag- te ſie, ſchien ihr gedoppelt; ſo daß ſie mich bat, weil ſie ihn ſelbſt nicht zu leſen im Stande war, ihn ihr vorzuleſen. Jch that es, und wuͤnſchte, daß er ihr mehr zum Troſte gereichen moͤchte. Sie war aber ganz gedultig und aufmerkſam. Jedoch troͤpfelten oft Thraͤnen ihre Wangen her- unter. Nach der Unterſchrift war er geſtern ge- ſchrieben: und hier iſt der Hauptinhalt davon.
Er meldet ihr, „daß er Donnerſtags vorher „eine Zuſammenkunft von allen ihren vornehm- „ſten Verwandten bey ihrem Vater zuwege ge- „bracht haͤtte: ob gleich nicht ohne Schwierigkeit; „indem ihr uͤbermuͤthiger Bruder ſich dagegen
„geſetzet,
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Sodann rieb ſie ihre Augen wieder, welche,
wie ſie ſagte, ſehr benebelt waren, und ſehe ge-
nauer auf einem jeden herum, ſonderlich auf mich
‒ ‒ Gott ſegne ſie alle, waren ihre Worte! Wie
guͤtig ſind ſie um mich bekuͤmmert! ‒ ‒ Wer
ſagt, daß ich ohne Freunde? Wer ſagt, daß ich
verlaſſen und unter Fremden ſey? ‒ ‒ Lieber Hr.
Belford, bezeigen ſie ſich nicht ſo ungemein mit-
leidig! ‒ ‒ Jn der That ‒ ‒ Hiebey legte ſie
ihr Schnupftuch an ihre ſchoͤne Augen ‒ ‒ ſie
werden mich weniger gluͤcklich machen, als ſie,
nach meiner Ueberzeugung, mich zu ſeyn wuͤn-
ſchen.
Jndem wir ſo feyerlich beſchaͤfftiget waren,
kam ein Bedienter mit einem Briefe von ihrem
Vetter Morden. ‒ ‒ So, ſprach ſie, iſt er nicht
ſelbſt gekommen!
Sie brach ihn auf: aber eine jede Zeile, ſag-
te ſie, ſchien ihr gedoppelt; ſo daß ſie mich bat,
weil ſie ihn ſelbſt nicht zu leſen im Stande war,
ihn ihr vorzuleſen. Jch that es, und wuͤnſchte,
daß er ihr mehr zum Troſte gereichen moͤchte.
Sie war aber ganz gedultig und aufmerkſam.
Jedoch troͤpfelten oft Thraͤnen ihre Wangen her-
unter. Nach der Unterſchrift war er geſtern ge-
ſchrieben: und hier iſt der Hauptinhalt davon.
Er meldet ihr, „daß er Donnerſtags vorher
„eine Zuſammenkunft von allen ihren vornehm-
„ſten Verwandten bey ihrem Vater zuwege ge-
„bracht haͤtte: ob gleich nicht ohne Schwierigkeit;
„indem ihr uͤbermuͤthiger Bruder ſich dagegen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/361>, abgerufen am 22.11.2024.
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