Er fuhr fort. Weil sie mich aufzufordern scheinen, Herr Lovelace: so will ich ihnen, ohne mich damit zu rühmen, erzählen, wie meine ge- wöhnliche Lebensart beschaffen gewesen, bis auf die letzte Zeit, da ich mich ein gutes Theil gebes- sert zu haben glaube.
Jch habe mir Freyheiten genommen, welche die Gesetze der Tugend keinesweges rechtfertigen werden: und einmal würde ich mich berechtigt gehalten haben, einem jeden jungen Kerl; der sich gegen eine Schwester von mir solche Freyhei- ten nehmen sollte, als ich mir gegen die Schwestern und Töchter von andern genommen habe, die Kehle abzuschneiden. Aber hiebey nahm ich mich in Acht, daß ich niemals etwas versprach, was ich nicht zu halten willens war. Ein sittsames Ohr würde eher offenbare Zoten aus meinem Munde gehört haben, als das Wort Ehe, wenn ich nicht die Absicht zu heyrathen gehabt hätte. Junge Frauenzimmer sind gemeiniglich bereit genug, zu glauben, daß wir es ehrlich meynen, wenn sie uns lieben: und es würde einer wunderlichen Be- schimpfung ihrer Tugend und Reizungen ähnlich sehen, daß es für nöthig angesehen werden sollte, die Frage zu thun, ob man in seiner Bewerbung um sie eine Absicht auf die Ehe habe. Allein wenn einmal eine Mannsperson ein Versprechen von sich giebt: so, denke ich, muß es billig gehal- ten werden; und ein Frauenzimmer ist wohl be- rechtiget, sich auf den Ausspruch eines jeden gegen die Treulosigkeit eines Betrügers zu berufen, und
ist
Er fuhr fort. Weil ſie mich aufzufordern ſcheinen, Herr Lovelace: ſo will ich ihnen, ohne mich damit zu ruͤhmen, erzaͤhlen, wie meine ge- woͤhnliche Lebensart beſchaffen geweſen, bis auf die letzte Zeit, da ich mich ein gutes Theil gebeſ- ſert zu haben glaube.
Jch habe mir Freyheiten genommen, welche die Geſetze der Tugend keinesweges rechtfertigen werden: und einmal wuͤrde ich mich berechtigt gehalten haben, einem jeden jungen Kerl; der ſich gegen eine Schweſter von mir ſolche Freyhei- ten nehmen ſollte, als ich mir gegen die Schweſtern und Toͤchter von andern genommen habe, die Kehle abzuſchneiden. Aber hiebey nahm ich mich in Acht, daß ich niemals etwas verſprach, was ich nicht zu halten willens war. Ein ſittſames Ohr wuͤrde eher offenbare Zoten aus meinem Munde gehoͤrt haben, als das Wort Ehe, wenn ich nicht die Abſicht zu heyrathen gehabt haͤtte. Junge Frauenzimmer ſind gemeiniglich bereit genug, zu glauben, daß wir es ehrlich meynen, wenn ſie uns lieben: und es wuͤrde einer wunderlichen Be- ſchimpfung ihrer Tugend und Reizungen aͤhnlich ſehen, daß es fuͤr noͤthig angeſehen werden ſollte, die Frage zu thun, ob man in ſeiner Bewerbung um ſie eine Abſicht auf die Ehe habe. Allein wenn einmal eine Mannsperſon ein Verſprechen von ſich giebt: ſo, denke ich, muß es billig gehal- ten werden; und ein Frauenzimmer iſt wohl be- rechtiget, ſich auf den Ausſpruch eines jeden gegen die Treuloſigkeit eines Betruͤgers zu berufen, und
iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0196"n="190"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Er fuhr fort. Weil ſie mich aufzufordern<lb/>ſcheinen, Herr Lovelace: ſo will ich ihnen, ohne<lb/>
mich damit zu ruͤhmen, erzaͤhlen, wie meine ge-<lb/>
woͤhnliche Lebensart beſchaffen geweſen, bis auf<lb/>
die letzte Zeit, da ich mich ein gutes Theil gebeſ-<lb/>ſert zu haben glaube.</p><lb/><p>Jch habe mir Freyheiten genommen, welche<lb/>
die Geſetze der Tugend keinesweges rechtfertigen<lb/>
werden: und einmal wuͤrde ich mich berechtigt<lb/>
gehalten haben, einem jeden jungen Kerl; der<lb/>ſich gegen eine Schweſter von mir ſolche Freyhei-<lb/>
ten nehmen ſollte, als ich mir gegen die Schweſtern<lb/>
und Toͤchter von andern genommen habe, die Kehle<lb/>
abzuſchneiden. Aber hiebey nahm ich mich in<lb/>
Acht, daß ich niemals etwas verſprach, was ich<lb/>
nicht zu halten willens war. Ein ſittſames Ohr<lb/>
wuͤrde eher offenbare Zoten aus meinem Munde<lb/>
gehoͤrt haben, als das Wort Ehe, wenn ich nicht<lb/>
die Abſicht zu heyrathen gehabt haͤtte. Junge<lb/>
Frauenzimmer ſind gemeiniglich bereit genug, zu<lb/>
glauben, daß wir es ehrlich meynen, wenn ſie uns<lb/>
lieben: und es wuͤrde einer wunderlichen Be-<lb/>ſchimpfung ihrer Tugend und Reizungen aͤhnlich<lb/>ſehen, daß es fuͤr <hirendition="#fr">noͤthig</hi> angeſehen werden ſollte,<lb/>
die Frage zu thun, ob man in ſeiner Bewerbung<lb/>
um ſie eine Abſicht auf die Ehe habe. Allein<lb/>
wenn einmal eine Mannsperſon ein Verſprechen<lb/>
von ſich giebt: ſo, denke ich, muß es billig gehal-<lb/>
ten werden; und ein Frauenzimmer iſt wohl be-<lb/>
rechtiget, ſich auf den Ausſpruch eines jeden gegen<lb/>
die Treuloſigkeit eines Betruͤgers zu berufen, und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">iſt</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[190/0196]
Er fuhr fort. Weil ſie mich aufzufordern
ſcheinen, Herr Lovelace: ſo will ich ihnen, ohne
mich damit zu ruͤhmen, erzaͤhlen, wie meine ge-
woͤhnliche Lebensart beſchaffen geweſen, bis auf
die letzte Zeit, da ich mich ein gutes Theil gebeſ-
ſert zu haben glaube.
Jch habe mir Freyheiten genommen, welche
die Geſetze der Tugend keinesweges rechtfertigen
werden: und einmal wuͤrde ich mich berechtigt
gehalten haben, einem jeden jungen Kerl; der
ſich gegen eine Schweſter von mir ſolche Freyhei-
ten nehmen ſollte, als ich mir gegen die Schweſtern
und Toͤchter von andern genommen habe, die Kehle
abzuſchneiden. Aber hiebey nahm ich mich in
Acht, daß ich niemals etwas verſprach, was ich
nicht zu halten willens war. Ein ſittſames Ohr
wuͤrde eher offenbare Zoten aus meinem Munde
gehoͤrt haben, als das Wort Ehe, wenn ich nicht
die Abſicht zu heyrathen gehabt haͤtte. Junge
Frauenzimmer ſind gemeiniglich bereit genug, zu
glauben, daß wir es ehrlich meynen, wenn ſie uns
lieben: und es wuͤrde einer wunderlichen Be-
ſchimpfung ihrer Tugend und Reizungen aͤhnlich
ſehen, daß es fuͤr noͤthig angeſehen werden ſollte,
die Frage zu thun, ob man in ſeiner Bewerbung
um ſie eine Abſicht auf die Ehe habe. Allein
wenn einmal eine Mannsperſon ein Verſprechen
von ſich giebt: ſo, denke ich, muß es billig gehal-
ten werden; und ein Frauenzimmer iſt wohl be-
rechtiget, ſich auf den Ausſpruch eines jeden gegen
die Treuloſigkeit eines Betruͤgers zu berufen, und
iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/196>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.