"Die Fräulein, würde ich sagen, denkt den "Herrn zu nehmen: das sehe ich offenbar. Al- "lein ich sehe auch eben so offenbar, daß sie sehr "gleichgültig gegen ihn ist. Woher mag denn "diese Gleichgültigkeit kommen? Sonder Zwei- "fel von einer oder von allen diesen Betrachtun- "gen: Sie nimmt seine Anwerbung vielmehr des- "wegen an, weil es sich schicket, als daß sie selbst "Belieben daran finden sollte; sie hat eine schlech- "te Meynung von seinen Gaben und Verstan- "deskräften, wenigstens hegt sie höhere Gedanken "von ihren eignen Vorzügen; oder sie ist nicht "edelmüthig genug, sich der Gewalt, die ihr seine "große Neigung zu ihr in die Hände giebet, mit "gehöriger Mäßigung zu bedienen.
Wie würde es Jhnen gefallen, wertheste Freundinn, wenn man irgend eines von diesen Dingen sagte?
Wollten Sie hiernächst wohl Leuten von freyer Lebensart und freyen Reden den geringsten Schein eines Grundes an die Hand geben, aus welchem sie sagen oder sich einbilden könnten, daß die Fräulein Howe ihre Hand einem Manne ge- be, der an ihrem Herzen keinen Theil hat? Jch bin versichert, Sie würden nicht wünschen, daß etwas dergleichen nur einmal vermuthet werden sollte. Ueber dieß müßte sich, wie ich denken sollte, alle Achtung, die Sie ihm nach diesem be- weisen werden, da ihm vorher keine von Jhnen bewiesen ist, leicht als eine bloße Höflichkeit gegen den Ehegatten, wodurch der Zärtlichkeit der
Frauen
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„Die Fraͤulein, wuͤrde ich ſagen, denkt den „Herrn zu nehmen: das ſehe ich offenbar. Al- „lein ich ſehe auch eben ſo offenbar, daß ſie ſehr „gleichguͤltig gegen ihn iſt. Woher mag denn „dieſe Gleichguͤltigkeit kommen? Sonder Zwei- „fel von einer oder von allen dieſen Betrachtun- „gen: Sie nimmt ſeine Anwerbung vielmehr des- „wegen an, weil es ſich ſchicket, als daß ſie ſelbſt „Belieben daran finden ſollte; ſie hat eine ſchlech- „te Meynung von ſeinen Gaben und Verſtan- „deskraͤften, wenigſtens hegt ſie hoͤhere Gedanken „von ihren eignen Vorzuͤgen; oder ſie iſt nicht „edelmuͤthig genug, ſich der Gewalt, die ihr ſeine „große Neigung zu ihr in die Haͤnde giebet, mit „gehoͤriger Maͤßigung zu bedienen.
Wie wuͤrde es Jhnen gefallen, wertheſte Freundinn, wenn man irgend eines von dieſen Dingen ſagte?
Wollten Sie hiernaͤchſt wohl Leuten von freyer Lebensart und freyen Reden den geringſten Schein eines Grundes an die Hand geben, aus welchem ſie ſagen oder ſich einbilden koͤnnten, daß die Fraͤulein Howe ihre Hand einem Manne ge- be, der an ihrem Herzen keinen Theil hat? Jch bin verſichert, Sie wuͤrden nicht wuͤnſchen, daß etwas dergleichen nur einmal vermuthet werden ſollte. Ueber dieß muͤßte ſich, wie ich denken ſollte, alle Achtung, die Sie ihm nach dieſem be- weiſen werden, da ihm vorher keine von Jhnen bewieſen iſt, leicht als eine bloße Hoͤflichkeit gegen den Ehegatten, wodurch der Zaͤrtlichkeit der
Frauen
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„Die Fraͤulein, wuͤrde ich ſagen, denkt den
„Herrn zu nehmen: das ſehe ich offenbar. Al-
„lein ich ſehe auch eben ſo offenbar, daß ſie ſehr
„gleichguͤltig gegen ihn iſt. Woher mag denn
„dieſe Gleichguͤltigkeit kommen? Sonder Zwei-
„fel von einer oder von allen dieſen Betrachtun-
„gen: Sie nimmt ſeine Anwerbung vielmehr des-
„wegen an, weil es ſich ſchicket, als daß ſie ſelbſt
„Belieben daran finden ſollte; ſie hat eine ſchlech-
„te Meynung von ſeinen Gaben und Verſtan-
„deskraͤften, wenigſtens hegt ſie hoͤhere Gedanken
„von ihren eignen Vorzuͤgen; oder ſie iſt nicht
„edelmuͤthig genug, ſich der Gewalt, die ihr ſeine
„große Neigung zu ihr in die Haͤnde giebet, mit
„gehoͤriger Maͤßigung zu bedienen.
Wie wuͤrde es Jhnen gefallen, wertheſte
Freundinn, wenn man irgend eines von dieſen
Dingen ſagte?
Wollten Sie hiernaͤchſt wohl Leuten von
freyer Lebensart und freyen Reden den geringſten
Schein eines Grundes an die Hand geben, aus
welchem ſie ſagen oder ſich einbilden koͤnnten, daß
die Fraͤulein Howe ihre Hand einem Manne ge-
be, der an ihrem Herzen keinen Theil hat? Jch
bin verſichert, Sie wuͤrden nicht wuͤnſchen, daß
etwas dergleichen nur einmal vermuthet werden
ſollte. Ueber dieß muͤßte ſich, wie ich denken
ſollte, alle Achtung, die Sie ihm nach dieſem be-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/141>, abgerufen am 23.11.2024.
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