Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



hat niemals so beißend gegen Jhre Freundinn
dergleichen Worte, die bey einem erbitterten Ge-
müthe und einem verrückten Kopfe geschrieben
sind, wiederholen können. Sie ist auch nimmer-
mehr im Stande gewesen, Jhrer Freundinn mit
unfreundlicher Härte und untermengten witzigen
Stichen einen Entscheidungsgrund wieder zu
Gemüthe zu führen, der vormals von ihr gebrau-
chet worden, als ihr Herz in Lust und Fröhlich-
keit durch gute Tage aufgeblasen war, wie es
meinem Herzen damals ging, und gar nicht be-
fürchtete, daß eben der Grund einstens so strenge
gegen sie selbst angewandt werden möchte.

Allein wie schickt es sich; da meine Glücks-
umstände verschwunden sind; da mein guter Na-
me verscherzet, meine Ehre verlohren ist; denn
weil ich es weiß, bekümmere ich mich nicht dar-
um, wer es mehr wisse; da ich aller Freunde, ja
gar aller Hoffnung beraubet bin; wie schickt es
sich, daß ich gegen eine werthe Freundinn mit
hitzigem Muthe deswegen murre und mich be-
schwere, weil Sie nicht gütiger ist, als eine leib-
liche Schwester? - -

Jch finde bey der aufsteigenden Bitterkeit,
die sich mit der Galle in meiner Dinte vermi-
schen will, daß ich noch nicht genug nach
meinen Umständen gedemüthiget bin. Daher
bitte ich Sie um Verzeihung, daß ich meine
Hoffnung zu einiger erwarteten Gewogenheit
vielmehr auf die zärtliche Liebe, die Sie mir
sonst zu bezeigen pflegten, als auf das, was ich

nun



hat niemals ſo beißend gegen Jhre Freundinn
dergleichen Worte, die bey einem erbitterten Ge-
muͤthe und einem verruͤckten Kopfe geſchrieben
ſind, wiederholen koͤnnen. Sie iſt auch nimmer-
mehr im Stande geweſen, Jhrer Freundinn mit
unfreundlicher Haͤrte und untermengten witzigen
Stichen einen Entſcheidungsgrund wieder zu
Gemuͤthe zu fuͤhren, der vormals von ihr gebrau-
chet worden, als ihr Herz in Luſt und Froͤhlich-
keit durch gute Tage aufgeblaſen war, wie es
meinem Herzen damals ging, und gar nicht be-
fuͤrchtete, daß eben der Grund einſtens ſo ſtrenge
gegen ſie ſelbſt angewandt werden moͤchte.

Allein wie ſchickt es ſich; da meine Gluͤcks-
umſtaͤnde verſchwunden ſind; da mein guter Na-
me verſcherzet, meine Ehre verlohren iſt; denn
weil ich es weiß, bekuͤmmere ich mich nicht dar-
um, wer es mehr wiſſe; da ich aller Freunde, ja
gar aller Hoffnung beraubet bin; wie ſchickt es
ſich, daß ich gegen eine werthe Freundinn mit
hitzigem Muthe deswegen murre und mich be-
ſchwere, weil Sie nicht guͤtiger iſt, als eine leib-
liche Schweſter? ‒ ‒

Jch finde bey der aufſteigenden Bitterkeit,
die ſich mit der Galle in meiner Dinte vermi-
ſchen will, daß ich noch nicht genug nach
meinen Umſtaͤnden gedemuͤthiget bin. Daher
bitte ich Sie um Verzeihung, daß ich meine
Hoffnung zu einiger erwarteten Gewogenheit
vielmehr auf die zaͤrtliche Liebe, die Sie mir
ſonſt zu bezeigen pflegten, als auf das, was ich

nun
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0094" n="88"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
hat niemals &#x017F;o <hi rendition="#fr">beißend</hi> gegen Jhre Freundinn<lb/>
dergleichen Worte, die bey einem erbitterten Ge-<lb/>
mu&#x0364;the und einem verru&#x0364;ckten Kopfe ge&#x017F;chrieben<lb/>
&#x017F;ind, wiederholen ko&#x0364;nnen. Sie i&#x017F;t auch nimmer-<lb/>
mehr im Stande gewe&#x017F;en, Jhrer Freundinn mit<lb/>
unfreundlicher Ha&#x0364;rte und untermengten witzigen<lb/>
Stichen einen Ent&#x017F;cheidungsgrund wieder zu<lb/>
Gemu&#x0364;the zu fu&#x0364;hren, der vormals von ihr gebrau-<lb/>
chet worden, als ihr Herz in Lu&#x017F;t und Fro&#x0364;hlich-<lb/>
keit durch gute Tage aufgebla&#x017F;en war, wie es<lb/>
meinem Herzen damals ging, und gar nicht be-<lb/>
fu&#x0364;rchtete, daß eben der Grund ein&#x017F;tens &#x017F;o &#x017F;trenge<lb/>
gegen &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t angewandt werden mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Allein wie &#x017F;chickt es &#x017F;ich; da meine Glu&#x0364;cks-<lb/>
um&#x017F;ta&#x0364;nde ver&#x017F;chwunden &#x017F;ind; da mein guter Na-<lb/>
me ver&#x017F;cherzet, meine Ehre verlohren i&#x017F;t; denn<lb/>
weil ich es weiß, beku&#x0364;mmere ich mich nicht dar-<lb/>
um, <hi rendition="#fr">wer</hi> es mehr wi&#x017F;&#x017F;e; da ich aller Freunde, ja<lb/>
gar aller Hoffnung beraubet bin; wie &#x017F;chickt es<lb/>
&#x017F;ich, daß ich gegen eine werthe Freundinn mit<lb/>
hitzigem Muthe deswegen murre und mich be-<lb/>
&#x017F;chwere, weil Sie nicht <hi rendition="#fr">gu&#x0364;tiger</hi> i&#x017F;t, als eine leib-<lb/>
liche Schwe&#x017F;ter? &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Jch finde bey der auf&#x017F;teigenden Bitterkeit,<lb/>
die &#x017F;ich mit der Galle in meiner Dinte vermi-<lb/>
&#x017F;chen will, daß ich noch nicht genug nach<lb/>
meinen Um&#x017F;ta&#x0364;nden gedemu&#x0364;thiget bin. Daher<lb/>
bitte ich Sie um Verzeihung, daß ich meine<lb/>
Hoffnung zu einiger erwarteten Gewogenheit<lb/>
vielmehr auf die za&#x0364;rtliche Liebe, die Sie mir<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t zu bezeigen <hi rendition="#fr">pflegten,</hi> als auf das, was ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">nun</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0094] hat niemals ſo beißend gegen Jhre Freundinn dergleichen Worte, die bey einem erbitterten Ge- muͤthe und einem verruͤckten Kopfe geſchrieben ſind, wiederholen koͤnnen. Sie iſt auch nimmer- mehr im Stande geweſen, Jhrer Freundinn mit unfreundlicher Haͤrte und untermengten witzigen Stichen einen Entſcheidungsgrund wieder zu Gemuͤthe zu fuͤhren, der vormals von ihr gebrau- chet worden, als ihr Herz in Luſt und Froͤhlich- keit durch gute Tage aufgeblaſen war, wie es meinem Herzen damals ging, und gar nicht be- fuͤrchtete, daß eben der Grund einſtens ſo ſtrenge gegen ſie ſelbſt angewandt werden moͤchte. Allein wie ſchickt es ſich; da meine Gluͤcks- umſtaͤnde verſchwunden ſind; da mein guter Na- me verſcherzet, meine Ehre verlohren iſt; denn weil ich es weiß, bekuͤmmere ich mich nicht dar- um, wer es mehr wiſſe; da ich aller Freunde, ja gar aller Hoffnung beraubet bin; wie ſchickt es ſich, daß ich gegen eine werthe Freundinn mit hitzigem Muthe deswegen murre und mich be- ſchwere, weil Sie nicht guͤtiger iſt, als eine leib- liche Schweſter? ‒ ‒ Jch finde bey der aufſteigenden Bitterkeit, die ſich mit der Galle in meiner Dinte vermi- ſchen will, daß ich noch nicht genug nach meinen Umſtaͤnden gedemuͤthiget bin. Daher bitte ich Sie um Verzeihung, daß ich meine Hoffnung zu einiger erwarteten Gewogenheit vielmehr auf die zaͤrtliche Liebe, die Sie mir ſonſt zu bezeigen pflegten, als auf das, was ich nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/94
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/94>, abgerufen am 18.05.2024.