Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Treulosigkeit seyn möge; ja ist um nichts in die-
sem Leben so bekümmert, als dem Unglück vorzu-
beugen, das zur Rache demjenigen begegnen,
oder von demjenigen entstehen könnte, der mit
ihr so schändlich umgegangen ist.

Dieß heißet Buße! Dieß heißet Gottselig-
keit! Und daher wird es natürlicher Weise ein
Unglück. welches nach Würden ein jedes Herz
rühren muß.

So übel dieser vortrefflichen Fräulein auch
von ihren Verwandten begegnet wird: so bricht
es doch bey ihr in keine Ausschweifungen aus.
Sie bestrebt sich im Gegentheil vielmehr, Gründe
zu finden, damit sie jene rechtfertige und sich selbst
Schuld gebe. Sie scheint wegen der Grausam-
keit derselben mehr um desjenigen willen, was
ihnen nach diesem, wenn sie nicht mehr da seyn
wird, beschwerlich seyn kann, als um ihrer selbst
willen bekümmert. Denn in Ansehung ihrer
selbst, sagt sie, ist sie versichert, daß Gott ihr ver-
geben werde, wenn ihr gleich sonst niemand ver-
geben will.

So oft sie außerordentlich von ihnen gereizet
wird, nimmt sie ihre Zuflucht zur heiligen Schrift,
und bemühet sich ihre Heftigkeit nach dem Bey-
spiel geheiligter Vorgänger zu mäßigen. Fröm-
mere und bessere Leute, spricht sie, wären mehr
geplaget worden als sie, so schmerzlich sie auch
bisweilen ihr Trübsal achtete: sollte sie denn nicht
ertragen, was weniger strafwürdige Personen er-
tragen haben. Wie sanftmüthig, und doch hestig,

sie



Treuloſigkeit ſeyn moͤge; ja iſt um nichts in die-
ſem Leben ſo bekuͤmmert, als dem Ungluͤck vorzu-
beugen, das zur Rache demjenigen begegnen,
oder von demjenigen entſtehen koͤnnte, der mit
ihr ſo ſchaͤndlich umgegangen iſt.

Dieß heißet Buße! Dieß heißet Gottſelig-
keit! Und daher wird es natuͤrlicher Weiſe ein
Ungluͤck. welches nach Wuͤrden ein jedes Herz
ruͤhren muß.

So uͤbel dieſer vortrefflichen Fraͤulein auch
von ihren Verwandten begegnet wird: ſo bricht
es doch bey ihr in keine Ausſchweifungen aus.
Sie beſtrebt ſich im Gegentheil vielmehr, Gruͤnde
zu finden, damit ſie jene rechtfertige und ſich ſelbſt
Schuld gebe. Sie ſcheint wegen der Grauſam-
keit derſelben mehr um desjenigen willen, was
ihnen nach dieſem, wenn ſie nicht mehr da ſeyn
wird, beſchwerlich ſeyn kann, als um ihrer ſelbſt
willen bekuͤmmert. Denn in Anſehung ihrer
ſelbſt, ſagt ſie, iſt ſie verſichert, daß Gott ihr ver-
geben werde, wenn ihr gleich ſonſt niemand ver-
geben will.

So oft ſie außerordentlich von ihnen gereizet
wird, nimmt ſie ihre Zuflucht zur heiligen Schrift,
und bemuͤhet ſich ihre Heftigkeit nach dem Bey-
ſpiel geheiligter Vorgaͤnger zu maͤßigen. Froͤm-
mere und beſſere Leute, ſpricht ſie, waͤren mehr
geplaget worden als ſie, ſo ſchmerzlich ſie auch
bisweilen ihr Truͤbſal achtete: ſollte ſie denn nicht
ertragen, was weniger ſtrafwuͤrdige Perſonen er-
tragen haben. Wie ſanftmuͤthig, und doch heſtig,

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0790" n="784"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Treulo&#x017F;igkeit &#x017F;eyn mo&#x0364;ge; ja i&#x017F;t um nichts in die-<lb/>
&#x017F;em Leben &#x017F;o beku&#x0364;mmert, als dem Unglu&#x0364;ck vorzu-<lb/>
beugen, das zur Rache <hi rendition="#fr">demjenigen</hi> begegnen,<lb/>
oder <hi rendition="#fr">von</hi> demjenigen ent&#x017F;tehen ko&#x0364;nnte, der mit<lb/>
ihr &#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;ndlich umgegangen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Dieß heißet Buße! Dieß heißet Gott&#x017F;elig-<lb/>
keit! Und daher wird es natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e ein<lb/>
Unglu&#x0364;ck. welches <hi rendition="#fr">nach Wu&#x0364;rden</hi> ein jedes Herz<lb/>
ru&#x0364;hren muß.</p><lb/>
          <p>So u&#x0364;bel die&#x017F;er vortrefflichen Fra&#x0364;ulein auch<lb/>
von ihren Verwandten begegnet wird: &#x017F;o bricht<lb/>
es doch bey ihr in keine Aus&#x017F;chweifungen aus.<lb/>
Sie be&#x017F;trebt &#x017F;ich im Gegentheil vielmehr, Gru&#x0364;nde<lb/>
zu finden, damit &#x017F;ie jene rechtfertige und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
Schuld gebe. Sie &#x017F;cheint wegen der Grau&#x017F;am-<lb/>
keit der&#x017F;elben mehr um desjenigen willen, was<lb/>
ihnen nach die&#x017F;em, wenn &#x017F;ie nicht mehr da &#x017F;eyn<lb/>
wird, be&#x017F;chwerlich &#x017F;eyn kann, als um ihrer &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
willen beku&#x0364;mmert. Denn in An&#x017F;ehung ihrer<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;agt &#x017F;ie, i&#x017F;t &#x017F;ie ver&#x017F;ichert, daß Gott ihr ver-<lb/>
geben werde, wenn ihr gleich &#x017F;on&#x017F;t niemand ver-<lb/>
geben will.</p><lb/>
          <p>So oft &#x017F;ie außerordentlich von ihnen gereizet<lb/>
wird, nimmt &#x017F;ie ihre Zuflucht zur heiligen Schrift,<lb/>
und bemu&#x0364;het &#x017F;ich ihre Heftigkeit nach dem Bey-<lb/>
&#x017F;piel geheiligter Vorga&#x0364;nger zu ma&#x0364;ßigen. Fro&#x0364;m-<lb/>
mere und be&#x017F;&#x017F;ere Leute, &#x017F;pricht &#x017F;ie, wa&#x0364;ren mehr<lb/>
geplaget worden als &#x017F;ie, &#x017F;o &#x017F;chmerzlich &#x017F;ie auch<lb/>
bisweilen ihr Tru&#x0364;b&#x017F;al achtete: &#x017F;ollte &#x017F;ie denn nicht<lb/>
ertragen, was weniger &#x017F;trafwu&#x0364;rdige Per&#x017F;onen er-<lb/>
tragen haben. Wie &#x017F;anftmu&#x0364;thig, und doch he&#x017F;tig,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[784/0790] Treuloſigkeit ſeyn moͤge; ja iſt um nichts in die- ſem Leben ſo bekuͤmmert, als dem Ungluͤck vorzu- beugen, das zur Rache demjenigen begegnen, oder von demjenigen entſtehen koͤnnte, der mit ihr ſo ſchaͤndlich umgegangen iſt. Dieß heißet Buße! Dieß heißet Gottſelig- keit! Und daher wird es natuͤrlicher Weiſe ein Ungluͤck. welches nach Wuͤrden ein jedes Herz ruͤhren muß. So uͤbel dieſer vortrefflichen Fraͤulein auch von ihren Verwandten begegnet wird: ſo bricht es doch bey ihr in keine Ausſchweifungen aus. Sie beſtrebt ſich im Gegentheil vielmehr, Gruͤnde zu finden, damit ſie jene rechtfertige und ſich ſelbſt Schuld gebe. Sie ſcheint wegen der Grauſam- keit derſelben mehr um desjenigen willen, was ihnen nach dieſem, wenn ſie nicht mehr da ſeyn wird, beſchwerlich ſeyn kann, als um ihrer ſelbſt willen bekuͤmmert. Denn in Anſehung ihrer ſelbſt, ſagt ſie, iſt ſie verſichert, daß Gott ihr ver- geben werde, wenn ihr gleich ſonſt niemand ver- geben will. So oft ſie außerordentlich von ihnen gereizet wird, nimmt ſie ihre Zuflucht zur heiligen Schrift, und bemuͤhet ſich ihre Heftigkeit nach dem Bey- ſpiel geheiligter Vorgaͤnger zu maͤßigen. Froͤm- mere und beſſere Leute, ſpricht ſie, waͤren mehr geplaget worden als ſie, ſo ſchmerzlich ſie auch bisweilen ihr Truͤbſal achtete: ſollte ſie denn nicht ertragen, was weniger ſtrafwuͤrdige Perſonen er- tragen haben. Wie ſanftmuͤthig, und doch heſtig, ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/790
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 784. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/790>, abgerufen am 17.06.2024.