Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



daß meine Reue nicht so wohl von wahrer
Ueberzeugung, als von einem Misvergnügen über
meine fehlgeschlagene Hoffnung herkomme: so
erlauben Sie mir, gnädige Frau, darauf zu beste-
hen, daß ich wirklich ein Recht habe auf den
Segen, um welchen ich flehe, einen Anspruch
zu machen;
weil meine demüthige Bitte sich
auf eine wahre und ungeheuchelte Reue gründet.
Dieß werden Sie desto eher glauben: wofern
diejenige, welche niemals, nach ihrem besten Wis-
sen, ihrer Mutter vorsetzlich eine Unwahrheit ge-
saget hat, Glauben finden kann; wenn sie auf die
feyerlichste Weise, wie sie thut, versichert, daß sie
zu dem Verführer, mit dem festen Vorsatz, nicht
mit ihm abzugehen, gekommen sey; daß der un-
besonnene Schritt, den sie gethan hat, mehr aus
Zwang, als aus Bethörung, geschehen; und daß
ihr Herz so wenig dazu geneigt gewesen, daß sie
von dem Augenblick an, da sie sich in seiner Ge-
walt befunden, und alle Augenblicke hernach, ver-
schiedne Wochen vorher, ehe sie die geringste
Ursache gehabt, die ihr widerfahrne Begegnung
von ihm zu befürchten, Reue und Kummer dar-
über empfunden habe.

Daher bitte ich Sie, meine beständig geehrte
Fr. Mutter, in der größten Demuth auf meinen
Knieen um Jhren Segen: denn auf meinen
Knieen schreibe ich diesen Brief. Jch verlange
nicht, daß Sie mich Jhre Tochter nennen: sagen
Sie nur in so vielen Worten: Verlohrnes,
unglückliches, elendes Geschöpfe, ich ver-

gebe
X x 5



daß meine Reue nicht ſo wohl von wahrer
Ueberzeugung, als von einem Misvergnuͤgen uͤber
meine fehlgeſchlagene Hoffnung herkomme: ſo
erlauben Sie mir, gnaͤdige Frau, darauf zu beſte-
hen, daß ich wirklich ein Recht habe auf den
Segen, um welchen ich flehe, einen Anſpruch
zu machen;
weil meine demuͤthige Bitte ſich
auf eine wahre und ungeheuchelte Reue gruͤndet.
Dieß werden Sie deſto eher glauben: wofern
diejenige, welche niemals, nach ihrem beſten Wiſ-
ſen, ihrer Mutter vorſetzlich eine Unwahrheit ge-
ſaget hat, Glauben finden kann; wenn ſie auf die
feyerlichſte Weiſe, wie ſie thut, verſichert, daß ſie
zu dem Verfuͤhrer, mit dem feſten Vorſatz, nicht
mit ihm abzugehen, gekommen ſey; daß der un-
beſonnene Schritt, den ſie gethan hat, mehr aus
Zwang, als aus Bethoͤrung, geſchehen; und daß
ihr Herz ſo wenig dazu geneigt geweſen, daß ſie
von dem Augenblick an, da ſie ſich in ſeiner Ge-
walt befunden, und alle Augenblicke hernach, ver-
ſchiedne Wochen vorher, ehe ſie die geringſte
Urſache gehabt, die ihr widerfahrne Begegnung
von ihm zu befuͤrchten, Reue und Kummer dar-
uͤber empfunden habe.

Daher bitte ich Sie, meine beſtaͤndig geehrte
Fr. Mutter, in der groͤßten Demuth auf meinen
Knieen um Jhren Segen: denn auf meinen
Knieen ſchreibe ich dieſen Brief. Jch verlange
nicht, daß Sie mich Jhre Tochter nennen: ſagen
Sie nur in ſo vielen Worten: Verlohrnes,
ungluͤckliches, elendes Geſchoͤpfe, ich ver-

gebe
X x 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0703" n="697"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
daß meine Reue nicht &#x017F;o wohl von wahrer<lb/>
Ueberzeugung, als von einem Misvergnu&#x0364;gen u&#x0364;ber<lb/>
meine fehlge&#x017F;chlagene Hoffnung herkomme: &#x017F;o<lb/>
erlauben Sie mir, gna&#x0364;dige Frau, darauf zu be&#x017F;te-<lb/>
hen, daß ich wirklich ein <hi rendition="#fr">Recht</hi> habe auf den<lb/>
Segen, um welchen ich flehe, einen <hi rendition="#fr">An&#x017F;pruch<lb/>
zu machen;</hi> weil meine demu&#x0364;thige Bitte &#x017F;ich<lb/>
auf eine wahre und ungeheuchelte Reue gru&#x0364;ndet.<lb/>
Dieß werden Sie de&#x017F;to eher glauben: wofern<lb/>
diejenige, welche niemals, nach ihrem be&#x017F;ten Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, ihrer Mutter vor&#x017F;etzlich eine Unwahrheit ge-<lb/>
&#x017F;aget hat, Glauben finden kann; wenn &#x017F;ie auf die<lb/>
feyerlich&#x017F;te Wei&#x017F;e, wie &#x017F;ie thut, ver&#x017F;ichert, daß &#x017F;ie<lb/>
zu dem Verfu&#x0364;hrer, mit dem fe&#x017F;ten Vor&#x017F;atz, nicht<lb/>
mit ihm abzugehen, gekommen &#x017F;ey; daß der un-<lb/>
be&#x017F;onnene Schritt, den &#x017F;ie gethan hat, mehr aus<lb/>
Zwang, als aus Betho&#x0364;rung, ge&#x017F;chehen; und daß<lb/>
ihr Herz &#x017F;o wenig dazu geneigt gewe&#x017F;en, daß &#x017F;ie<lb/>
von dem Augenblick an, da &#x017F;ie &#x017F;ich in &#x017F;einer Ge-<lb/>
walt befunden, und alle Augenblicke hernach, ver-<lb/>
&#x017F;chiedne Wochen <hi rendition="#fr">vorher,</hi> ehe &#x017F;ie die gering&#x017F;te<lb/>
Ur&#x017F;ache gehabt, die ihr widerfahrne Begegnung<lb/>
von ihm zu befu&#x0364;rchten, Reue und Kummer dar-<lb/>
u&#x0364;ber empfunden habe.</p><lb/>
          <p>Daher bitte ich Sie, meine be&#x017F;ta&#x0364;ndig geehrte<lb/>
Fr. Mutter, in der gro&#x0364;ßten Demuth auf meinen<lb/>
Knieen um Jhren Segen: denn auf meinen<lb/>
Knieen &#x017F;chreibe ich die&#x017F;en Brief. Jch verlange<lb/>
nicht, daß Sie mich Jhre Tochter nennen: &#x017F;agen<lb/>
Sie nur in &#x017F;o vielen Worten: <hi rendition="#fr">Verlohrnes,<lb/>
unglu&#x0364;ckliches, elendes Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe, ich ver-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X x 5</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">gebe</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[697/0703] daß meine Reue nicht ſo wohl von wahrer Ueberzeugung, als von einem Misvergnuͤgen uͤber meine fehlgeſchlagene Hoffnung herkomme: ſo erlauben Sie mir, gnaͤdige Frau, darauf zu beſte- hen, daß ich wirklich ein Recht habe auf den Segen, um welchen ich flehe, einen Anſpruch zu machen; weil meine demuͤthige Bitte ſich auf eine wahre und ungeheuchelte Reue gruͤndet. Dieß werden Sie deſto eher glauben: wofern diejenige, welche niemals, nach ihrem beſten Wiſ- ſen, ihrer Mutter vorſetzlich eine Unwahrheit ge- ſaget hat, Glauben finden kann; wenn ſie auf die feyerlichſte Weiſe, wie ſie thut, verſichert, daß ſie zu dem Verfuͤhrer, mit dem feſten Vorſatz, nicht mit ihm abzugehen, gekommen ſey; daß der un- beſonnene Schritt, den ſie gethan hat, mehr aus Zwang, als aus Bethoͤrung, geſchehen; und daß ihr Herz ſo wenig dazu geneigt geweſen, daß ſie von dem Augenblick an, da ſie ſich in ſeiner Ge- walt befunden, und alle Augenblicke hernach, ver- ſchiedne Wochen vorher, ehe ſie die geringſte Urſache gehabt, die ihr widerfahrne Begegnung von ihm zu befuͤrchten, Reue und Kummer dar- uͤber empfunden habe. Daher bitte ich Sie, meine beſtaͤndig geehrte Fr. Mutter, in der groͤßten Demuth auf meinen Knieen um Jhren Segen: denn auf meinen Knieen ſchreibe ich dieſen Brief. Jch verlange nicht, daß Sie mich Jhre Tochter nennen: ſagen Sie nur in ſo vielen Worten: Verlohrnes, ungluͤckliches, elendes Geſchoͤpfe, ich ver- gebe X x 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/703
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 697. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/703>, abgerufen am 16.06.2024.