Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


Oder mit bedrängtem Zittern unter dickem Eise
lebt;
Oder in der weiten Luft ewig eingekerkert
lieget;
Oder, durch Gewalt gejagt, um die losen Wel-
ten flieget;
Oder sich im ärgsten Jammer, wie man unge-
wiß erdenkt,
Unter einem großen Haufen heulender Gequäl-
ten kränkt;
Das ist gar zu schreckensvoll! Selbst in denen
harten Tagen,
Die wir, als ein schweres Joch mit Verdruß
und Mühe tragen,
Selbst, wann Kummer, Alter, Mangel und
Gefangenschaft uns drückt,
Und sich die Natur mit Schmerzen unter sol-
cher Bürde bückt,
Jst das Leben auf der Welt für ein Paradies
zu schätzen,
Wenn wir unsre Todesfurcht hiemit in Ver-
gleichung setzen.

Jch sehe aus einem von denen dreyen Brie-
fen, daß meine Geliebte durch Herr Hickmann
einige Nachricht von meiner Unterredung mit
der Fräulein Howe, bey dem Obristen Ambrose,
bekommen hat. Jch hatte daselbst eine angeneh-
me Weile darüber: ob ich gleich von verschied-
nen in der Gesellschaft beißend mitgenommen
wurde. Jnzwischen macht es mir doch nicht
wenig Kummer, daß ich unsere Sache unter den
schwatzhaften Flattergeistern von beyderley
Geschlecht so überall ausgeblasen finde. Es ist
ganz ihre eigne Schuld. Gewiß es ist niemals

eine
P p 2


Oder mit bedraͤngtem Zittern unter dickem Eiſe
lebt;
Oder in der weiten Luft ewig eingekerkert
lieget;
Oder, durch Gewalt gejagt, um die loſen Wel-
ten flieget;
Oder ſich im aͤrgſten Jammer, wie man unge-
wiß erdenkt,
Unter einem großen Haufen heulender Gequaͤl-
ten kraͤnkt;
Das iſt gar zu ſchreckensvoll! Selbſt in denen
harten Tagen,
Die wir, als ein ſchweres Joch mit Verdruß
und Muͤhe tragen,
Selbſt, wann Kummer, Alter, Mangel und
Gefangenſchaft uns druͤckt,
Und ſich die Natur mit Schmerzen unter ſol-
cher Buͤrde buͤckt,
Jſt das Leben auf der Welt fuͤr ein Paradies
zu ſchaͤtzen,
Wenn wir unſre Todesfurcht hiemit in Ver-
gleichung ſetzen.

Jch ſehe aus einem von denen dreyen Brie-
fen, daß meine Geliebte durch Herr Hickmann
einige Nachricht von meiner Unterredung mit
der Fraͤulein Howe, bey dem Obriſten Ambroſe,
bekommen hat. Jch hatte daſelbſt eine angeneh-
me Weile daruͤber: ob ich gleich von verſchied-
nen in der Geſellſchaft beißend mitgenommen
wurde. Jnzwiſchen macht es mir doch nicht
wenig Kummer, daß ich unſere Sache unter den
ſchwatzhaften Flattergeiſtern von beyderley
Geſchlecht ſo uͤberall ausgeblaſen finde. Es iſt
ganz ihre eigne Schuld. Gewiß es iſt niemals

eine
P p 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0601" n="595"/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <l>Oder mit bedra&#x0364;ngtem Zittern unter dickem Ei&#x017F;e</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">lebt;</hi> </l><lb/>
            <l>Oder in der weiten Luft ewig eingekerkert</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">lieget;</hi> </l><lb/>
            <l>Oder, durch Gewalt gejagt, um die lo&#x017F;en Wel-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">ten flieget;</hi> </l><lb/>
            <l>Oder &#x017F;ich im a&#x0364;rg&#x017F;ten Jammer, wie man unge-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">wiß erdenkt,</hi> </l><lb/>
            <l>Unter einem großen Haufen heulender Gequa&#x0364;l-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">ten kra&#x0364;nkt;</hi> </l><lb/>
            <l>Das i&#x017F;t gar zu &#x017F;chreckensvoll! Selb&#x017F;t in denen</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">harten Tagen,</hi> </l><lb/>
            <l>Die wir, als ein &#x017F;chweres Joch mit Verdruß</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">und Mu&#x0364;he tragen,</hi> </l><lb/>
            <l>Selb&#x017F;t, wann Kummer, Alter, Mangel und</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">Gefangen&#x017F;chaft</hi> uns dru&#x0364;ckt,</hi> </l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ich die Natur mit Schmerzen unter &#x017F;ol-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">cher Bu&#x0364;rde bu&#x0364;ckt,</hi> </l><lb/>
            <l>J&#x017F;t das Leben auf der Welt fu&#x0364;r ein Paradies</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">zu &#x017F;cha&#x0364;tzen,</hi> </l><lb/>
            <l>Wenn wir un&#x017F;re Todesfurcht hiemit in Ver-</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">gleichung &#x017F;etzen.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <p>Jch &#x017F;ehe aus einem von denen dreyen Brie-<lb/>
fen, daß meine Geliebte durch Herr Hickmann<lb/>
einige Nachricht von meiner Unterredung mit<lb/>
der Fra&#x0364;ulein Howe, bey dem Obri&#x017F;ten Ambro&#x017F;e,<lb/>
bekommen hat. Jch hatte da&#x017F;elb&#x017F;t eine angeneh-<lb/>
me Weile daru&#x0364;ber: ob ich gleich von ver&#x017F;chied-<lb/>
nen in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft beißend mitgenommen<lb/>
wurde. Jnzwi&#x017F;chen macht es mir doch nicht<lb/>
wenig Kummer, daß ich un&#x017F;ere Sache unter den<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;chwatzhaften Flattergei&#x017F;tern</hi> von beyderley<lb/>
Ge&#x017F;chlecht &#x017F;o u&#x0364;berall ausgebla&#x017F;en finde. Es i&#x017F;t<lb/>
ganz ihre eigne Schuld. Gewiß es i&#x017F;t niemals<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P p 2</fw><fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[595/0601] Oder mit bedraͤngtem Zittern unter dickem Eiſe lebt; Oder in der weiten Luft ewig eingekerkert lieget; Oder, durch Gewalt gejagt, um die loſen Wel- ten flieget; Oder ſich im aͤrgſten Jammer, wie man unge- wiß erdenkt, Unter einem großen Haufen heulender Gequaͤl- ten kraͤnkt; Das iſt gar zu ſchreckensvoll! Selbſt in denen harten Tagen, Die wir, als ein ſchweres Joch mit Verdruß und Muͤhe tragen, Selbſt, wann Kummer, Alter, Mangel und Gefangenſchaft uns druͤckt, Und ſich die Natur mit Schmerzen unter ſol- cher Buͤrde buͤckt, Jſt das Leben auf der Welt fuͤr ein Paradies zu ſchaͤtzen, Wenn wir unſre Todesfurcht hiemit in Ver- gleichung ſetzen. Jch ſehe aus einem von denen dreyen Brie- fen, daß meine Geliebte durch Herr Hickmann einige Nachricht von meiner Unterredung mit der Fraͤulein Howe, bey dem Obriſten Ambroſe, bekommen hat. Jch hatte daſelbſt eine angeneh- me Weile daruͤber: ob ich gleich von verſchied- nen in der Geſellſchaft beißend mitgenommen wurde. Jnzwiſchen macht es mir doch nicht wenig Kummer, daß ich unſere Sache unter den ſchwatzhaften Flattergeiſtern von beyderley Geſchlecht ſo uͤberall ausgeblaſen finde. Es iſt ganz ihre eigne Schuld. Gewiß es iſt niemals eine P p 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/601
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/601>, abgerufen am 15.08.2024.