Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Welt sind, als wir liederlichen Brüder und Lieb-
haber der so genannten freyen Lebensart. Jch
will dir sagen, wie es zugehet.

Unsere frühzeitige Liebe zur Schelmerey
macht, daß wir überhaupt der Unterweisung ent-
laufen: und so werden wir bloße Halbgelehrte in
denen Wissenschaften, wozu man uns anführet.
Weil wir nicht mehr wissen wollen: so bilden
wir uns ein, es sey nichts mehr zu wissen.

Mit unsäglicher Eitelkeit, ungezäumten Ein-
bildungen und gar keiner Beurtheilung fangen
wir zunächst an, halbe Witzlinge vorzustellen.
Alsdenn meynen wir, daß wir das ganze Feld
der Gelehrsamkeit und Erkenntniß in unserer
Verwahrung haben, und verachten einen jeden,
der sich mehr Mühe giebt, und ernsthafter ist,
als wir. - - Alle solche Leute sind bey uns schläf-
rige einfältige Tröpfe, die an den rührungsvolle-
sten Vergnügungen des Lebens keinen Geschmack
haben.

Dieß macht uns bey bescheidenen und wohl-
verdienten Leuten unleidlich, und nöthigt uns, mit
denen, die unsers Gelichters sind, einen Haufen
auszumachen. Auf die Art haben wir keine
Gelegenheit, jemand zu sehen, oder mit jemand
umzugehen, der uns zeigen könnte, oder wollte,
was wir sind. Also machen wir selbst den
Schluß, daß wir die geschicktesten Kerls und al-
lein die klugen Köpfe in der Welt sind; sehen
mit stolzen Augen auf alle andere nieder, welche
sich selbst die Freyheiten nicht erlauben, die wir

uns
L l 4



Welt ſind, als wir liederlichen Bruͤder und Lieb-
haber der ſo genannten freyen Lebensart. Jch
will dir ſagen, wie es zugehet.

Unſere fruͤhzeitige Liebe zur Schelmerey
macht, daß wir uͤberhaupt der Unterweiſung ent-
laufen: und ſo werden wir bloße Halbgelehrte in
denen Wiſſenſchaften, wozu man uns anfuͤhret.
Weil wir nicht mehr wiſſen wollen: ſo bilden
wir uns ein, es ſey nichts mehr zu wiſſen.

Mit unſaͤglicher Eitelkeit, ungezaͤumten Ein-
bildungen und gar keiner Beurtheilung fangen
wir zunaͤchſt an, halbe Witzlinge vorzuſtellen.
Alsdenn meynen wir, daß wir das ganze Feld
der Gelehrſamkeit und Erkenntniß in unſerer
Verwahrung haben, und verachten einen jeden,
der ſich mehr Muͤhe giebt, und ernſthafter iſt,
als wir. ‒ ‒ Alle ſolche Leute ſind bey uns ſchlaͤf-
rige einfaͤltige Troͤpfe, die an den ruͤhrungsvolle-
ſten Vergnuͤgungen des Lebens keinen Geſchmack
haben.

Dieß macht uns bey beſcheidenen und wohl-
verdienten Leuten unleidlich, und noͤthigt uns, mit
denen, die unſers Gelichters ſind, einen Haufen
auszumachen. Auf die Art haben wir keine
Gelegenheit, jemand zu ſehen, oder mit jemand
umzugehen, der uns zeigen koͤnnte, oder wollte,
was wir ſind. Alſo machen wir ſelbſt den
Schluß, daß wir die geſchickteſten Kerls und al-
lein die klugen Koͤpfe in der Welt ſind; ſehen
mit ſtolzen Augen auf alle andere nieder, welche
ſich ſelbſt die Freyheiten nicht erlauben, die wir

uns
L l 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0541" n="535"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Welt &#x017F;ind, als wir liederlichen Bru&#x0364;der und Lieb-<lb/>
haber der &#x017F;o genannten freyen Lebensart. Jch<lb/>
will dir &#x017F;agen, wie es zugehet.</p><lb/>
          <p>Un&#x017F;ere fru&#x0364;hzeitige Liebe zur Schelmerey<lb/>
macht, daß wir u&#x0364;berhaupt der Unterwei&#x017F;ung ent-<lb/>
laufen: und &#x017F;o werden wir bloße Halbgelehrte in<lb/>
denen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, wozu man uns anfu&#x0364;hret.<lb/>
Weil wir nicht mehr wi&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#fr">wollen:</hi> &#x017F;o bilden<lb/>
wir uns ein, es &#x017F;ey <hi rendition="#fr">nichts mehr zu wi&#x017F;&#x017F;en.</hi></p><lb/>
          <p>Mit un&#x017F;a&#x0364;glicher Eitelkeit, ungeza&#x0364;umten Ein-<lb/>
bildungen und gar keiner Beurtheilung fangen<lb/>
wir zuna&#x0364;ch&#x017F;t an, <hi rendition="#fr">halbe Witzlinge</hi> vorzu&#x017F;tellen.<lb/>
Alsdenn meynen wir, daß wir das ganze Feld<lb/>
der Gelehr&#x017F;amkeit und Erkenntniß in un&#x017F;erer<lb/>
Verwahrung haben, und verachten einen jeden,<lb/>
der &#x017F;ich mehr Mu&#x0364;he giebt, und ern&#x017F;thafter i&#x017F;t,<lb/>
als wir. &#x2012; &#x2012; Alle &#x017F;olche Leute &#x017F;ind bey uns &#x017F;chla&#x0364;f-<lb/>
rige einfa&#x0364;ltige Tro&#x0364;pfe, die an den ru&#x0364;hrungsvolle-<lb/>
&#x017F;ten Vergnu&#x0364;gungen des Lebens keinen Ge&#x017F;chmack<lb/>
haben.</p><lb/>
          <p>Dieß macht uns bey be&#x017F;cheidenen und wohl-<lb/>
verdienten Leuten unleidlich, und no&#x0364;thigt uns, mit<lb/>
denen, die un&#x017F;ers Gelichters &#x017F;ind, einen Haufen<lb/>
auszumachen. Auf die Art haben wir keine<lb/>
Gelegenheit, jemand zu &#x017F;ehen, oder mit jemand<lb/>
umzugehen, der uns zeigen ko&#x0364;nnte, oder wollte,<lb/>
was wir &#x017F;ind. Al&#x017F;o machen wir &#x017F;elb&#x017F;t den<lb/>
Schluß, daß wir die ge&#x017F;chickte&#x017F;ten Kerls und al-<lb/>
lein die klugen Ko&#x0364;pfe in der Welt &#x017F;ind; &#x017F;ehen<lb/>
mit &#x017F;tolzen Augen auf alle andere nieder, welche<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t die Freyheiten nicht erlauben, die wir<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L l 4</fw><fw place="bottom" type="catch">uns</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[535/0541] Welt ſind, als wir liederlichen Bruͤder und Lieb- haber der ſo genannten freyen Lebensart. Jch will dir ſagen, wie es zugehet. Unſere fruͤhzeitige Liebe zur Schelmerey macht, daß wir uͤberhaupt der Unterweiſung ent- laufen: und ſo werden wir bloße Halbgelehrte in denen Wiſſenſchaften, wozu man uns anfuͤhret. Weil wir nicht mehr wiſſen wollen: ſo bilden wir uns ein, es ſey nichts mehr zu wiſſen. Mit unſaͤglicher Eitelkeit, ungezaͤumten Ein- bildungen und gar keiner Beurtheilung fangen wir zunaͤchſt an, halbe Witzlinge vorzuſtellen. Alsdenn meynen wir, daß wir das ganze Feld der Gelehrſamkeit und Erkenntniß in unſerer Verwahrung haben, und verachten einen jeden, der ſich mehr Muͤhe giebt, und ernſthafter iſt, als wir. ‒ ‒ Alle ſolche Leute ſind bey uns ſchlaͤf- rige einfaͤltige Troͤpfe, die an den ruͤhrungsvolle- ſten Vergnuͤgungen des Lebens keinen Geſchmack haben. Dieß macht uns bey beſcheidenen und wohl- verdienten Leuten unleidlich, und noͤthigt uns, mit denen, die unſers Gelichters ſind, einen Haufen auszumachen. Auf die Art haben wir keine Gelegenheit, jemand zu ſehen, oder mit jemand umzugehen, der uns zeigen koͤnnte, oder wollte, was wir ſind. Alſo machen wir ſelbſt den Schluß, daß wir die geſchickteſten Kerls und al- lein die klugen Koͤpfe in der Welt ſind; ſehen mit ſtolzen Augen auf alle andere nieder, welche ſich ſelbſt die Freyheiten nicht erlauben, die wir uns L l 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/541
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/541>, abgerufen am 17.09.2024.