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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

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"leiden beweget! - - Es ist gütig! - - Allein
"es ist Zeit, aufzuhören. Jhre mitleidige Her-
"zen, Fr. Smithen und Fr. Lovick, sind zu sehr
"gerühret" - - denn die beyden Weiber gluch-
seten wieder vom Weinen, und der Mann war
auch beweget - - "Es ist eine Grausamkeit von
"mir, daß ich durch mein Ungemach ihren Hoch-
"zeittag zu einem Trauertage mache." Hierauf
wandte sie sich zu Herr Smithen und seiner
Frguen - - "Der Himmel lasse sie, ehrliches,
"gutes Paar, ihren Hochzeitstag noch vielmal
"glücklich begehen! - - Wie angenehm ist es
"anzusehen, daß sie sich beyde, nach dem Ver-
"lauf vieler Jahre, so liebreich vereinigen, ihn zu
"seyren! - - Vormals dachte ich - - Jedoch
"nicht mehr - - Alle meine Hoffnung zur Glück-
"seligkeit in diesem Leben hat nun ein Ende.
"Sie ist, wie aufgehende Knospen oder Blüten
"an einem zu frühzeitigen Schößlinge durch einen
"strengen Frost, ersticket! - - Wie die Feld-
"früchte durch einen Ostwind, verbrannt! - -
"Aber ich kann nur einmal sterben: und wenn
"mir das Leben nur so lange gefristet wird, bis
"ich von einem schweren Fluch befreyet bin, den
"mein Vater in seinem Zorn auf mich geleget
"hat, und der in allen Stücken, so weit er das
"gegenwärtige Leben betrifft, buchstäblich erfüllet
"ist; so ist das alles, was ich zu wünschen habe,
"und der Tod wird mir willkommener seyn, als
"jemals dem müdesten Wanderer, der die End-

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„leiden beweget! ‒ ‒ Es iſt guͤtig! ‒ ‒ Allein
„es iſt Zeit, aufzuhoͤren. Jhre mitleidige Her-
„zen, Fr. Smithen und Fr. Lovick, ſind zu ſehr
„geruͤhret“ ‒ ‒ denn die beyden Weiber gluch-
ſeten wieder vom Weinen, und der Mann war
auch beweget ‒ ‒ „Es iſt eine Grauſamkeit von
„mir, daß ich durch mein Ungemach ihren Hoch-
„zeittag zu einem Trauertage mache.“ Hierauf
wandte ſie ſich zu Herr Smithen und ſeiner
Frguen ‒ ‒ „Der Himmel laſſe ſie, ehrliches,
„gutes Paar, ihren Hochzeitstag noch vielmal
„gluͤcklich begehen! ‒ ‒ Wie angenehm iſt es
„anzuſehen, daß ſie ſich beyde, nach dem Ver-
„lauf vieler Jahre, ſo liebreich vereinigen, ihn zu
„ſeyren! ‒ ‒ Vormals dachte ich ‒ ‒ Jedoch
„nicht mehr ‒ ‒ Alle meine Hoffnung zur Gluͤck-
„ſeligkeit in dieſem Leben hat nun ein Ende.
„Sie iſt, wie aufgehende Knoſpen oder Bluͤten
„an einem zu fruͤhzeitigen Schoͤßlinge durch einen
„ſtrengen Froſt, erſticket! ‒ ‒ Wie die Feld-
„fruͤchte durch einen Oſtwind, verbrannt! ‒ ‒
„Aber ich kann nur einmal ſterben: und wenn
„mir das Leben nur ſo lange gefriſtet wird, bis
„ich von einem ſchweren Fluch befreyet bin, den
„mein Vater in ſeinem Zorn auf mich geleget
„hat, und der in allen Stuͤcken, ſo weit er das
„gegenwaͤrtige Leben betrifft, buchſtaͤblich erfuͤllet
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[453/0459] „leiden beweget! ‒ ‒ Es iſt guͤtig! ‒ ‒ Allein „es iſt Zeit, aufzuhoͤren. Jhre mitleidige Her- „zen, Fr. Smithen und Fr. Lovick, ſind zu ſehr „geruͤhret“ ‒ ‒ denn die beyden Weiber gluch- ſeten wieder vom Weinen, und der Mann war auch beweget ‒ ‒ „Es iſt eine Grauſamkeit von „mir, daß ich durch mein Ungemach ihren Hoch- „zeittag zu einem Trauertage mache.“ Hierauf wandte ſie ſich zu Herr Smithen und ſeiner Frguen ‒ ‒ „Der Himmel laſſe ſie, ehrliches, „gutes Paar, ihren Hochzeitstag noch vielmal „gluͤcklich begehen! ‒ ‒ Wie angenehm iſt es „anzuſehen, daß ſie ſich beyde, nach dem Ver- „lauf vieler Jahre, ſo liebreich vereinigen, ihn zu „ſeyren! ‒ ‒ Vormals dachte ich ‒ ‒ Jedoch „nicht mehr ‒ ‒ Alle meine Hoffnung zur Gluͤck- „ſeligkeit in dieſem Leben hat nun ein Ende. „Sie iſt, wie aufgehende Knoſpen oder Bluͤten „an einem zu fruͤhzeitigen Schoͤßlinge durch einen „ſtrengen Froſt, erſticket! ‒ ‒ Wie die Feld- „fruͤchte durch einen Oſtwind, verbrannt! ‒ ‒ „Aber ich kann nur einmal ſterben: und wenn „mir das Leben nur ſo lange gefriſtet wird, bis „ich von einem ſchweren Fluch befreyet bin, den „mein Vater in ſeinem Zorn auf mich geleget „hat, und der in allen Stuͤcken, ſo weit er das „gegenwaͤrtige Leben betrifft, buchſtaͤblich erfuͤllet „iſt; ſo iſt das alles, was ich zu wuͤnſchen habe, „und der Tod wird mir willkommener ſeyn, als „jemals dem muͤdeſten Wanderer, der die End- „ſchaft F f 3

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/459>, abgerufen am 28.07.2024.