Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


Jm Gegentheil zweifele ich nicht, daß, wie
sie sich von der Niedergeschlagenheit wieder erho-
let, worein diese letzte tückische Schandthat sie ge-
stürzet hat, der sich niemand, als nichtswürdige
Creaturen von ihrem eignen Geschlechte, hätte
schuldig machen können, so auch die Liebe wieder
in ihr durch die Zeit beruhigtes Gemüth zurück-
kehren werde. Alsdenn werden sich ihre Gedan-
ken noch einmal auf die Ehe lenken. Mit der
Zeit wird sie lebhaftere Vorstellungen in ihrem
Kopfe haben: und diese werden machen, daß
sie durch alle ihre Veränderungen mit Ruhe und
Vergnügen hindurch gehet; ob gleich keines von
beyden in einem so hohen Grade statt haben mag,
als wenn die liebe stolze und schelmische Schöne
sich über alle Uebrigen von ihrem Geschlecht, in
ihrem Lauf, hätte erheben können.

Du fragst, wenn du mir die bittern Vorwür-
se erzählest, welche die Fräulein gegen deinen ar-
men Freund machte, da du vermuthlich mit den
Fingern in dem Munde vor ihr stundest: Was
du für mich anführen konntest?

Habe ich dir nicht in meinen vorigen Brie-
fen hundert Dinge in den Mund gelegt, die ein
Freund, dem es ein Ernst ist einen Freund zu
rechtfertigen oder zu entschuldigen, bey einer sol-
chen Gelegenheit sagen möchte?

Aber nun auf die Hauptdinge zu kommen,
die itzo im Gange sind, und auf die Verfassung,
worinn hier die Sachen stehen - - Es ist wahr,
wie dir mein Bedienter gesagt hat, daß sich die

Fräu-


Jm Gegentheil zweifele ich nicht, daß, wie
ſie ſich von der Niedergeſchlagenheit wieder erho-
let, worein dieſe letzte tuͤckiſche Schandthat ſie ge-
ſtuͤrzet hat, der ſich niemand, als nichtswuͤrdige
Creaturen von ihrem eignen Geſchlechte, haͤtte
ſchuldig machen koͤnnen, ſo auch die Liebe wieder
in ihr durch die Zeit beruhigtes Gemuͤth zuruͤck-
kehren werde. Alsdenn werden ſich ihre Gedan-
ken noch einmal auf die Ehe lenken. Mit der
Zeit wird ſie lebhaftere Vorſtellungen in ihrem
Kopfe haben: und dieſe werden machen, daß
ſie durch alle ihre Veraͤnderungen mit Ruhe und
Vergnuͤgen hindurch gehet; ob gleich keines von
beyden in einem ſo hohen Grade ſtatt haben mag,
als wenn die liebe ſtolze und ſchelmiſche Schoͤne
ſich uͤber alle Uebrigen von ihrem Geſchlecht, in
ihrem Lauf, haͤtte erheben koͤnnen.

Du fragſt, wenn du mir die bittern Vorwuͤr-
ſe erzaͤhleſt, welche die Fraͤulein gegen deinen ar-
men Freund machte, da du vermuthlich mit den
Fingern in dem Munde vor ihr ſtundeſt: Was
du fuͤr mich anfuͤhren konnteſt?

Habe ich dir nicht in meinen vorigen Brie-
fen hundert Dinge in den Mund gelegt, die ein
Freund, dem es ein Ernſt iſt einen Freund zu
rechtfertigen oder zu entſchuldigen, bey einer ſol-
chen Gelegenheit ſagen moͤchte?

Aber nun auf die Hauptdinge zu kommen,
die itzo im Gange ſind, und auf die Verfaſſung,
worinn hier die Sachen ſtehen ‒ ‒ Es iſt wahr,
wie dir mein Bedienter geſagt hat, daß ſich die

Fraͤu-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0386" n="380"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Jm Gegentheil zweifele ich nicht, daß, wie<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich von der Niederge&#x017F;chlagenheit wieder erho-<lb/>
let, worein die&#x017F;e letzte tu&#x0364;cki&#x017F;che Schandthat &#x017F;ie ge-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzet hat, der &#x017F;ich niemand, als nichtswu&#x0364;rdige<lb/>
Creaturen von ihrem eignen Ge&#x017F;chlechte, ha&#x0364;tte<lb/>
&#x017F;chuldig machen ko&#x0364;nnen, &#x017F;o auch die Liebe wieder<lb/>
in ihr durch die Zeit beruhigtes Gemu&#x0364;th zuru&#x0364;ck-<lb/>
kehren werde. Alsdenn werden &#x017F;ich ihre Gedan-<lb/>
ken noch einmal auf die Ehe lenken. Mit der<lb/>
Zeit wird &#x017F;ie lebhaftere Vor&#x017F;tellungen in ihrem<lb/>
Kopfe haben: und die&#x017F;e werden machen, daß<lb/>
&#x017F;ie durch alle ihre Vera&#x0364;nderungen mit Ruhe und<lb/>
Vergnu&#x0364;gen hindurch gehet; ob gleich keines von<lb/>
beyden in einem &#x017F;o hohen Grade &#x017F;tatt haben mag,<lb/>
als wenn die liebe &#x017F;tolze und &#x017F;chelmi&#x017F;che Scho&#x0364;ne<lb/>
&#x017F;ich u&#x0364;ber alle Uebrigen von ihrem Ge&#x017F;chlecht, in<lb/>
ihrem Lauf, ha&#x0364;tte erheben ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Du frag&#x017F;t, wenn du mir die bittern Vorwu&#x0364;r-<lb/>
&#x017F;e erza&#x0364;hle&#x017F;t, welche die Fra&#x0364;ulein gegen deinen ar-<lb/>
men Freund machte, da du vermuthlich mit den<lb/>
Fingern in dem Munde vor ihr &#x017F;tunde&#x017F;t: <hi rendition="#fr">Was<lb/>
du fu&#x0364;r mich anfu&#x0364;hren konnte&#x017F;t?</hi></p><lb/>
          <p>Habe ich dir nicht in meinen vorigen Brie-<lb/>
fen hundert Dinge in den Mund gelegt, die ein<lb/>
Freund, dem es ein <hi rendition="#fr">Ern&#x017F;t</hi> i&#x017F;t einen Freund zu<lb/>
rechtfertigen oder zu ent&#x017F;chuldigen, bey einer &#x017F;ol-<lb/>
chen Gelegenheit &#x017F;agen mo&#x0364;chte?</p><lb/>
          <p>Aber nun auf die Hauptdinge zu kommen,<lb/>
die itzo im Gange &#x017F;ind, und auf die Verfa&#x017F;&#x017F;ung,<lb/>
worinn hier die Sachen &#x017F;tehen &#x2012; &#x2012; Es i&#x017F;t wahr,<lb/>
wie dir mein Bedienter ge&#x017F;agt hat, daß &#x017F;ich die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Fra&#x0364;u-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0386] Jm Gegentheil zweifele ich nicht, daß, wie ſie ſich von der Niedergeſchlagenheit wieder erho- let, worein dieſe letzte tuͤckiſche Schandthat ſie ge- ſtuͤrzet hat, der ſich niemand, als nichtswuͤrdige Creaturen von ihrem eignen Geſchlechte, haͤtte ſchuldig machen koͤnnen, ſo auch die Liebe wieder in ihr durch die Zeit beruhigtes Gemuͤth zuruͤck- kehren werde. Alsdenn werden ſich ihre Gedan- ken noch einmal auf die Ehe lenken. Mit der Zeit wird ſie lebhaftere Vorſtellungen in ihrem Kopfe haben: und dieſe werden machen, daß ſie durch alle ihre Veraͤnderungen mit Ruhe und Vergnuͤgen hindurch gehet; ob gleich keines von beyden in einem ſo hohen Grade ſtatt haben mag, als wenn die liebe ſtolze und ſchelmiſche Schoͤne ſich uͤber alle Uebrigen von ihrem Geſchlecht, in ihrem Lauf, haͤtte erheben koͤnnen. Du fragſt, wenn du mir die bittern Vorwuͤr- ſe erzaͤhleſt, welche die Fraͤulein gegen deinen ar- men Freund machte, da du vermuthlich mit den Fingern in dem Munde vor ihr ſtundeſt: Was du fuͤr mich anfuͤhren konnteſt? Habe ich dir nicht in meinen vorigen Brie- fen hundert Dinge in den Mund gelegt, die ein Freund, dem es ein Ernſt iſt einen Freund zu rechtfertigen oder zu entſchuldigen, bey einer ſol- chen Gelegenheit ſagen moͤchte? Aber nun auf die Hauptdinge zu kommen, die itzo im Gange ſind, und auf die Verfaſſung, worinn hier die Sachen ſtehen ‒ ‒ Es iſt wahr, wie dir mein Bedienter geſagt hat, daß ſich die Fraͤu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/386
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/386>, abgerufen am 15.08.2024.