den sie wegen der Leutseligkeit rühmet, und um dieser Tugend willen mir selbst vorzieht: da alle die Leutseligkeit, welche er zeiget, ihm von mir vorgeschrieben ist, und sie dieß so gar selbst weiß - - folglich mich des Ruhmes von meinen eignen Werken beraubet? Alles dieß zeigt vor- trefflich, daß sie ein Recht hat, einen so spitzfin- digen Unterschied, als du zwischen den Worten Unwillen und Rache machest zu fordern. Aber es ist allezeit deine Weise gewesen, etwas anzu- geben und damit herauszuplatzen, was du nie- mals auszumachen im Stande gewesen bist.
Das Lob, welches du ihr wegen ihrer Of- fenherzigkeit ertheilest, ist noch eines von deiner Art. Jch denke nicht so, wie du, von ihren schwatzhaften Erzählungen und Klagen: - - Was können die nützen? - - Es ist gut, daß du nur eine heilige Liebe gegen sie hast; der Teufel hole dich mit deinem albernen Wesen! sonst ist es sehr verdächtig und ärgerlich zu ge- denken, daß man ein so reizendes Frauenzimmer gerade vor einem liederlichen Bruder stehen sie- het, und von der Sünde gegen sie, welche nicht zu vergeben ist, schwatzen höret! - - Jch wünsch- te von Herzen, daß solche keusche Frauenzimmer ein wenig Schamhaftigkeit bey ihrem Zorn ha- ben möchten. - - Es würde sehr fremd klingen, wenn ich, Robert Lovelace, mir mehr Zärtlichkeit in einem Stücke, welches die äußerste Zärtlich- keit erfordert, anmaßen wollte, als Fräulein Cla- rissa Harlowe hat.
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den ſie wegen der Leutſeligkeit ruͤhmet, und um dieſer Tugend willen mir ſelbſt vorzieht: da alle die Leutſeligkeit, welche er zeiget, ihm von mir vorgeſchrieben iſt, und ſie dieß ſo gar ſelbſt weiß ‒ ‒ folglich mich des Ruhmes von meinen eignen Werken beraubet? Alles dieß zeigt vor- trefflich, daß ſie ein Recht hat, einen ſo ſpitzfin- digen Unterſchied, als du zwiſchen den Worten Unwillen und Rache macheſt zu fordern. Aber es iſt allezeit deine Weiſe geweſen, etwas anzu- geben und damit herauszuplatzen, was du nie- mals auszumachen im Stande geweſen biſt.
Das Lob, welches du ihr wegen ihrer Of- fenherzigkeit ertheileſt, iſt noch eines von deiner Art. Jch denke nicht ſo, wie du, von ihren ſchwatzhaften Erzaͤhlungen und Klagen: ‒ ‒ Was koͤnnen die nuͤtzen? ‒ ‒ Es iſt gut, daß du nur eine heilige Liebe gegen ſie haſt; der Teufel hole dich mit deinem albernen Weſen! ſonſt iſt es ſehr verdaͤchtig und aͤrgerlich zu ge- denken, daß man ein ſo reizendes Frauenzimmer gerade vor einem liederlichen Bruder ſtehen ſie- het, und von der Suͤnde gegen ſie, welche nicht zu vergeben iſt, ſchwatzen hoͤret! ‒ ‒ Jch wuͤnſch- te von Herzen, daß ſolche keuſche Frauenzimmer ein wenig Schamhaftigkeit bey ihrem Zorn ha- ben moͤchten. ‒ ‒ Es wuͤrde ſehr fremd klingen, wenn ich, Robert Lovelace, mir mehr Zaͤrtlichkeit in einem Stuͤcke, welches die aͤußerſte Zaͤrtlich- keit erfordert, anmaßen wollte, als Fraͤulein Cla- riſſa Harlowe hat.
Jch
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den ſie wegen der Leutſeligkeit ruͤhmet, und um
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die Leutſeligkeit, welche er zeiget, ihm von mir
vorgeſchrieben iſt, und ſie dieß ſo gar ſelbſt
weiß ‒ ‒ folglich mich des Ruhmes von meinen
eignen Werken beraubet? Alles dieß zeigt vor-
trefflich, daß ſie ein Recht hat, einen ſo ſpitzfin-
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Unwillen und Rache macheſt zu fordern. Aber
es iſt allezeit deine Weiſe geweſen, etwas anzu-
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Das Lob, welches du ihr wegen ihrer Of-
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Art. Jch denke nicht ſo, wie du, von ihren
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Was koͤnnen die nuͤtzen? ‒ ‒ Es iſt gut, daß
du nur eine heilige Liebe gegen ſie haſt; der
Teufel hole dich mit deinem albernen Weſen!
ſonſt iſt es ſehr verdaͤchtig und aͤrgerlich zu ge-
denken, daß man ein ſo reizendes Frauenzimmer
gerade vor einem liederlichen Bruder ſtehen ſie-
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zu vergeben iſt, ſchwatzen hoͤret! ‒ ‒ Jch wuͤnſch-
te von Herzen, daß ſolche keuſche Frauenzimmer
ein wenig Schamhaftigkeit bey ihrem Zorn ha-
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wenn ich, Robert Lovelace, mir mehr Zaͤrtlichkeit
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/383>, abgerufen am 23.11.2024.
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