Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



der gegeben hatte, weil sie selbst nicht mit fester
Hand schreiben können. Es war eine Antwort,
wie es scheint, auf ihre beyden Briefe, was diese
auch in sich halten mochten, und begriff folgen-
des:

"Sie wäre in ein schreckliches Unglück ver-
"wickelt gewesen, welches sie, wenn es ihrer Freun-
"dinn bekannt wäre, von den Wirkungen ihres
"freundschaftlichen Misvergnügens über ihr bis-
"heriges Stillschweigen freysprechen würde: in-
"dem sie in Verhaft gesessen hätte. - - Hätte sie
"das wohl glauben können? - - Sie wäre erst
"des Tages vorher freygekommen: und itzt so
"schwach und matt, daß sie genöthigt wäre, eine
"ehrbare Witwe in eben dem Hause zu ersuchen,
"von ihrem Stillschweigen auf die beyden Briefe
"vom 13ten und 16ten auf diese Art Rechenschaft
"zu geben. So bald als sie im Stande seyn
"würde, wollte sie auf dieselben antworten. Un-
"terdessen bäte sie, ihre Freundinn möchte sich
"ihretwegen keinen Kummer machen: indem
"dieß nur ein Unglücksfall gewesen, der sie be-
"troffen hätte, als sie sich schon im geringsten
"nicht wohl befunden; eine Last, die einer elenden
"Person auf die Schultern geleget worden, wel-
"che bereits vorher unter einer allzuschweren
"Bürde beynahe gesunken wäre; und gar nichts
"gegen das Uebel, welches sie vorher erduldet
"hätte. Es schiene auch vermuthlich eine Glück-
"seligkeit daraus zu entstehen; daß sie nämlich in
"einem ehrlichen Hause, bey klugen und gütigge-

"sinnten



der gegeben hatte, weil ſie ſelbſt nicht mit feſter
Hand ſchreiben koͤnnen. Es war eine Antwort,
wie es ſcheint, auf ihre beyden Briefe, was dieſe
auch in ſich halten mochten, und begriff folgen-
des:

„Sie waͤre in ein ſchreckliches Ungluͤck ver-
„wickelt geweſen, welches ſie, wenn es ihrer Freun-
„dinn bekannt waͤre, von den Wirkungen ihres
„freundſchaftlichen Misvergnuͤgens uͤber ihr bis-
„heriges Stillſchweigen freyſprechen wuͤrde: in-
„dem ſie in Verhaft geſeſſen haͤtte. ‒ ‒ Haͤtte ſie
„das wohl glauben koͤnnen? ‒ ‒ Sie waͤre erſt
„des Tages vorher freygekommen: und itzt ſo
„ſchwach und matt, daß ſie genoͤthigt waͤre, eine
„ehrbare Witwe in eben dem Hauſe zu erſuchen,
„von ihrem Stillſchweigen auf die beyden Briefe
„vom 13ten und 16ten auf dieſe Art Rechenſchaft
„zu geben. So bald als ſie im Stande ſeyn
„wuͤrde, wollte ſie auf dieſelben antworten. Un-
„terdeſſen baͤte ſie, ihre Freundinn moͤchte ſich
„ihretwegen keinen Kummer machen: indem
„dieß nur ein Ungluͤcksfall geweſen, der ſie be-
„troffen haͤtte, als ſie ſich ſchon im geringſten
„nicht wohl befunden; eine Laſt, die einer elenden
„Perſon auf die Schultern geleget worden, wel-
„che bereits vorher unter einer allzuſchweren
„Buͤrde beynahe geſunken waͤre; und gar nichts
„gegen das Uebel, welches ſie vorher erduldet
„haͤtte. Es ſchiene auch vermuthlich eine Gluͤck-
„ſeligkeit daraus zu entſtehen; daß ſie naͤmlich in
„einem ehrlichen Hauſe, bey klugen und guͤtigge-

„ſinnten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0355" n="349"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
der gegeben hatte, weil &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t nicht mit fe&#x017F;ter<lb/>
Hand &#x017F;chreiben ko&#x0364;nnen. Es war eine Antwort,<lb/>
wie es &#x017F;cheint, auf ihre beyden Briefe, was die&#x017F;e<lb/>
auch in &#x017F;ich halten mochten, und begriff folgen-<lb/>
des:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie wa&#x0364;re in ein &#x017F;chreckliches Unglu&#x0364;ck ver-<lb/>
&#x201E;wickelt gewe&#x017F;en, welches &#x017F;ie, wenn es ihrer Freun-<lb/>
&#x201E;dinn bekannt wa&#x0364;re, von den Wirkungen ihres<lb/>
&#x201E;freund&#x017F;chaftlichen Misvergnu&#x0364;gens u&#x0364;ber ihr bis-<lb/>
&#x201E;heriges Still&#x017F;chweigen frey&#x017F;prechen wu&#x0364;rde: in-<lb/>
&#x201E;dem &#x017F;ie in Verhaft ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tte. &#x2012; &#x2012; Ha&#x0364;tte &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;das wohl glauben ko&#x0364;nnen? &#x2012; &#x2012; Sie wa&#x0364;re er&#x017F;t<lb/>
&#x201E;des Tages vorher freygekommen: und itzt &#x017F;o<lb/>
&#x201E;&#x017F;chwach und matt, daß &#x017F;ie geno&#x0364;thigt wa&#x0364;re, eine<lb/>
&#x201E;ehrbare Witwe in eben dem Hau&#x017F;e zu er&#x017F;uchen,<lb/>
&#x201E;von ihrem Still&#x017F;chweigen auf die beyden Briefe<lb/>
&#x201E;vom 13ten und 16ten auf die&#x017F;e Art Rechen&#x017F;chaft<lb/>
&#x201E;zu geben. So bald als &#x017F;ie im Stande &#x017F;eyn<lb/>
&#x201E;wu&#x0364;rde, wollte &#x017F;ie auf die&#x017F;elben antworten. Un-<lb/>
&#x201E;terde&#x017F;&#x017F;en ba&#x0364;te &#x017F;ie, ihre Freundinn mo&#x0364;chte &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;ihretwegen keinen Kummer machen: indem<lb/>
&#x201E;dieß nur ein Unglu&#x0364;cksfall gewe&#x017F;en, der &#x017F;ie be-<lb/>
&#x201E;troffen ha&#x0364;tte, als &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;chon im gering&#x017F;ten<lb/>
&#x201E;nicht wohl befunden; eine La&#x017F;t, die einer elenden<lb/>
&#x201E;Per&#x017F;on auf die Schultern geleget worden, wel-<lb/>
&#x201E;che bereits vorher unter einer allzu&#x017F;chweren<lb/>
&#x201E;Bu&#x0364;rde beynahe ge&#x017F;unken wa&#x0364;re; und gar nichts<lb/>
&#x201E;gegen das Uebel, welches &#x017F;ie vorher erduldet<lb/>
&#x201E;ha&#x0364;tte. Es &#x017F;chiene auch vermuthlich eine Glu&#x0364;ck-<lb/>
&#x201E;&#x017F;eligkeit daraus zu ent&#x017F;tehen; daß &#x017F;ie na&#x0364;mlich in<lb/>
&#x201E;einem ehrlichen Hau&#x017F;e, bey klugen und gu&#x0364;tigge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;&#x017F;innten</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0355] der gegeben hatte, weil ſie ſelbſt nicht mit feſter Hand ſchreiben koͤnnen. Es war eine Antwort, wie es ſcheint, auf ihre beyden Briefe, was dieſe auch in ſich halten mochten, und begriff folgen- des: „Sie waͤre in ein ſchreckliches Ungluͤck ver- „wickelt geweſen, welches ſie, wenn es ihrer Freun- „dinn bekannt waͤre, von den Wirkungen ihres „freundſchaftlichen Misvergnuͤgens uͤber ihr bis- „heriges Stillſchweigen freyſprechen wuͤrde: in- „dem ſie in Verhaft geſeſſen haͤtte. ‒ ‒ Haͤtte ſie „das wohl glauben koͤnnen? ‒ ‒ Sie waͤre erſt „des Tages vorher freygekommen: und itzt ſo „ſchwach und matt, daß ſie genoͤthigt waͤre, eine „ehrbare Witwe in eben dem Hauſe zu erſuchen, „von ihrem Stillſchweigen auf die beyden Briefe „vom 13ten und 16ten auf dieſe Art Rechenſchaft „zu geben. So bald als ſie im Stande ſeyn „wuͤrde, wollte ſie auf dieſelben antworten. Un- „terdeſſen baͤte ſie, ihre Freundinn moͤchte ſich „ihretwegen keinen Kummer machen: indem „dieß nur ein Ungluͤcksfall geweſen, der ſie be- „troffen haͤtte, als ſie ſich ſchon im geringſten „nicht wohl befunden; eine Laſt, die einer elenden „Perſon auf die Schultern geleget worden, wel- „che bereits vorher unter einer allzuſchweren „Buͤrde beynahe geſunken waͤre; und gar nichts „gegen das Uebel, welches ſie vorher erduldet „haͤtte. Es ſchiene auch vermuthlich eine Gluͤck- „ſeligkeit daraus zu entſtehen; daß ſie naͤmlich in „einem ehrlichen Hauſe, bey klugen und guͤtigge- „ſinnten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/355
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/355>, abgerufen am 14.08.2024.