Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



der durch ein Federmesser erschrecken zu
lassen.

Sie schlug ihre Augen auf zum Himmel,
schwieg stille - - ging in die entferntste Ecke des
Zimmers, setzte sich nieder und zog ihr Schnupf-
tuch über das Gesicht.

Sarah that ihr verschiedne Fragen. Da sie
ihr aber nicht antwortete: sagte sie zu ihr, sie
wollte ihr alsobald wieder aufwarten, wenn sie
ihre Sprache bekommen hätte.

Sie trug den Leuten auf, sie zu nöthigen,
daß sie äße und tränke. Sie muß immer fasten:
nichts als ihr Gebet und ihre Thränen, armes
Ding! waren die Worte des unbarmherzigen
Teufels, wie sie mir gestanden hat - - Meynst
du, daß ich nicht auf sie fluchte?

Sie ging weg, und nach ihrer Mittagsmahl-
zeit kam sie wieder dahin.

Die unglückliche Fräulein schien dann, nach
der Erzählung dieses Teufels von ihr, entweder
durch den Kummer mürbe und sanftmüthig ge-
macht zu seyn, oder einen Entschluß gefaßt zu
haben, daß sie sich durch die Beschimpfungen
von diesem verfluchten Weibsbilde nicht reizen
lassen vollte.

Sarah erkundigte sich in ihrer Gegenwart,
ob sie etwas gegessen oder getrunken hätte. Da
die Frau ihr Nachricht gab, sie hätte es bey ihr
nicht dahin bringen können, daß sie einen Bissen
gekostet oder einen Tropfen getrunken hätte: sagte
sie: Dieß ist arg, Fräulein Harlowe! Sehr

arg!



der durch ein Federmeſſer erſchrecken zu
laſſen.

Sie ſchlug ihre Augen auf zum Himmel,
ſchwieg ſtille ‒ ‒ ging in die entferntſte Ecke des
Zimmers, ſetzte ſich nieder und zog ihr Schnupf-
tuch uͤber das Geſicht.

Sarah that ihr verſchiedne Fragen. Da ſie
ihr aber nicht antwortete: ſagte ſie zu ihr, ſie
wollte ihr alſobald wieder aufwarten, wenn ſie
ihre Sprache bekommen haͤtte.

Sie trug den Leuten auf, ſie zu noͤthigen,
daß ſie aͤße und traͤnke. Sie muß immer faſten:
nichts als ihr Gebet und ihre Thraͤnen, armes
Ding! waren die Worte des unbarmherzigen
Teufels, wie ſie mir geſtanden hat ‒ ‒ Meynſt
du, daß ich nicht auf ſie fluchte?

Sie ging weg, und nach ihrer Mittagsmahl-
zeit kam ſie wieder dahin.

Die ungluͤckliche Fraͤulein ſchien dann, nach
der Erzaͤhlung dieſes Teufels von ihr, entweder
durch den Kummer muͤrbe und ſanftmuͤthig ge-
macht zu ſeyn, oder einen Entſchluß gefaßt zu
haben, daß ſie ſich durch die Beſchimpfungen
von dieſem verfluchten Weibsbilde nicht reizen
laſſen vollte.

Sarah erkundigte ſich in ihrer Gegenwart,
ob ſie etwas gegeſſen oder getrunken haͤtte. Da
die Frau ihr Nachricht gab, ſie haͤtte es bey ihr
nicht dahin bringen koͤnnen, daß ſie einen Biſſen
gekoſtet oder einen Tropfen getrunken haͤtte: ſagte
ſie: Dieß iſt arg, Fraͤulein Harlowe! Sehr

arg!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0286" n="280"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
der durch ein <hi rendition="#fr">Federme&#x017F;&#x017F;er</hi> er&#x017F;chrecken zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;chlug ihre Augen auf zum Himmel,<lb/>
&#x017F;chwieg &#x017F;tille &#x2012; &#x2012; ging in die entfernt&#x017F;te Ecke des<lb/>
Zimmers, &#x017F;etzte &#x017F;ich nieder und zog ihr Schnupf-<lb/>
tuch u&#x0364;ber das Ge&#x017F;icht.</p><lb/>
          <p>Sarah that ihr ver&#x017F;chiedne Fragen. Da &#x017F;ie<lb/>
ihr aber nicht antwortete: &#x017F;agte &#x017F;ie zu ihr, &#x017F;ie<lb/>
wollte ihr al&#x017F;obald wieder aufwarten, wenn &#x017F;ie<lb/>
ihre Sprache bekommen ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Sie trug den Leuten auf, &#x017F;ie zu no&#x0364;thigen,<lb/>
daß &#x017F;ie a&#x0364;ße und tra&#x0364;nke. Sie muß immer fa&#x017F;ten:<lb/>
nichts als ihr Gebet und ihre Thra&#x0364;nen, armes<lb/>
Ding! waren die Worte des unbarmherzigen<lb/>
Teufels, wie &#x017F;ie mir ge&#x017F;tanden hat &#x2012; &#x2012; Meyn&#x017F;t<lb/>
du, daß ich nicht auf &#x017F;ie fluchte?</p><lb/>
          <p>Sie ging weg, und nach ihrer Mittagsmahl-<lb/>
zeit kam &#x017F;ie wieder dahin.</p><lb/>
          <p>Die unglu&#x0364;ckliche Fra&#x0364;ulein &#x017F;chien dann, nach<lb/>
der Erza&#x0364;hlung die&#x017F;es Teufels von ihr, entweder<lb/>
durch den Kummer mu&#x0364;rbe und &#x017F;anftmu&#x0364;thig ge-<lb/>
macht zu &#x017F;eyn, oder einen Ent&#x017F;chluß gefaßt zu<lb/>
haben, daß &#x017F;ie &#x017F;ich durch die Be&#x017F;chimpfungen<lb/>
von die&#x017F;em verfluchten Weibsbilde nicht reizen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en vollte.</p><lb/>
          <p>Sarah erkundigte &#x017F;ich in ihrer Gegenwart,<lb/>
ob &#x017F;ie etwas gege&#x017F;&#x017F;en oder getrunken ha&#x0364;tte. Da<lb/>
die Frau ihr Nachricht gab, &#x017F;ie ha&#x0364;tte es bey ihr<lb/>
nicht dahin bringen ko&#x0364;nnen, daß &#x017F;ie einen Bi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
geko&#x017F;tet oder einen Tropfen getrunken ha&#x0364;tte: &#x017F;agte<lb/>
&#x017F;ie: Dieß i&#x017F;t arg, <hi rendition="#fr">Fra&#x0364;ulein Harlowe!</hi> Sehr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">arg!</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0286] der durch ein Federmeſſer erſchrecken zu laſſen. Sie ſchlug ihre Augen auf zum Himmel, ſchwieg ſtille ‒ ‒ ging in die entferntſte Ecke des Zimmers, ſetzte ſich nieder und zog ihr Schnupf- tuch uͤber das Geſicht. Sarah that ihr verſchiedne Fragen. Da ſie ihr aber nicht antwortete: ſagte ſie zu ihr, ſie wollte ihr alſobald wieder aufwarten, wenn ſie ihre Sprache bekommen haͤtte. Sie trug den Leuten auf, ſie zu noͤthigen, daß ſie aͤße und traͤnke. Sie muß immer faſten: nichts als ihr Gebet und ihre Thraͤnen, armes Ding! waren die Worte des unbarmherzigen Teufels, wie ſie mir geſtanden hat ‒ ‒ Meynſt du, daß ich nicht auf ſie fluchte? Sie ging weg, und nach ihrer Mittagsmahl- zeit kam ſie wieder dahin. Die ungluͤckliche Fraͤulein ſchien dann, nach der Erzaͤhlung dieſes Teufels von ihr, entweder durch den Kummer muͤrbe und ſanftmuͤthig ge- macht zu ſeyn, oder einen Entſchluß gefaßt zu haben, daß ſie ſich durch die Beſchimpfungen von dieſem verfluchten Weibsbilde nicht reizen laſſen vollte. Sarah erkundigte ſich in ihrer Gegenwart, ob ſie etwas gegeſſen oder getrunken haͤtte. Da die Frau ihr Nachricht gab, ſie haͤtte es bey ihr nicht dahin bringen koͤnnen, daß ſie einen Biſſen gekoſtet oder einen Tropfen getrunken haͤtte: ſagte ſie: Dieß iſt arg, Fraͤulein Harlowe! Sehr arg!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/286
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/286>, abgerufen am 24.07.2024.