Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



we! Sie werden mich auch hassen: davor ist mir
nur bange! - - Doch Sie würden es nicht thun:
wenn Sie alles wissen sollten! - -

Allein nicht mehr von meinem selbst, mei-
nem verlohrnen selbst! Sie, welche des Mor-
gens, beglückt zu seyn und beglückt zu machen,
aufstehen; des Abends, in Jhren eignen Be-
trachtungen vergnügt, zur Ruhe gehen; und in
Jhrem ungestörten sanften Schlummer mit Hei-
ligen und Engeln, wovon die erstern nur in so
fern reiner, als Sie selbst, sind, weil sie den
beschwerlichen und hinderlichen Körper abgeleget
haben, umgehen können; Sie sollen es seyn,
wovon ich denken und reden will: wie Sie schon
lange, lange, mein einziges Vergnügen gewesen
sind. Erlauben Sie mir, daß ich, in einer
ehrfurchtsvollen Entfernung, meine geliebte Anna
Howe als ehrwürdig verehre, und in Jhr erwä-
ge, was Jhre Clarissa Harlowe vormals gewe-
sen ist! - -

Verzeihen Sie, o! verzeihen Sie mir mei-
ne schwärmende Ausschweifung! Meine Ruhe ist
zerstöret. Mein Verstand ist angegriffen. Was
für hochfliegenden Unsinn müssen Sie lesen: wo
Sie sich nun noch, wie vorher, gefallen lassen
wollen, mit mir Briefe zu wechseln! - -

O! meine beste, meine liebste, meine ein-
zige
Freundinn! Was habe ich zu erzählen! - -
Aber das kommt ja noch immer auf das Selbst,
auf das schändliche, das verhaßte Selbst hin-
aus! - - Jch will es ablegen; wo es möglich ist:

und



we! Sie werden mich auch haſſen: davor iſt mir
nur bange! ‒ ‒ Doch Sie wuͤrden es nicht thun:
wenn Sie alles wiſſen ſollten! ‒ ‒

Allein nicht mehr von meinem ſelbſt, mei-
nem verlohrnen ſelbſt! Sie, welche des Mor-
gens, begluͤckt zu ſeyn und begluͤckt zu machen,
aufſtehen; des Abends, in Jhren eignen Be-
trachtungen vergnuͤgt, zur Ruhe gehen; und in
Jhrem ungeſtoͤrten ſanften Schlummer mit Hei-
ligen und Engeln, wovon die erſtern nur in ſo
fern reiner, als Sie ſelbſt, ſind, weil ſie den
beſchwerlichen und hinderlichen Koͤrper abgeleget
haben, umgehen koͤnnen; Sie ſollen es ſeyn,
wovon ich denken und reden will: wie Sie ſchon
lange, lange, mein einziges Vergnuͤgen geweſen
ſind. Erlauben Sie mir, daß ich, in einer
ehrfurchtsvollen Entfernung, meine geliebte Anna
Howe als ehrwuͤrdig verehre, und in Jhr erwaͤ-
ge, was Jhre Clariſſa Harlowe vormals gewe-
ſen iſt! ‒ ‒

Verzeihen Sie, o! verzeihen Sie mir mei-
ne ſchwaͤrmende Ausſchweifung! Meine Ruhe iſt
zerſtoͤret. Mein Verſtand iſt angegriffen. Was
fuͤr hochfliegenden Unſinn muͤſſen Sie leſen: wo
Sie ſich nun noch, wie vorher, gefallen laſſen
wollen, mit mir Briefe zu wechſeln! ‒ ‒

O! meine beſte, meine liebſte, meine ein-
zige
Freundinn! Was habe ich zu erzaͤhlen! ‒ ‒
Aber das kommt ja noch immer auf das Selbſt,
auf das ſchaͤndliche, das verhaßte Selbſt hin-
aus! ‒ ‒ Jch will es ablegen; wo es moͤglich iſt:

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0022" n="16"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
we! <hi rendition="#fr">Sie</hi> werden mich auch ha&#x017F;&#x017F;en: davor i&#x017F;t mir<lb/>
nur bange! &#x2012; &#x2012; Doch Sie wu&#x0364;rden es nicht thun:<lb/>
wenn Sie <hi rendition="#fr">alles</hi> wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollten! &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Allein nicht mehr von meinem &#x017F;elb&#x017F;t, mei-<lb/>
nem <hi rendition="#fr">verlohrnen</hi> &#x017F;elb&#x017F;t! Sie, welche des Mor-<lb/>
gens, beglu&#x0364;ckt zu &#x017F;eyn und beglu&#x0364;ckt zu machen,<lb/>
auf&#x017F;tehen; des Abends, in Jhren eignen Be-<lb/>
trachtungen vergnu&#x0364;gt, zur Ruhe gehen; und in<lb/>
Jhrem unge&#x017F;to&#x0364;rten &#x017F;anften Schlummer mit Hei-<lb/>
ligen und Engeln, wovon die er&#x017F;tern nur in &#x017F;o<lb/>
fern reiner, als Sie &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ind, weil &#x017F;ie den<lb/>
be&#x017F;chwerlichen und hinderlichen Ko&#x0364;rper abgeleget<lb/>
haben, umgehen ko&#x0364;nnen; Sie &#x017F;ollen es &#x017F;eyn,<lb/>
wovon ich denken und reden will: wie Sie &#x017F;chon<lb/>
lange, lange, mein einziges Vergnu&#x0364;gen gewe&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ind. Erlauben Sie mir, daß ich, in einer<lb/>
ehrfurchtsvollen Entfernung, meine geliebte Anna<lb/>
Howe als ehrwu&#x0364;rdig verehre, und in <hi rendition="#fr">Jhr</hi> erwa&#x0364;-<lb/>
ge, was Jhre Clari&#x017F;&#x017F;a Harlowe vormals gewe-<lb/>
&#x017F;en i&#x017F;t! &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Verzeihen</hi> Sie, o! verzeihen Sie mir mei-<lb/>
ne &#x017F;chwa&#x0364;rmende Aus&#x017F;chweifung! Meine Ruhe i&#x017F;t<lb/>
zer&#x017F;to&#x0364;ret. Mein Ver&#x017F;tand i&#x017F;t angegriffen. Was<lb/>
fu&#x0364;r hochfliegenden Un&#x017F;inn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Sie le&#x017F;en: wo<lb/>
Sie &#x017F;ich nun noch, wie vorher, gefallen la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wollen, mit mir Briefe zu wech&#x017F;eln! &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>O! meine be&#x017F;te, meine lieb&#x017F;te, meine <hi rendition="#fr">ein-<lb/>
zige</hi> Freundinn! Was habe ich zu erza&#x0364;hlen! &#x2012; &#x2012;<lb/>
Aber das kommt ja noch immer auf das <hi rendition="#fr">Selb&#x017F;t,</hi><lb/>
auf das &#x017F;cha&#x0364;ndliche, das verhaßte <hi rendition="#fr">Selb&#x017F;t</hi> hin-<lb/>
aus! &#x2012; &#x2012; Jch will es ablegen; wo es mo&#x0364;glich i&#x017F;t:<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0022] we! Sie werden mich auch haſſen: davor iſt mir nur bange! ‒ ‒ Doch Sie wuͤrden es nicht thun: wenn Sie alles wiſſen ſollten! ‒ ‒ Allein nicht mehr von meinem ſelbſt, mei- nem verlohrnen ſelbſt! Sie, welche des Mor- gens, begluͤckt zu ſeyn und begluͤckt zu machen, aufſtehen; des Abends, in Jhren eignen Be- trachtungen vergnuͤgt, zur Ruhe gehen; und in Jhrem ungeſtoͤrten ſanften Schlummer mit Hei- ligen und Engeln, wovon die erſtern nur in ſo fern reiner, als Sie ſelbſt, ſind, weil ſie den beſchwerlichen und hinderlichen Koͤrper abgeleget haben, umgehen koͤnnen; Sie ſollen es ſeyn, wovon ich denken und reden will: wie Sie ſchon lange, lange, mein einziges Vergnuͤgen geweſen ſind. Erlauben Sie mir, daß ich, in einer ehrfurchtsvollen Entfernung, meine geliebte Anna Howe als ehrwuͤrdig verehre, und in Jhr erwaͤ- ge, was Jhre Clariſſa Harlowe vormals gewe- ſen iſt! ‒ ‒ Verzeihen Sie, o! verzeihen Sie mir mei- ne ſchwaͤrmende Ausſchweifung! Meine Ruhe iſt zerſtoͤret. Mein Verſtand iſt angegriffen. Was fuͤr hochfliegenden Unſinn muͤſſen Sie leſen: wo Sie ſich nun noch, wie vorher, gefallen laſſen wollen, mit mir Briefe zu wechſeln! ‒ ‒ O! meine beſte, meine liebſte, meine ein- zige Freundinn! Was habe ich zu erzaͤhlen! ‒ ‒ Aber das kommt ja noch immer auf das Selbſt, auf das ſchaͤndliche, das verhaßte Selbſt hin- aus! ‒ ‒ Jch will es ablegen; wo es moͤglich iſt: und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/22
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/22>, abgerufen am 03.05.2024.