Jch nahm meinen Stuhl. Der Lord M. sa- he schrecklich mürrisch aus, hatte die Hände ge- falten, drehete seine eben vom Chiragra befreyte Daumen in die Ründe, bald oben, bald unten, und wandte sein blasses Gesicht und seine heraus- stehende Augen wechselsweise auf den Fußboden, auf den Kamin, auf seine zwo Schwestern, und seine zwo Verwandtinnen: mich aber würdigte er nicht einmal seiner Blicke.
Dabey fing ich an, auf das Laudanum und das weiße Tuch, wovon ich dir schon längst ge- sagt hatte, zu denken, und mir selbst eine zärtli- che Gemüthsart, die niemals gut thun wird, zu verweisen.
Endlich machte die Lady Sarah mit Stottern den Anfang. - - Herr Lovelace - - Vetter Lo- velace! - - Hem! - - Hem! - - Jch bedaure, daß keine Hoffnung ist, daß sie jemals aufhören - -
Was giebt es denn nun, gnädige Frau?
Was es giebt! - - Ja! Lady Elisabeth hat zween Briefe von der Fräulein Harlowe, die uns berichtet haben, was es giebt - - Sind denn alle Frauenzimmer gleich bey ihnen?
Jch hätte Ja sagen können: wenn man den Unterschied ausnimmt, den Stolz und Ehrgeiz machen.
Hierauf schrieen sie alle einmüthig wider mich - - Eine Person von solcher Gemüthsart, als die Fräulein Harlowe! rief die eine! - - Ein Frauenzimmer von so edler Gesinnung und so feinem Verstande! schrie die andere - - Wie
vor-
Jch nahm meinen Stuhl. Der Lord M. ſa- he ſchrecklich muͤrriſch aus, hatte die Haͤnde ge- falten, drehete ſeine eben vom Chiragra befreyte Daumen in die Ruͤnde, bald oben, bald unten, und wandte ſein blaſſes Geſicht und ſeine heraus- ſtehende Augen wechſelsweiſe auf den Fußboden, auf den Kamin, auf ſeine zwo Schweſtern, und ſeine zwo Verwandtinnen: mich aber wuͤrdigte er nicht einmal ſeiner Blicke.
Dabey fing ich an, auf das Laudanum und das weiße Tuch, wovon ich dir ſchon laͤngſt ge- ſagt hatte, zu denken, und mir ſelbſt eine zaͤrtli- che Gemuͤthsart, die niemals gut thun wird, zu verweiſen.
Endlich machte die Lady Sarah mit Stottern den Anfang. ‒ ‒ Herr Lovelace ‒ ‒ Vetter Lo- velace! ‒ ‒ Hem! ‒ ‒ Hem! ‒ ‒ Jch bedaure, daß keine Hoffnung iſt, daß ſie jemals aufhoͤren ‒ ‒
Was giebt es denn nun, gnaͤdige Frau?
Was es giebt! ‒ ‒ Ja! Lady Eliſabeth hat zween Briefe von der Fraͤulein Harlowe, die uns berichtet haben, was es giebt ‒ ‒ Sind denn alle Frauenzimmer gleich bey ihnen?
Jch haͤtte Ja ſagen koͤnnen: wenn man den Unterſchied ausnimmt, den Stolz und Ehrgeiz machen.
Hierauf ſchrieen ſie alle einmuͤthig wider mich ‒ ‒ Eine Perſon von ſolcher Gemuͤthsart, als die Fraͤulein Harlowe! rief die eine! ‒ ‒ Ein Frauenzimmer von ſo edler Geſinnung und ſo feinem Verſtande! ſchrie die andere ‒ ‒ Wie
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Jch nahm meinen Stuhl. Der Lord M. ſa-
he ſchrecklich muͤrriſch aus, hatte die Haͤnde ge-
falten, drehete ſeine eben vom Chiragra befreyte
Daumen in die Ruͤnde, bald oben, bald unten,
und wandte ſein blaſſes Geſicht und ſeine heraus-
ſtehende Augen wechſelsweiſe auf den Fußboden,
auf den Kamin, auf ſeine zwo Schweſtern, und
ſeine zwo Verwandtinnen: mich aber wuͤrdigte
er nicht einmal ſeiner Blicke.
Dabey fing ich an, auf das Laudanum und
das weiße Tuch, wovon ich dir ſchon laͤngſt ge-
ſagt hatte, zu denken, und mir ſelbſt eine zaͤrtli-
che Gemuͤthsart, die niemals gut thun wird, zu
verweiſen.
Endlich machte die Lady Sarah mit Stottern
den Anfang. ‒ ‒ Herr Lovelace ‒ ‒ Vetter Lo-
velace! ‒ ‒ Hem! ‒ ‒ Hem! ‒ ‒ Jch bedaure,
daß keine Hoffnung iſt, daß ſie jemals aufhoͤren ‒ ‒
Was giebt es denn nun, gnaͤdige Frau?
Was es giebt! ‒ ‒ Ja! Lady Eliſabeth hat
zween Briefe von der Fraͤulein Harlowe, die uns
berichtet haben, was es giebt ‒ ‒ Sind denn
alle Frauenzimmer gleich bey ihnen?
Jch haͤtte Ja ſagen koͤnnen: wenn man den
Unterſchied ausnimmt, den Stolz und Ehrgeiz
machen.
Hierauf ſchrieen ſie alle einmuͤthig wider
mich ‒ ‒ Eine Perſon von ſolcher Gemuͤthsart,
als die Fraͤulein Harlowe! rief die eine! ‒ ‒
Ein Frauenzimmer von ſo edler Geſinnung und
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/197>, abgerufen am 16.02.2025.
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