Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



tern der beyden jungen Fräulein, das mich veranlas-
sen konnte, Vergleichungen anzustellen. Besondere
Züge unterhielten meine Aufmerksamkeit einige Au-
genblicke: allein diese dienten nur, meine Ungedult
nach der bezaubernden Gebieterinn über mein Herz
zu vermehren, welche an Person, an Wesen, an
Verstand niemals ihres gleichen gehabt. Mein
Herz empfand einen Ekel und ward krank, wenn
ich ihren Verstand und Umgang mit jenem ver-
gleichen wollte. Es war nur ein lebhafter Witz,
und ein allzu gekünsteltes Verlangen zu gefallen.
Jede war mit sich selbst höchst zufrieden. Beyde
hielten auf eine gezwungene Art den Mund of-
fen, weiße Zähne zu zeigen, als wenn daß der
Hauptvorzug wäre; und durch die Lockung eines
angenehmen Athems zu verliebter Vertraulichkeit
zu reizen: wobey sie zugleich stillschweigend sich
über anderer Athem aufhielten, indem sie hoch-
müthig zu verstehen geben wollten, daß der nicht
so rein wäre.

Vordem hätte ich sie leiden können.

Sie schienen sich in ihrer Erwartung betro-
gen zu finden, daß ich so bald im Stande war,
sie zu verlassen. Jedoch habe ich itzo nicht so vie-
le Eitelkeit; meine Clarissa hat mich von meiner
Eitelkeit geheilet; daß ich ihr Misvergnügen
darüber so viel einem besondern Wohlgefallen an
mir, als ihrer Bewunderung ihrer selbst zuschrei-
ben sollte. Sie sahen mich als einen Kenner der
Schönheit an. Sie würden sich eine Ehre dar-
aus gemacht haben, wenn sie meine Aufmerksam-

keit



tern der beyden jungen Fraͤulein, das mich veranlaſ-
ſen konnte, Vergleichungen anzuſtellen. Beſondere
Zuͤge unterhielten meine Aufmerkſamkeit einige Au-
genblicke: allein dieſe dienten nur, meine Ungedult
nach der bezaubernden Gebieterinn uͤber mein Herz
zu vermehren, welche an Perſon, an Weſen, an
Verſtand niemals ihres gleichen gehabt. Mein
Herz empfand einen Ekel und ward krank, wenn
ich ihren Verſtand und Umgang mit jenem ver-
gleichen wollte. Es war nur ein lebhafter Witz,
und ein allzu gekuͤnſteltes Verlangen zu gefallen.
Jede war mit ſich ſelbſt hoͤchſt zufrieden. Beyde
hielten auf eine gezwungene Art den Mund of-
fen, weiße Zaͤhne zu zeigen, als wenn daß der
Hauptvorzug waͤre; und durch die Lockung eines
angenehmen Athems zu verliebter Vertraulichkeit
zu reizen: wobey ſie zugleich ſtillſchweigend ſich
uͤber anderer Athem aufhielten, indem ſie hoch-
muͤthig zu verſtehen geben wollten, daß der nicht
ſo rein waͤre.

Vordem haͤtte ich ſie leiden koͤnnen.

Sie ſchienen ſich in ihrer Erwartung betro-
gen zu finden, daß ich ſo bald im Stande war,
ſie zu verlaſſen. Jedoch habe ich itzo nicht ſo vie-
le Eitelkeit; meine Clariſſa hat mich von meiner
Eitelkeit geheilet; daß ich ihr Misvergnuͤgen
daruͤber ſo viel einem beſondern Wohlgefallen an
mir, als ihrer Bewunderung ihrer ſelbſt zuſchrei-
ben ſollte. Sie ſahen mich als einen Kenner der
Schoͤnheit an. Sie wuͤrden ſich eine Ehre dar-
aus gemacht haben, wenn ſie meine Aufmerkſam-

keit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0193" n="187"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
tern der beyden jungen Fra&#x0364;ulein, das mich veranla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en konnte, Vergleichungen anzu&#x017F;tellen. Be&#x017F;ondere<lb/>
Zu&#x0364;ge unterhielten meine Aufmerk&#x017F;amkeit einige Au-<lb/>
genblicke: allein die&#x017F;e dienten nur, meine Ungedult<lb/>
nach der bezaubernden Gebieterinn u&#x0364;ber mein Herz<lb/>
zu vermehren, welche an Per&#x017F;on, an We&#x017F;en, an<lb/>
Ver&#x017F;tand niemals ihres gleichen gehabt. Mein<lb/>
Herz empfand einen Ekel und ward krank, wenn<lb/>
ich ihren Ver&#x017F;tand und Umgang mit jenem ver-<lb/>
gleichen wollte. Es war nur ein lebhafter Witz,<lb/>
und ein allzu geku&#x0364;n&#x017F;teltes Verlangen zu gefallen.<lb/>
Jede war mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ho&#x0364;ch&#x017F;t zufrieden. Beyde<lb/>
hielten auf eine gezwungene Art den Mund of-<lb/>
fen, weiße Za&#x0364;hne zu zeigen, als wenn daß der<lb/>
Hauptvorzug wa&#x0364;re; und durch die Lockung eines<lb/>
angenehmen Athems zu verliebter Vertraulichkeit<lb/>
zu reizen: wobey &#x017F;ie zugleich &#x017F;till&#x017F;chweigend &#x017F;ich<lb/>
u&#x0364;ber anderer Athem aufhielten, indem &#x017F;ie hoch-<lb/>
mu&#x0364;thig zu ver&#x017F;tehen geben wollten, daß der nicht<lb/>
&#x017F;o rein wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>Vordem ha&#x0364;tte ich &#x017F;ie leiden ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;chienen &#x017F;ich in ihrer Erwartung betro-<lb/>
gen zu finden, daß ich &#x017F;o bald im Stande war,<lb/>
&#x017F;ie zu verla&#x017F;&#x017F;en. Jedoch habe ich itzo nicht &#x017F;o vie-<lb/>
le Eitelkeit; meine Clari&#x017F;&#x017F;a hat mich von meiner<lb/>
Eitelkeit geheilet; daß ich ihr Misvergnu&#x0364;gen<lb/>
daru&#x0364;ber &#x017F;o viel einem be&#x017F;ondern Wohlgefallen an<lb/>
mir, als ihrer Bewunderung ihrer &#x017F;elb&#x017F;t zu&#x017F;chrei-<lb/>
ben &#x017F;ollte. Sie &#x017F;ahen mich als einen Kenner der<lb/>
Scho&#x0364;nheit an. Sie wu&#x0364;rden &#x017F;ich eine Ehre dar-<lb/>
aus gemacht haben, wenn &#x017F;ie meine Aufmerk&#x017F;am-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">keit</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0193] tern der beyden jungen Fraͤulein, das mich veranlaſ- ſen konnte, Vergleichungen anzuſtellen. Beſondere Zuͤge unterhielten meine Aufmerkſamkeit einige Au- genblicke: allein dieſe dienten nur, meine Ungedult nach der bezaubernden Gebieterinn uͤber mein Herz zu vermehren, welche an Perſon, an Weſen, an Verſtand niemals ihres gleichen gehabt. Mein Herz empfand einen Ekel und ward krank, wenn ich ihren Verſtand und Umgang mit jenem ver- gleichen wollte. Es war nur ein lebhafter Witz, und ein allzu gekuͤnſteltes Verlangen zu gefallen. Jede war mit ſich ſelbſt hoͤchſt zufrieden. Beyde hielten auf eine gezwungene Art den Mund of- fen, weiße Zaͤhne zu zeigen, als wenn daß der Hauptvorzug waͤre; und durch die Lockung eines angenehmen Athems zu verliebter Vertraulichkeit zu reizen: wobey ſie zugleich ſtillſchweigend ſich uͤber anderer Athem aufhielten, indem ſie hoch- muͤthig zu verſtehen geben wollten, daß der nicht ſo rein waͤre. Vordem haͤtte ich ſie leiden koͤnnen. Sie ſchienen ſich in ihrer Erwartung betro- gen zu finden, daß ich ſo bald im Stande war, ſie zu verlaſſen. Jedoch habe ich itzo nicht ſo vie- le Eitelkeit; meine Clariſſa hat mich von meiner Eitelkeit geheilet; daß ich ihr Misvergnuͤgen daruͤber ſo viel einem beſondern Wohlgefallen an mir, als ihrer Bewunderung ihrer ſelbſt zuſchrei- ben ſollte. Sie ſahen mich als einen Kenner der Schoͤnheit an. Sie wuͤrden ſich eine Ehre dar- aus gemacht haben, wenn ſie meine Aufmerkſam- keit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/193
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/193>, abgerufen am 18.05.2024.