Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



viel Bedenken bey der Wahl ihrer Leute mach-
ten. Es wäre schwer für Personen von munte-
rer Gemüthsfassung, sich so zu verhalten, daß sie
allem Tadel entgingen. Offenherzigkeit und ein
freyes Ansehen stellten nur gar zu oft rechtschaffe-
ne Frauenzimmer, deren Glücksumstände sie
nicht über die Urtheile der Welt hinaussetzten,
lieblosen Vorwürfen bloß: desto mehr wären sie
zu bedauren.

Er wünschte inzwischen, Jhre Gnaden möch-
ten erzählen, was sie gehört hätten: ob es gleich
itzo wenig bedeutete; weil er niemals von mir
verlangen wollte, einen Fuß wieder in ihr Haus
zu setzen. Er bäte zugleich, die Sache nicht ge-
ringer zu machen, als sie wäre.

Es sey nichts großes, versetzte sie. Sie hät-
te nur gehört, daß mehr Weibsleute, als Manns-
personen, in dem Hause wohnten: aber mehr
Mannspersonen, als Weibsleute, zum Besuche
zu ihnen kämen. Und dieß wäre ihr; vielleicht
von Uebelgesinnten, dafür könnte sie nicht stehen;
auf eine solche Art hinterbracht worden, als wenn
etwas mehr damit gemeynet wäre, als gesaget
würde.

Dieß, antwortete er, wäre der eigentliche
Weg, andere durch verdeckte Anzeige zu beurthei-
len, der bey Verläumdern gewöhnlich wäre. Ein
jeder Mensch, und ein jedes Ding, hätte eine
schwarze und eine weisse Seite, nach dem es
Uebelgesinnten und Wohlgesinnten gefiel es vor-
zustellen. Er hätte bemerkt, daß die Zimmer

vorn
Sechster Theil. H



viel Bedenken bey der Wahl ihrer Leute mach-
ten. Es waͤre ſchwer fuͤr Perſonen von munte-
rer Gemuͤthsfaſſung, ſich ſo zu verhalten, daß ſie
allem Tadel entgingen. Offenherzigkeit und ein
freyes Anſehen ſtellten nur gar zu oft rechtſchaffe-
ne Frauenzimmer, deren Gluͤcksumſtaͤnde ſie
nicht uͤber die Urtheile der Welt hinausſetzten,
liebloſen Vorwuͤrfen bloß: deſto mehr waͤren ſie
zu bedauren.

Er wuͤnſchte inzwiſchen, Jhre Gnaden moͤch-
ten erzaͤhlen, was ſie gehoͤrt haͤtten: ob es gleich
itzo wenig bedeutete; weil er niemals von mir
verlangen wollte, einen Fuß wieder in ihr Haus
zu ſetzen. Er baͤte zugleich, die Sache nicht ge-
ringer zu machen, als ſie waͤre.

Es ſey nichts großes, verſetzte ſie. Sie haͤt-
te nur gehoͤrt, daß mehr Weibsleute, als Manns-
perſonen, in dem Hauſe wohnten: aber mehr
Mannsperſonen, als Weibsleute, zum Beſuche
zu ihnen kaͤmen. Und dieß waͤre ihr; vielleicht
von Uebelgeſinnten, dafuͤr koͤnnte ſie nicht ſtehen;
auf eine ſolche Art hinterbracht worden, als wenn
etwas mehr damit gemeynet waͤre, als geſaget
wuͤrde.

Dieß, antwortete er, waͤre der eigentliche
Weg, andere durch verdeckte Anzeige zu beurthei-
len, der bey Verlaͤumdern gewoͤhnlich waͤre. Ein
jeder Menſch, und ein jedes Ding, haͤtte eine
ſchwarze und eine weiſſe Seite, nach dem es
Uebelgeſinnten und Wohlgeſinnten gefiel es vor-
zuſtellen. Er haͤtte bemerkt, daß die Zimmer

vorn
Sechſter Theil. H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0119" n="113"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
viel Bedenken bey der Wahl ihrer Leute mach-<lb/>
ten. Es wa&#x0364;re &#x017F;chwer fu&#x0364;r Per&#x017F;onen von munte-<lb/>
rer Gemu&#x0364;thsfa&#x017F;&#x017F;ung, &#x017F;ich &#x017F;o zu verhalten, daß &#x017F;ie<lb/>
allem Tadel entgingen. Offenherzigkeit und ein<lb/>
freyes An&#x017F;ehen &#x017F;tellten nur gar zu oft recht&#x017F;chaffe-<lb/>
ne Frauenzimmer, deren Glu&#x0364;cksum&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;ie<lb/>
nicht u&#x0364;ber die Urtheile der Welt hinaus&#x017F;etzten,<lb/>
lieblo&#x017F;en Vorwu&#x0364;rfen bloß: de&#x017F;to mehr wa&#x0364;ren &#x017F;ie<lb/>
zu bedauren.</p><lb/>
          <p>Er wu&#x0364;n&#x017F;chte inzwi&#x017F;chen, Jhre Gnaden mo&#x0364;ch-<lb/>
ten erza&#x0364;hlen, <hi rendition="#fr">was</hi> &#x017F;ie geho&#x0364;rt ha&#x0364;tten: ob es gleich<lb/>
itzo wenig bedeutete; weil er niemals von mir<lb/>
verlangen wollte, einen Fuß wieder in ihr Haus<lb/>
zu &#x017F;etzen. Er ba&#x0364;te zugleich, die Sache nicht ge-<lb/>
ringer zu machen, als &#x017F;ie wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>Es &#x017F;ey nichts großes, ver&#x017F;etzte &#x017F;ie. Sie ha&#x0364;t-<lb/>
te nur geho&#x0364;rt, daß mehr Weibsleute, als Manns-<lb/>
per&#x017F;onen, in dem Hau&#x017F;e wohnten: aber mehr<lb/>
Mannsper&#x017F;onen, als Weibsleute, zum Be&#x017F;uche<lb/>
zu ihnen ka&#x0364;men. Und dieß wa&#x0364;re ihr; vielleicht<lb/>
von Uebelge&#x017F;innten, dafu&#x0364;r ko&#x0364;nnte &#x017F;ie nicht &#x017F;tehen;<lb/>
auf eine &#x017F;olche Art hinterbracht worden, als wenn<lb/>
etwas mehr damit gemeynet wa&#x0364;re, als ge&#x017F;aget<lb/>
wu&#x0364;rde.</p><lb/>
          <p>Dieß, antwortete er, wa&#x0364;re der eigentliche<lb/>
Weg, andere durch verdeckte Anzeige zu beurthei-<lb/>
len, der bey Verla&#x0364;umdern gewo&#x0364;hnlich wa&#x0364;re. Ein<lb/>
jeder Men&#x017F;ch, und ein jedes Ding, ha&#x0364;tte eine<lb/>
&#x017F;chwarze und eine wei&#x017F;&#x017F;e Seite, nach dem es<lb/>
Uebelge&#x017F;innten und Wohlge&#x017F;innten gefiel es vor-<lb/>
zu&#x017F;tellen. Er ha&#x0364;tte bemerkt, daß die Zimmer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Sech&#x017F;ter Theil.</hi> H</fw><fw place="bottom" type="catch">vorn</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0119] viel Bedenken bey der Wahl ihrer Leute mach- ten. Es waͤre ſchwer fuͤr Perſonen von munte- rer Gemuͤthsfaſſung, ſich ſo zu verhalten, daß ſie allem Tadel entgingen. Offenherzigkeit und ein freyes Anſehen ſtellten nur gar zu oft rechtſchaffe- ne Frauenzimmer, deren Gluͤcksumſtaͤnde ſie nicht uͤber die Urtheile der Welt hinausſetzten, liebloſen Vorwuͤrfen bloß: deſto mehr waͤren ſie zu bedauren. Er wuͤnſchte inzwiſchen, Jhre Gnaden moͤch- ten erzaͤhlen, was ſie gehoͤrt haͤtten: ob es gleich itzo wenig bedeutete; weil er niemals von mir verlangen wollte, einen Fuß wieder in ihr Haus zu ſetzen. Er baͤte zugleich, die Sache nicht ge- ringer zu machen, als ſie waͤre. Es ſey nichts großes, verſetzte ſie. Sie haͤt- te nur gehoͤrt, daß mehr Weibsleute, als Manns- perſonen, in dem Hauſe wohnten: aber mehr Mannsperſonen, als Weibsleute, zum Beſuche zu ihnen kaͤmen. Und dieß waͤre ihr; vielleicht von Uebelgeſinnten, dafuͤr koͤnnte ſie nicht ſtehen; auf eine ſolche Art hinterbracht worden, als wenn etwas mehr damit gemeynet waͤre, als geſaget wuͤrde. Dieß, antwortete er, waͤre der eigentliche Weg, andere durch verdeckte Anzeige zu beurthei- len, der bey Verlaͤumdern gewoͤhnlich waͤre. Ein jeder Menſch, und ein jedes Ding, haͤtte eine ſchwarze und eine weiſſe Seite, nach dem es Uebelgeſinnten und Wohlgeſinnten gefiel es vor- zuſtellen. Er haͤtte bemerkt, daß die Zimmer vorn Sechſter Theil. H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/119
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/119>, abgerufen am 23.11.2024.