ten. Jhre Unterredung endigte sich mit großen Lobeserhebungen von mir.
Jch war nicht so thöricht, daß ich ihre Lob- sprüche glaubte oder dadurch aufgeblasen wurde. Jnzwischen, weil ich keinen Argwohn gegen sie hatte: war ich nicht übel mit einem so vortheil- haften Anfange einer Bekanntschaft mit vorneh- men Frauenzimmern, von denen ich allemal mit Ruhm und Ehre hatte reden gehöret, zufrieden; ich mochte nun ihre Verwandtinn werden, oder nicht. Und gleichwohl dachte ich schon damals, so hoch ich auch von ihnen erhoben wurde, daß sie in einer oder der andern Betrachtung; ob ich gleich nicht eben wußte, in welcher; lange nicht an dasjenige reichten, was ich mir von ihnen vorgestellet hatte.
Der große Betrüger war unterdessen auch an dem andern Ende des Zimmers, nur auf ei- ner andern Seite: nach aller Wahrscheinlichkeit aus keiner andern Ursache, als damit er mir Ge- legenheit geben möchte, jene verabredete Lobeser- hebungen zu hören. - - Er sahe in ein Buch, welches seine Aufmerksamkeit nicht auf einen Au- genblick an sich gezogen haben würde, wenn nicht alles so verabredet gewesen wäre. Es war Tay- lors heiliges Leben und Sterben.
Als die verkleideten Frauenzimmer wieder zu mir gingen, kam er auch zu mir, und hatte das Buch in der Hand. - - Ein lebhaftes Buch, meine Wertheste! - - Dieser alte Gottesgelehr- te nimmt, wie ich sehe, eine gewaltig blumen-
reiche
ten. Jhre Unterredung endigte ſich mit großen Lobeserhebungen von mir.
Jch war nicht ſo thoͤricht, daß ich ihre Lob- ſpruͤche glaubte oder dadurch aufgeblaſen wurde. Jnzwiſchen, weil ich keinen Argwohn gegen ſie hatte: war ich nicht uͤbel mit einem ſo vortheil- haften Anfange einer Bekanntſchaft mit vorneh- men Frauenzimmern, von denen ich allemal mit Ruhm und Ehre hatte reden gehoͤret, zufrieden; ich mochte nun ihre Verwandtinn werden, oder nicht. Und gleichwohl dachte ich ſchon damals, ſo hoch ich auch von ihnen erhoben wurde, daß ſie in einer oder der andern Betrachtung; ob ich gleich nicht eben wußte, in welcher; lange nicht an dasjenige reichten, was ich mir von ihnen vorgeſtellet hatte.
Der große Betruͤger war unterdeſſen auch an dem andern Ende des Zimmers, nur auf ei- ner andern Seite: nach aller Wahrſcheinlichkeit aus keiner andern Urſache, als damit er mir Ge- legenheit geben moͤchte, jene verabredete Lobeser- hebungen zu hoͤren. ‒ ‒ Er ſahe in ein Buch, welches ſeine Aufmerkſamkeit nicht auf einen Au- genblick an ſich gezogen haben wuͤrde, wenn nicht alles ſo verabredet geweſen waͤre. Es war Tay- lors heiliges Leben und Sterben.
Als die verkleideten Frauenzimmer wieder zu mir gingen, kam er auch zu mir, und hatte das Buch in der Hand. ‒ ‒ Ein lebhaftes Buch, meine Wertheſte! ‒ ‒ Dieſer alte Gottesgelehr- te nimmt, wie ich ſehe, eine gewaltig blumen-
reiche
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ten. Jhre Unterredung endigte ſich mit großen
Lobeserhebungen von mir.
Jch war nicht ſo thoͤricht, daß ich ihre Lob-
ſpruͤche glaubte oder dadurch aufgeblaſen wurde.
Jnzwiſchen, weil ich keinen Argwohn gegen ſie
hatte: war ich nicht uͤbel mit einem ſo vortheil-
haften Anfange einer Bekanntſchaft mit vorneh-
men Frauenzimmern, von denen ich allemal mit
Ruhm und Ehre hatte reden gehoͤret, zufrieden;
ich mochte nun ihre Verwandtinn werden, oder
nicht. Und gleichwohl dachte ich ſchon damals,
ſo hoch ich auch von ihnen erhoben wurde, daß
ſie in einer oder der andern Betrachtung; ob ich
gleich nicht eben wußte, in welcher; lange nicht
an dasjenige reichten, was ich mir von ihnen
vorgeſtellet hatte.
Der große Betruͤger war unterdeſſen auch
an dem andern Ende des Zimmers, nur auf ei-
ner andern Seite: nach aller Wahrſcheinlichkeit
aus keiner andern Urſache, als damit er mir Ge-
legenheit geben moͤchte, jene verabredete Lobeser-
hebungen zu hoͤren. ‒ ‒ Er ſahe in ein Buch,
welches ſeine Aufmerkſamkeit nicht auf einen Au-
genblick an ſich gezogen haben wuͤrde, wenn nicht
alles ſo verabredet geweſen waͤre. Es war Tay-
lors heiliges Leben und Sterben.
Als die verkleideten Frauenzimmer wieder zu
mir gingen, kam er auch zu mir, und hatte das
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/113>, abgerufen am 25.11.2024.
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