Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Vertrag, als ich willens gewesen war, einzuge-
hen genöthigt wurde. Jch wollte Jhre Ant-
wort auf meinen Brief erwarten, sagte ich: und
wo diese die Maaßregeln, wozu ich mich ent-
schlossen, und die Lebensart, die ich mir vorge-
nommen hätte, zweifelhaft und schwierig machte;
so wollte ich alsdenn die Sache überlegen, und
wenn sie es erlauben wollten, ihnen alles vorstel-
len, und gemeinschaftlich mit Jhnen, meine lieb-
ste Freundinn, ihren Rath darüber hören, als
wenn die eine meine eigne Tante, und die andere
meine eigne Base wäre.

Darüber vergossen sie Thränen - - Freu-
denthränen hießen es bey ihnen - - Aber ich
halte sie nach der Zeit zu ihrer eignen Ehre, so
gottlos sie auch sind, für Thränen, die eine vorü-
bergehende Regung des Gewissens erzeugte.
Denn die vermeynte Fräulein Montague, wandte
sich um, und sagte, wie ich mich besinne, es wä-
re nicht auszuhalten.

Hingegen Herr Lovelace ließ sich nicht so leicht
befriedigen. Vielleicht hatte er seine schändliche
Maaßregeln schon fest gesetzet, und mochte also
gern einen Vorwand wider mich haben wollen.
Er biß sich auf die Lefzen. - - Er wäre nur all-
zuviel, sprach er, zu solcher Gleichgültigkeit und
solcher Kaltsinnigkeit selbst mitten unter dem glück-
lichsten Anschein für sich gewöhnet - - Jch hät-
te ihm wohl bey zwanzig Gelegenheiten zu seinem
größten Leidwesen gezeiget, daß alle Gewogenheit,
die ich ihm hätte erweisen wollen, sich auf - -

Hier



Vertrag, als ich willens geweſen war, einzuge-
hen genoͤthigt wurde. Jch wollte Jhre Ant-
wort auf meinen Brief erwarten, ſagte ich: und
wo dieſe die Maaßregeln, wozu ich mich ent-
ſchloſſen, und die Lebensart, die ich mir vorge-
nommen haͤtte, zweifelhaft und ſchwierig machte;
ſo wollte ich alsdenn die Sache uͤberlegen, und
wenn ſie es erlauben wollten, ihnen alles vorſtel-
len, und gemeinſchaftlich mit Jhnen, meine lieb-
ſte Freundinn, ihren Rath daruͤber hoͤren, als
wenn die eine meine eigne Tante, und die andere
meine eigne Baſe waͤre.

Daruͤber vergoſſen ſie Thraͤnen ‒ ‒ Freu-
denthraͤnen hießen es bey ihnen ‒ ‒ Aber ich
halte ſie nach der Zeit zu ihrer eignen Ehre, ſo
gottlos ſie auch ſind, fuͤr Thraͤnen, die eine voruͤ-
bergehende Regung des Gewiſſens erzeugte.
Denn die vermeynte Fraͤulein Montague, wandte
ſich um, und ſagte, wie ich mich beſinne, es waͤ-
re nicht auszuhalten.

Hingegen Herr Lovelace ließ ſich nicht ſo leicht
befriedigen. Vielleicht hatte er ſeine ſchaͤndliche
Maaßregeln ſchon feſt geſetzet, und mochte alſo
gern einen Vorwand wider mich haben wollen.
Er biß ſich auf die Lefzen. ‒ ‒ Er waͤre nur all-
zuviel, ſprach er, zu ſolcher Gleichguͤltigkeit und
ſolcher Kaltſinnigkeit ſelbſt mitten unter dem gluͤck-
lichſten Anſchein fuͤr ſich gewoͤhnet ‒ ‒ Jch haͤt-
te ihm wohl bey zwanzig Gelegenheiten zu ſeinem
groͤßten Leidweſen gezeiget, daß alle Gewogenheit,
die ich ihm haͤtte erweiſen wollen, ſich auf ‒ ‒

Hier
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0108" n="102"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Vertrag, als ich willens gewe&#x017F;en war, einzuge-<lb/>
hen geno&#x0364;thigt wurde. Jch wollte Jhre Ant-<lb/>
wort auf meinen Brief erwarten, &#x017F;agte ich: und<lb/>
wo die&#x017F;e die Maaßregeln, wozu ich mich ent-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und die Lebensart, die ich mir vorge-<lb/>
nommen ha&#x0364;tte, zweifelhaft und &#x017F;chwierig machte;<lb/>
&#x017F;o wollte ich alsdenn die Sache u&#x0364;berlegen, und<lb/>
wenn &#x017F;ie es erlauben wollten, ihnen alles vor&#x017F;tel-<lb/>
len, und gemein&#x017F;chaftlich mit Jhnen, meine lieb-<lb/>
&#x017F;te Freundinn, ihren Rath daru&#x0364;ber ho&#x0364;ren, als<lb/>
wenn die eine meine eigne Tante, und die andere<lb/>
meine eigne Ba&#x017F;e wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>Daru&#x0364;ber vergo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie Thra&#x0364;nen &#x2012; &#x2012; Freu-<lb/>
denthra&#x0364;nen hießen es bey ihnen &#x2012; &#x2012; Aber ich<lb/>
halte &#x017F;ie nach der Zeit zu ihrer eignen Ehre, &#x017F;o<lb/>
gottlos &#x017F;ie auch &#x017F;ind, fu&#x0364;r Thra&#x0364;nen, die eine voru&#x0364;-<lb/>
bergehende Regung des Gewi&#x017F;&#x017F;ens erzeugte.<lb/>
Denn die vermeynte Fra&#x0364;ulein Montague, wandte<lb/>
&#x017F;ich um, und &#x017F;agte, wie ich mich be&#x017F;inne, es wa&#x0364;-<lb/>
re nicht auszuhalten.</p><lb/>
          <p>Hingegen Herr Lovelace ließ &#x017F;ich nicht &#x017F;o leicht<lb/>
befriedigen. Vielleicht hatte er &#x017F;eine &#x017F;cha&#x0364;ndliche<lb/>
Maaßregeln &#x017F;chon fe&#x017F;t ge&#x017F;etzet, und mochte al&#x017F;o<lb/>
gern einen Vorwand wider mich haben wollen.<lb/>
Er biß &#x017F;ich auf die Lefzen. &#x2012; &#x2012; Er wa&#x0364;re nur all-<lb/>
zuviel, &#x017F;prach er, zu &#x017F;olcher Gleichgu&#x0364;ltigkeit und<lb/>
&#x017F;olcher Kalt&#x017F;innigkeit &#x017F;elb&#x017F;t mitten unter dem glu&#x0364;ck-<lb/>
lich&#x017F;ten An&#x017F;chein fu&#x0364;r &#x017F;ich gewo&#x0364;hnet &#x2012; &#x2012; Jch ha&#x0364;t-<lb/>
te ihm wohl bey zwanzig Gelegenheiten zu &#x017F;einem<lb/>
gro&#x0364;ßten Leidwe&#x017F;en gezeiget, daß alle Gewogenheit,<lb/>
die ich ihm ha&#x0364;tte erwei&#x017F;en wollen, &#x017F;ich auf &#x2012; &#x2012;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Hier</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0108] Vertrag, als ich willens geweſen war, einzuge- hen genoͤthigt wurde. Jch wollte Jhre Ant- wort auf meinen Brief erwarten, ſagte ich: und wo dieſe die Maaßregeln, wozu ich mich ent- ſchloſſen, und die Lebensart, die ich mir vorge- nommen haͤtte, zweifelhaft und ſchwierig machte; ſo wollte ich alsdenn die Sache uͤberlegen, und wenn ſie es erlauben wollten, ihnen alles vorſtel- len, und gemeinſchaftlich mit Jhnen, meine lieb- ſte Freundinn, ihren Rath daruͤber hoͤren, als wenn die eine meine eigne Tante, und die andere meine eigne Baſe waͤre. Daruͤber vergoſſen ſie Thraͤnen ‒ ‒ Freu- denthraͤnen hießen es bey ihnen ‒ ‒ Aber ich halte ſie nach der Zeit zu ihrer eignen Ehre, ſo gottlos ſie auch ſind, fuͤr Thraͤnen, die eine voruͤ- bergehende Regung des Gewiſſens erzeugte. Denn die vermeynte Fraͤulein Montague, wandte ſich um, und ſagte, wie ich mich beſinne, es waͤ- re nicht auszuhalten. Hingegen Herr Lovelace ließ ſich nicht ſo leicht befriedigen. Vielleicht hatte er ſeine ſchaͤndliche Maaßregeln ſchon feſt geſetzet, und mochte alſo gern einen Vorwand wider mich haben wollen. Er biß ſich auf die Lefzen. ‒ ‒ Er waͤre nur all- zuviel, ſprach er, zu ſolcher Gleichguͤltigkeit und ſolcher Kaltſinnigkeit ſelbſt mitten unter dem gluͤck- lichſten Anſchein fuͤr ſich gewoͤhnet ‒ ‒ Jch haͤt- te ihm wohl bey zwanzig Gelegenheiten zu ſeinem groͤßten Leidweſen gezeiget, daß alle Gewogenheit, die ich ihm haͤtte erweiſen wollen, ſich auf ‒ ‒ Hier

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/108
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/108>, abgerufen am 14.08.2024.