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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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Die Mutter machte ein Geräusch mit ihrer
verdammten Nase. Sarah und Marichen zo-
gen ihre Schnupftücher heraus und wandten sich
von uns. Nachher erzählten sie mir, daß sie in
ihrem Leben niemals einen solchen Aufzug gese-
hen hätten - -

Die Unschuld so sieghaft: die Bosheit so er-
niedriget, mußten sie meynen!

Aus Unachtsamkeit auf mich selbst hatte ich
mich unterdessen weiter zu meinmm Engel bewe-
get - - Und sagst du dich noch immer von dei-
ner Bosheit los, kommst du noch immer näher
- - Rückest du, rückest du noch immer hinterli-
stigerweise näher zu mir - - - Jhre Hand war
schon ausgerecket - - Jch habe Herz - - Jch habe
Herz - - Jedoch auch nicht überilt - - Mein
Herz verabscheuet nach guten Grundsätzen die
That, wozu du mich nöthigest! - - Gott,
nach deiner Barmherzigkeit! - - Das sagte sie
mit aufgehobenen Augen und Händen - - Gott
nach deiner Barmherzigkeit! - -

Jch flog in die andere Ecke des Zimmers.
Den Augenblick waren ihre Gedanken mit ei-
nem Seufzer, einem stillen Seufzer beschäfftiget.
Marichen sagt, daß nur das Weiße von ihren
liebenswürdigen Augen zu sehen gewesen. Aber
eben, da sie ihre Hand ausreckte, ohne allen
Streit,
sich den tödtlichen Stoß zu versetzen;
o! wie beunruhiget mich noch die bloße Erzäh-
lung: warf sie ihre Augen auf mich, und sahe
mich in der äußersten Entfernung, die das Zim-

mer


Die Mutter machte ein Geraͤuſch mit ihrer
verdammten Naſe. Sarah und Marichen zo-
gen ihre Schnupftuͤcher heraus und wandten ſich
von uns. Nachher erzaͤhlten ſie mir, daß ſie in
ihrem Leben niemals einen ſolchen Aufzug geſe-
hen haͤtten ‒ ‒

Die Unſchuld ſo ſieghaft: die Bosheit ſo er-
niedriget, mußten ſie meynen!

Aus Unachtſamkeit auf mich ſelbſt hatte ich
mich unterdeſſen weiter zu meinmm Engel bewe-
get ‒ ‒ Und ſagſt du dich noch immer von dei-
ner Bosheit los, kommſt du noch immer naͤher
‒ ‒ Ruͤckeſt du, ruͤckeſt du noch immer hinterli-
ſtigerweiſe naͤher zu mir ‒ ‒ ‒ Jhre Hand war
ſchon ausgerecket ‒ ‒ Jch habe Herz ‒ ‒ Jch habe
Herz ‒ ‒ Jedoch auch nicht uͤberilt ‒ ‒ Mein
Herz verabſcheuet nach guten Grundſaͤtzen die
That, wozu du mich noͤthigeſt! ‒ ‒ Gott,
nach deiner Barmherzigkeit! ‒ ‒ Das ſagte ſie
mit aufgehobenen Augen und Haͤnden ‒ ‒ Gott
nach deiner Barmherzigkeit! ‒ ‒

Jch flog in die andere Ecke des Zimmers.
Den Augenblick waren ihre Gedanken mit ei-
nem Seufzer, einem ſtillen Seufzer beſchaͤfftiget.
Marichen ſagt, daß nur das Weiße von ihren
liebenswuͤrdigen Augen zu ſehen geweſen. Aber
eben, da ſie ihre Hand ausreckte, ohne allen
Streit,
ſich den toͤdtlichen Stoß zu verſetzen;
o! wie beunruhiget mich noch die bloße Erzaͤh-
lung: warf ſie ihre Augen auf mich, und ſahe
mich in der aͤußerſten Entfernung, die das Zim-

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[816/0822] Die Mutter machte ein Geraͤuſch mit ihrer verdammten Naſe. Sarah und Marichen zo- gen ihre Schnupftuͤcher heraus und wandten ſich von uns. Nachher erzaͤhlten ſie mir, daß ſie in ihrem Leben niemals einen ſolchen Aufzug geſe- hen haͤtten ‒ ‒ Die Unſchuld ſo ſieghaft: die Bosheit ſo er- niedriget, mußten ſie meynen! Aus Unachtſamkeit auf mich ſelbſt hatte ich mich unterdeſſen weiter zu meinmm Engel bewe- get ‒ ‒ Und ſagſt du dich noch immer von dei- ner Bosheit los, kommſt du noch immer naͤher ‒ ‒ Ruͤckeſt du, ruͤckeſt du noch immer hinterli- ſtigerweiſe naͤher zu mir ‒ ‒ ‒ Jhre Hand war ſchon ausgerecket ‒ ‒ Jch habe Herz ‒ ‒ Jch habe Herz ‒ ‒ Jedoch auch nicht uͤberilt ‒ ‒ Mein Herz verabſcheuet nach guten Grundſaͤtzen die That, wozu du mich noͤthigeſt! ‒ ‒ Gott, nach deiner Barmherzigkeit! ‒ ‒ Das ſagte ſie mit aufgehobenen Augen und Haͤnden ‒ ‒ Gott nach deiner Barmherzigkeit! ‒ ‒ Jch flog in die andere Ecke des Zimmers. Den Augenblick waren ihre Gedanken mit ei- nem Seufzer, einem ſtillen Seufzer beſchaͤfftiget. Marichen ſagt, daß nur das Weiße von ihren liebenswuͤrdigen Augen zu ſehen geweſen. Aber eben, da ſie ihre Hand ausreckte, ohne allen Streit, ſich den toͤdtlichen Stoß zu verſetzen; o! wie beunruhiget mich noch die bloße Erzaͤh- lung: warf ſie ihre Augen auf mich, und ſahe mich in der aͤußerſten Entfernung, die das Zim- mer

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 816. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/822>, abgerufen am 24.11.2024.