Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



"solchen Dingen, wovon sich die übeln Folgen
"weit mehr ausbreiten, als von der Verführung
"(und nachmaligen Versorgung) eines Mädchens
"welches von der Wiegen an mit Fürsichtigkeit
"gegen die Ränke der Mannspersonen gewaffnet
"ist." Und dennoch bin ich nicht so partheyisch
gegen meine eigne Fehler, daß ich von diesem
geringe denken sollte, wenn ich mir selbst zu den-
ken erlaube.

Noch ein wichtiges Stück will ich hinzusetzen:
da ich doch einmal bey der Sache bin. "Jch
"liebe das schöne Geschlecht so herzlich, daß ich
"weit mehr auf die sittlichen Grundsätze für die
"Frauenzimmer gesehen haben würde, als ich
"wirklich gethan habe, wenn ich einen tugend-
"haften Character überhaupt und ohne Ausnah-
"me nöthig gefunden hätte, mich bey ihnen beliebt
"zu machen."

Alles kurz zusammen zu fassen - - Jch bin
überzeugt, daß Leute von edlen und ehrlichen
Herzen, die sich niemals, mit Vorbedachte böses
zu thun, erlaubt haben, und die ausnehmenden
Vorzüge dieses artigen Frauenzimmers zugleich
in Betrachtung ziehen, mich nicht allein verdam-
men sondern auch verabscheuen würden und müß-
ten: wenn sie so viel, als du; von mir wissen
sollten. Aber mich deucht, ich dürfte doch wohl
zu meinem Vergnügen dem Tadel derjenigen
Männer und auch selbst derjenigen Weibsperso-
nen entgehen, die niemals erfahren haben, was
Hauptproben und Hauptversuchungen sind; der-

jenigen,



„ſolchen Dingen, wovon ſich die uͤbeln Folgen
„weit mehr ausbreiten, als von der Verfuͤhrung
„(und nachmaligen Verſorgung) eines Maͤdchens
„welches von der Wiegen an mit Fuͤrſichtigkeit
„gegen die Raͤnke der Mannsperſonen gewaffnet
„iſt.“ Und dennoch bin ich nicht ſo partheyiſch
gegen meine eigne Fehler, daß ich von dieſem
geringe denken ſollte, wenn ich mir ſelbſt zu den-
ken erlaube.

Noch ein wichtiges Stuͤck will ich hinzuſetzen:
da ich doch einmal bey der Sache bin. „Jch
„liebe das ſchoͤne Geſchlecht ſo herzlich, daß ich
„weit mehr auf die ſittlichen Grundſaͤtze fuͤr die
„Frauenzimmer geſehen haben wuͤrde, als ich
„wirklich gethan habe, wenn ich einen tugend-
„haften Character uͤberhaupt und ohne Ausnah-
„me noͤthig gefunden haͤtte, mich bey ihnen beliebt
„zu machen.“

Alles kurz zuſammen zu faſſen ‒ ‒ Jch bin
uͤberzeugt, daß Leute von edlen und ehrlichen
Herzen, die ſich niemals, mit Vorbedachte boͤſes
zu thun, erlaubt haben, und die ausnehmenden
Vorzuͤge dieſes artigen Frauenzimmers zugleich
in Betrachtung ziehen, mich nicht allein verdam-
men ſondern auch verabſcheuen wuͤrden und muͤß-
ten: wenn ſie ſo viel, als du; von mir wiſſen
ſollten. Aber mich deucht, ich duͤrfte doch wohl
zu meinem Vergnuͤgen dem Tadel derjenigen
Maͤnner und auch ſelbſt derjenigen Weibsperſo-
nen entgehen, die niemals erfahren haben, was
Hauptproben und Hauptverſuchungen ſind; der-

jenigen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0070" n="64"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201E;&#x017F;olchen Dingen, wovon &#x017F;ich die u&#x0364;beln Folgen<lb/>
&#x201E;weit mehr ausbreiten, als von der Verfu&#x0364;hrung<lb/>
&#x201E;(und nachmaligen Ver&#x017F;orgung) eines Ma&#x0364;dchens<lb/>
&#x201E;welches von der Wiegen an mit Fu&#x0364;r&#x017F;ichtigkeit<lb/>
&#x201E;gegen die Ra&#x0364;nke der Mannsper&#x017F;onen gewaffnet<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t.&#x201C; Und dennoch bin ich nicht &#x017F;o partheyi&#x017F;ch<lb/>
gegen meine eigne Fehler, daß ich von die&#x017F;em<lb/>
geringe denken &#x017F;ollte, wenn ich mir &#x017F;elb&#x017F;t zu den-<lb/>
ken erlaube.</p><lb/>
          <p>Noch ein wichtiges Stu&#x0364;ck will ich hinzu&#x017F;etzen:<lb/>
da ich doch einmal bey der Sache bin. &#x201E;Jch<lb/>
&#x201E;liebe das &#x017F;cho&#x0364;ne Ge&#x017F;chlecht &#x017F;o herzlich, daß ich<lb/>
&#x201E;weit mehr auf die &#x017F;ittlichen Grund&#x017F;a&#x0364;tze fu&#x0364;r die<lb/>
&#x201E;Frauenzimmer ge&#x017F;ehen haben wu&#x0364;rde, als ich<lb/>
&#x201E;wirklich gethan habe, wenn ich einen tugend-<lb/>
&#x201E;haften Character u&#x0364;berhaupt und ohne Ausnah-<lb/>
&#x201E;me no&#x0364;thig gefunden ha&#x0364;tte, mich bey ihnen beliebt<lb/>
&#x201E;zu machen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Alles kurz zu&#x017F;ammen zu fa&#x017F;&#x017F;en &#x2012; &#x2012; Jch bin<lb/>
u&#x0364;berzeugt, daß Leute von edlen und ehrlichen<lb/>
Herzen, die &#x017F;ich niemals, mit Vorbedachte bo&#x0364;&#x017F;es<lb/>
zu thun, erlaubt haben, und die ausnehmenden<lb/>
Vorzu&#x0364;ge die&#x017F;es artigen Frauenzimmers zugleich<lb/>
in Betrachtung ziehen, mich nicht allein verdam-<lb/>
men &#x017F;ondern auch verab&#x017F;cheuen wu&#x0364;rden und mu&#x0364;ß-<lb/>
ten: wenn &#x017F;ie &#x017F;o viel, als du; von mir wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ollten. Aber mich deucht, ich du&#x0364;rfte doch wohl<lb/>
zu meinem Vergnu&#x0364;gen dem Tadel derjenigen<lb/>
Ma&#x0364;nner und auch &#x017F;elb&#x017F;t derjenigen Weibsper&#x017F;o-<lb/>
nen entgehen, die niemals erfahren haben, was<lb/>
Hauptproben und Hauptver&#x017F;uchungen &#x017F;ind; der-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">jenigen,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0070] „ſolchen Dingen, wovon ſich die uͤbeln Folgen „weit mehr ausbreiten, als von der Verfuͤhrung „(und nachmaligen Verſorgung) eines Maͤdchens „welches von der Wiegen an mit Fuͤrſichtigkeit „gegen die Raͤnke der Mannsperſonen gewaffnet „iſt.“ Und dennoch bin ich nicht ſo partheyiſch gegen meine eigne Fehler, daß ich von dieſem geringe denken ſollte, wenn ich mir ſelbſt zu den- ken erlaube. Noch ein wichtiges Stuͤck will ich hinzuſetzen: da ich doch einmal bey der Sache bin. „Jch „liebe das ſchoͤne Geſchlecht ſo herzlich, daß ich „weit mehr auf die ſittlichen Grundſaͤtze fuͤr die „Frauenzimmer geſehen haben wuͤrde, als ich „wirklich gethan habe, wenn ich einen tugend- „haften Character uͤberhaupt und ohne Ausnah- „me noͤthig gefunden haͤtte, mich bey ihnen beliebt „zu machen.“ Alles kurz zuſammen zu faſſen ‒ ‒ Jch bin uͤberzeugt, daß Leute von edlen und ehrlichen Herzen, die ſich niemals, mit Vorbedachte boͤſes zu thun, erlaubt haben, und die ausnehmenden Vorzuͤge dieſes artigen Frauenzimmers zugleich in Betrachtung ziehen, mich nicht allein verdam- men ſondern auch verabſcheuen wuͤrden und muͤß- ten: wenn ſie ſo viel, als du; von mir wiſſen ſollten. Aber mich deucht, ich duͤrfte doch wohl zu meinem Vergnuͤgen dem Tadel derjenigen Maͤnner und auch ſelbſt derjenigen Weibsperſo- nen entgehen, die niemals erfahren haben, was Hauptproben und Hauptverſuchungen ſind; der- jenigen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/70
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/70>, abgerufen am 17.05.2024.