Familien: so antwortete sie mir mit dieser hoch- fliegenden und großmüthigen Rede:
Kannst du so niederträchtig seyn, Lovelace, daß du aus einer Person, die du so schimpflich beleidiget, entehret, und gemishandelt hast, wie mich, deine Frau zu machen wünschest? Mußte Clarissa Harlowe nothwendig erst so weit ernie- drigt werden, als dich deine Schandthaten ernie- drigen, ehe sie sich zu einer Frau für dich schicken konnte? Du hast einen Vater gehabt, der Ehre und Tugend liebte: eine Mutter, die eines bessern Sohnes würdig war - - Du hast einen Onkel, der dem hohen Adel keine Schande macht, in ei- nem Reiche, dessen Lords mehr Ansehn und Ehre haben, als der Adel in irgend einem andern Lan- de. Du hast auch andere Verwandten, mit de- nen du dich wohl rühmen magst, ob sie sich gleich mit dir nicht rühmen können. Kannst du dir nicht vorstellen, wie du dieselben; die verstor- benen aus ihren Gräbern, die lebendigen aus ei- nem löblichen und ehrliebenden Gemüthe; dir zurufen hörest, daß du dein altes und ansehnli- ches Haus nicht durch ein Ehebündniß mit einer Elenden, die du dem Unflath auf der Gassen gleich gemacht, und mit den Verächtlichsten von ihrem Geschlechte in eine Reihe gesetzet hast, ent- ehren mögest?
Jch erhob ihre Großmuth und Tugend. Jch verfluchte mich selbst wegen meines strafbaren Verbrechens. Jch stellte ihr vor, wie angenehm die Ehre, um die ich flehete, so wohl den abge-
schie-
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Familien: ſo antwortete ſie mir mit dieſer hoch- fliegenden und großmuͤthigen Rede:
Kannſt du ſo niedertraͤchtig ſeyn, Lovelace, daß du aus einer Perſon, die du ſo ſchimpflich beleidiget, entehret, und gemishandelt haſt, wie mich, deine Frau zu machen wuͤnſcheſt? Mußte Clariſſa Harlowe nothwendig erſt ſo weit ernie- drigt werden, als dich deine Schandthaten ernie- drigen, ehe ſie ſich zu einer Frau fuͤr dich ſchicken konnte? Du haſt einen Vater gehabt, der Ehre und Tugend liebte: eine Mutter, die eines beſſern Sohnes wuͤrdig war ‒ ‒ Du haſt einen Onkel, der dem hohen Adel keine Schande macht, in ei- nem Reiche, deſſen Lords mehr Anſehn und Ehre haben, als der Adel in irgend einem andern Lan- de. Du haſt auch andere Verwandten, mit de- nen du dich wohl ruͤhmen magſt, ob ſie ſich gleich mit dir nicht ruͤhmen koͤnnen. Kannſt du dir nicht vorſtellen, wie du dieſelben; die verſtor- benen aus ihren Graͤbern, die lebendigen aus ei- nem loͤblichen und ehrliebenden Gemuͤthe; dir zurufen hoͤreſt, daß du dein altes und anſehnli- ches Haus nicht durch ein Ehebuͤndniß mit einer Elenden, die du dem Unflath auf der Gaſſen gleich gemacht, und mit den Veraͤchtlichſten von ihrem Geſchlechte in eine Reihe geſetzet haſt, ent- ehren moͤgeſt?
Jch erhob ihre Großmuth und Tugend. Jch verfluchte mich ſelbſt wegen meines ſtrafbaren Verbrechens. Jch ſtellte ihr vor, wie angenehm die Ehre, um die ich flehete, ſo wohl den abge-
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Familien: ſo antwortete ſie mir mit dieſer hoch-
fliegenden und großmuͤthigen Rede:
Kannſt du ſo niedertraͤchtig ſeyn, Lovelace,
daß du aus einer Perſon, die du ſo ſchimpflich
beleidiget, entehret, und gemishandelt haſt, wie
mich, deine Frau zu machen wuͤnſcheſt? Mußte
Clariſſa Harlowe nothwendig erſt ſo weit ernie-
drigt werden, als dich deine Schandthaten ernie-
drigen, ehe ſie ſich zu einer Frau fuͤr dich ſchicken
konnte? Du haſt einen Vater gehabt, der Ehre
und Tugend liebte: eine Mutter, die eines beſſern
Sohnes wuͤrdig war ‒ ‒ Du haſt einen Onkel,
der dem hohen Adel keine Schande macht, in ei-
nem Reiche, deſſen Lords mehr Anſehn und Ehre
haben, als der Adel in irgend einem andern Lan-
de. Du haſt auch andere Verwandten, mit de-
nen du dich wohl ruͤhmen magſt, ob ſie ſich
gleich mit dir nicht ruͤhmen koͤnnen. Kannſt du
dir nicht vorſtellen, wie du dieſelben; die verſtor-
benen aus ihren Graͤbern, die lebendigen aus ei-
nem loͤblichen und ehrliebenden Gemuͤthe; dir
zurufen hoͤreſt, daß du dein altes und anſehnli-
ches Haus nicht durch ein Ehebuͤndniß mit einer
Elenden, die du dem Unflath auf der Gaſſen
gleich gemacht, und mit den Veraͤchtlichſten von
ihrem Geſchlechte in eine Reihe geſetzet haſt, ent-
ehren moͤgeſt?
Jch erhob ihre Großmuth und Tugend. Jch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/697>, abgerufen am 23.11.2024.
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