Zeigt sie mir nicht, daß sie so gut, als ich, vor- setzlich betrügen kann?
Wäre sie in dem Vörderhause gewesen, und hätte sie nicht einen kleinen Weg bis an die Gas- senthüre gehabt: so würde sie gewiß fortgekom- men seyn. Aber ihre Eilfertigkeit hat sie verra- then. Denn Sarah Martin war von ohnge- fähr in dem Vördersaal; und da sie eine ge- schwindere Bewegung, als gewöhnlich, und ein Rauschen von seidenem Zeuge hörte, als wenn je- mand eilfertig wäre: so sahe sie heraus; und so bald sie gewahr ward, wer es wäre, lief sie zwi- schen dieselbe und die Thüre und stellte sich mit dem Rücken gegen diese.
Sie müssen nicht weggehen, Madame. Jn Wahrheit sie müssen nicht.
Aus was für Recht? - - Und wie unterste- hen sie sich? - - Dieß und dergleichen gebieteri- sches Wesen mehr nahm das liebe Kind an - - Sarah rief unterdessen über ihre Tante: und alsobald vereinigten sich ein halb Dutzend Stim- men, und schrien, daß ich eiligst, eiligst den Augen- blick hinunter kommen möchte.
Jch war eben oben an der Treppe und un- terrichtete Dorcas sorgfältig, wie sie sich verhal- ten sollte; voller Verwunderung, was bey der Unterredung, von welcher sie Zeuge seyn sollte, vorgehen möchte: als dieß Geschrey zu meinen Ohren kam. Jch flog hinunter - - und da stand das schöne Kind, die angenehme Betrüge- rinn, außer Othem, mit dem Rücken gegen die
Schei-
T t 5
Zeigt ſie mir nicht, daß ſie ſo gut, als ich, vor- ſetzlich betruͤgen kann?
Waͤre ſie in dem Voͤrderhauſe geweſen, und haͤtte ſie nicht einen kleinen Weg bis an die Gaſ- ſenthuͤre gehabt: ſo wuͤrde ſie gewiß fortgekom- men ſeyn. Aber ihre Eilfertigkeit hat ſie verra- then. Denn Sarah Martin war von ohnge- faͤhr in dem Voͤrderſaal; und da ſie eine ge- ſchwindere Bewegung, als gewoͤhnlich, und ein Rauſchen von ſeidenem Zeuge hoͤrte, als wenn je- mand eilfertig waͤre: ſo ſahe ſie heraus; und ſo bald ſie gewahr ward, wer es waͤre, lief ſie zwi- ſchen dieſelbe und die Thuͤre und ſtellte ſich mit dem Ruͤcken gegen dieſe.
Sie muͤſſen nicht weggehen, Madame. Jn Wahrheit ſie muͤſſen nicht.
Aus was fuͤr Recht? ‒ ‒ Und wie unterſte- hen ſie ſich? ‒ ‒ Dieß und dergleichen gebieteri- ſches Weſen mehr nahm das liebe Kind an ‒ ‒ Sarah rief unterdeſſen uͤber ihre Tante: und alſobald vereinigten ſich ein halb Dutzend Stim- men, und ſchrien, daß ich eiligſt, eiligſt den Augen- blick hinunter kommen moͤchte.
Jch war eben oben an der Treppe und un- terrichtete Dorcas ſorgfaͤltig, wie ſie ſich verhal- ten ſollte; voller Verwunderung, was bey der Unterredung, von welcher ſie Zeuge ſeyn ſollte, vorgehen moͤchte: als dieß Geſchrey zu meinen Ohren kam. Jch flog hinunter ‒ ‒ und da ſtand das ſchoͤne Kind, die angenehme Betruͤge- rinn, außer Othem, mit dem Ruͤcken gegen die
Schei-
T t 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0671"n="665"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Zeigt ſie mir nicht, daß ſie ſo gut, als ich, vor-<lb/>ſetzlich betruͤgen kann?</p><lb/><p>Waͤre ſie in dem Voͤrderhauſe geweſen, und<lb/>
haͤtte ſie nicht einen kleinen Weg bis an die Gaſ-<lb/>ſenthuͤre gehabt: ſo wuͤrde ſie gewiß fortgekom-<lb/>
men ſeyn. Aber ihre Eilfertigkeit hat ſie verra-<lb/>
then. Denn Sarah Martin war von ohnge-<lb/>
faͤhr in dem Voͤrderſaal; und da ſie eine ge-<lb/>ſchwindere Bewegung, als gewoͤhnlich, und ein<lb/>
Rauſchen von ſeidenem Zeuge hoͤrte, als wenn je-<lb/>
mand eilfertig waͤre: ſo ſahe ſie heraus; und ſo<lb/>
bald ſie gewahr ward, wer es waͤre, lief ſie zwi-<lb/>ſchen dieſelbe und die Thuͤre und ſtellte ſich mit<lb/>
dem Ruͤcken gegen dieſe.</p><lb/><p>Sie muͤſſen nicht weggehen, Madame. Jn<lb/>
Wahrheit ſie muͤſſen nicht.</p><lb/><p>Aus was fuͤr Recht? ‒‒ Und wie unterſte-<lb/>
hen ſie ſich? ‒‒ Dieß und dergleichen gebieteri-<lb/>ſches Weſen mehr nahm das liebe Kind an ‒‒<lb/>
Sarah rief unterdeſſen uͤber ihre Tante: und<lb/>
alſobald vereinigten ſich ein halb Dutzend Stim-<lb/>
men, und ſchrien, daß ich eiligſt, eiligſt den Augen-<lb/>
blick hinunter kommen moͤchte.</p><lb/><p>Jch war eben oben an der Treppe und un-<lb/>
terrichtete Dorcas ſorgfaͤltig, wie ſie ſich verhal-<lb/>
ten ſollte; voller Verwunderung, was bey der<lb/>
Unterredung, von welcher ſie Zeuge ſeyn ſollte,<lb/>
vorgehen moͤchte: als dieß Geſchrey zu meinen<lb/>
Ohren kam. Jch flog hinunter ‒‒ und da<lb/>ſtand das ſchoͤne Kind, die angenehme Betruͤge-<lb/>
rinn, außer Othem, mit dem Ruͤcken gegen die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">T t 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Schei-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[665/0671]
Zeigt ſie mir nicht, daß ſie ſo gut, als ich, vor-
ſetzlich betruͤgen kann?
Waͤre ſie in dem Voͤrderhauſe geweſen, und
haͤtte ſie nicht einen kleinen Weg bis an die Gaſ-
ſenthuͤre gehabt: ſo wuͤrde ſie gewiß fortgekom-
men ſeyn. Aber ihre Eilfertigkeit hat ſie verra-
then. Denn Sarah Martin war von ohnge-
faͤhr in dem Voͤrderſaal; und da ſie eine ge-
ſchwindere Bewegung, als gewoͤhnlich, und ein
Rauſchen von ſeidenem Zeuge hoͤrte, als wenn je-
mand eilfertig waͤre: ſo ſahe ſie heraus; und ſo
bald ſie gewahr ward, wer es waͤre, lief ſie zwi-
ſchen dieſelbe und die Thuͤre und ſtellte ſich mit
dem Ruͤcken gegen dieſe.
Sie muͤſſen nicht weggehen, Madame. Jn
Wahrheit ſie muͤſſen nicht.
Aus was fuͤr Recht? ‒ ‒ Und wie unterſte-
hen ſie ſich? ‒ ‒ Dieß und dergleichen gebieteri-
ſches Weſen mehr nahm das liebe Kind an ‒ ‒
Sarah rief unterdeſſen uͤber ihre Tante: und
alſobald vereinigten ſich ein halb Dutzend Stim-
men, und ſchrien, daß ich eiligſt, eiligſt den Augen-
blick hinunter kommen moͤchte.
Jch war eben oben an der Treppe und un-
terrichtete Dorcas ſorgfaͤltig, wie ſie ſich verhal-
ten ſollte; voller Verwunderung, was bey der
Unterredung, von welcher ſie Zeuge ſeyn ſollte,
vorgehen moͤchte: als dieß Geſchrey zu meinen
Ohren kam. Jch flog hinunter ‒ ‒ und da
ſtand das ſchoͤne Kind, die angenehme Betruͤge-
rinn, außer Othem, mit dem Ruͤcken gegen die
Schei-
T t 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 665. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/671>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.