Jch bedaure sie von ganzem Herzen, und fluche mir selbst, so wohl wenn sie ihre traurigen Anfälle hat, als wenn ich besorge, daß so schöne Kräfte des Verstandes, wie die ihrigen waren, auf beständig geschwächet seyn möchten - - Aber noch mehr fluche ich denen Weibsleuten, die mich zu einem solchen Mittel gebracht haben! - - O Himmel! o Himmel! was habe ich dadurch an- gerichtet! - - Und noch dazu, was habe ich davon?
Verwichene Nacht gerieth sie zum ersten mal seit vergangenem Montag über ihre Feder und Dinte. Sie ist aber so hitzig und übereilt bey ihrem Schreiben, daß man daraus die Un- ordnung in ihrem Kopfe mehr als zu wohl erken- nen kann.
Jnzwischen hoffe ich doch, daß diese Be- schäfftigung etwas helfen wlrd, ihr Gemüth zu beruhigen.
Eben itzo erzählt mir Dorcas, daß sie alles in Stücken zerreißet, was sie schreibet, und die zerrissenen Blätter unter den Tisch wirft: entwe- der weil sie selbst nicht weiß, was sie thut; oder weil ihr nicht gefällt, was sie schreibet. Bald steht sie auf, ringet ihre Hände, weinet, und setzt sich nach der Reihe auf alle Stühle in dem Zim- mer: bald geht sie wieder an ihren Tisch, setzt sich nieder und schreibt von neuem.
Einen
Q q 4
Jch bedaure ſie von ganzem Herzen, und fluche mir ſelbſt, ſo wohl wenn ſie ihre traurigen Anfaͤlle hat, als wenn ich beſorge, daß ſo ſchoͤne Kraͤfte des Verſtandes, wie die ihrigen waren, auf beſtaͤndig geſchwaͤchet ſeyn moͤchten ‒ ‒ Aber noch mehr fluche ich denen Weibsleuten, die mich zu einem ſolchen Mittel gebracht haben! ‒ ‒ O Himmel! o Himmel! was habe ich dadurch an- gerichtet! ‒ ‒ Und noch dazu, was habe ich davon?
Verwichene Nacht gerieth ſie zum erſten mal ſeit vergangenem Montag uͤber ihre Feder und Dinte. Sie iſt aber ſo hitzig und uͤbereilt bey ihrem Schreiben, daß man daraus die Un- ordnung in ihrem Kopfe mehr als zu wohl erken- nen kann.
Jnzwiſchen hoffe ich doch, daß dieſe Be- ſchaͤfftigung etwas helfen wlrd, ihr Gemuͤth zu beruhigen.
Eben itzo erzaͤhlt mir Dorcas, daß ſie alles in Stuͤcken zerreißet, was ſie ſchreibet, und die zerriſſenen Blaͤtter unter den Tiſch wirft: entwe- der weil ſie ſelbſt nicht weiß, was ſie thut; oder weil ihr nicht gefaͤllt, was ſie ſchreibet. Bald ſteht ſie auf, ringet ihre Haͤnde, weinet, und ſetzt ſich nach der Reihe auf alle Stuͤhle in dem Zim- mer: bald geht ſie wieder an ihren Tiſch, ſetzt ſich nieder und ſchreibt von neuem.
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Jch bedaure ſie von ganzem Herzen, und
fluche mir ſelbſt, ſo wohl wenn ſie ihre traurigen
Anfaͤlle hat, als wenn ich beſorge, daß ſo ſchoͤne
Kraͤfte des Verſtandes, wie die ihrigen waren,
auf beſtaͤndig geſchwaͤchet ſeyn moͤchten ‒ ‒ Aber
noch mehr fluche ich denen Weibsleuten, die mich
zu einem ſolchen Mittel gebracht haben! ‒ ‒ O
Himmel! o Himmel! was habe ich dadurch an-
gerichtet! ‒ ‒ Und noch dazu, was habe ich
davon?
Verwichene Nacht gerieth ſie zum erſten
mal ſeit vergangenem Montag uͤber ihre Feder
und Dinte. Sie iſt aber ſo hitzig und uͤbereilt
bey ihrem Schreiben, daß man daraus die Un-
ordnung in ihrem Kopfe mehr als zu wohl erken-
nen kann.
Jnzwiſchen hoffe ich doch, daß dieſe Be-
ſchaͤfftigung etwas helfen wlrd, ihr Gemuͤth zu
beruhigen.
Eben itzo erzaͤhlt mir Dorcas, daß ſie alles
in Stuͤcken zerreißet, was ſie ſchreibet, und die
zerriſſenen Blaͤtter unter den Tiſch wirft: entwe-
der weil ſie ſelbſt nicht weiß, was ſie thut; oder
weil ihr nicht gefaͤllt, was ſie ſchreibet. Bald
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/621>, abgerufen am 24.11.2024.
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