Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



als in meinen listigen Erfindungen? Jn Betrach-
tung der letzten Absicht, die ich mir vorgesetzt ha-
be, bin ich nicht mehr ein Teufel, als andere.
Denn wenn ich zu meinem Ziel gekommen bin:
so bleibt es doch allemal nur eine Verführung.
Und vielleicht bin ich unterdessen der Sünde vie-
ler Verführungen überhoben worden.

Was würde in diesem Fall außerordentliches
seyn: wenn ihre Wachsamkeit nicht wäre? - -
Denkest du, daß ich meinen Zweck nicht weit lie-
ber mit weniger Unruhe und Sünde zu erhalten
wünsche, so sehr ich auch wohlgespielte Händel
und listige Erfindungen liebe?

Derjenige, muß ich dir sagen, der so böse ist,
als er seyn kann, ist ärger, als ich bin. Laß
mich unter den freyen Liebhabern in England fra-
gen, wen du willst, ob er bey dem festen Vorsatze,
seinen Zweck zu erreichen, sich so lange damit
würde aufgehalten, oder so viele Rührungen des
Gewissens, als ich, empfunden haben?

Säße ein jeder freyer Liebhaber, ja säße ein
jeder Mann, wie ich, und schriebe alles, was ihm
in den Kopf oder ins Herz kommt, und klagte sich
selbst mit eben so vieler Freyheit als Wahrheit
an: was würde ich für ein Heer von zweifelmü-
thigen Leuten vor mir haben, mich im Zaume zu
halten?

Es ist bey einigen eine festgesetzte Regel, daß,
wenn sie mit einem Frauenzimmer alleine sind,
und keinen Versuch an ihr wagen, sie sich selbst
für beschimpft halten werden. - - Sind solche

Leute



als in meinen liſtigen Erfindungen? Jn Betrach-
tung der letzten Abſicht, die ich mir vorgeſetzt ha-
be, bin ich nicht mehr ein Teufel, als andere.
Denn wenn ich zu meinem Ziel gekommen bin:
ſo bleibt es doch allemal nur eine Verfuͤhrung.
Und vielleicht bin ich unterdeſſen der Suͤnde vie-
ler Verfuͤhrungen uͤberhoben worden.

Was wuͤrde in dieſem Fall außerordentliches
ſeyn: wenn ihre Wachſamkeit nicht waͤre? ‒ ‒
Denkeſt du, daß ich meinen Zweck nicht weit lie-
ber mit weniger Unruhe und Suͤnde zu erhalten
wuͤnſche, ſo ſehr ich auch wohlgeſpielte Haͤndel
und liſtige Erfindungen liebe?

Derjenige, muß ich dir ſagen, der ſo boͤſe iſt,
als er ſeyn kann, iſt aͤrger, als ich bin. Laß
mich unter den freyen Liebhabern in England fra-
gen, wen du willſt, ob er bey dem feſten Vorſatze,
ſeinen Zweck zu erreichen, ſich ſo lange damit
wuͤrde aufgehalten, oder ſo viele Ruͤhrungen des
Gewiſſens, als ich, empfunden haben?

Saͤße ein jeder freyer Liebhaber, ja ſaͤße ein
jeder Mann, wie ich, und ſchriebe alles, was ihm
in den Kopf oder ins Herz kommt, und klagte ſich
ſelbſt mit eben ſo vieler Freyheit als Wahrheit
an: was wuͤrde ich fuͤr ein Heer von zweifelmuͤ-
thigen Leuten vor mir haben, mich im Zaume zu
halten?

Es iſt bey einigen eine feſtgeſetzte Regel, daß,
wenn ſie mit einem Frauenzimmer alleine ſind,
und keinen Verſuch an ihr wagen, ſie ſich ſelbſt
fuͤr beſchimpft halten werden. ‒ ‒ Sind ſolche

Leute
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0056" n="50"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
als in meinen li&#x017F;tigen Erfindungen? Jn Betrach-<lb/>
tung der letzten Ab&#x017F;icht, die ich mir vorge&#x017F;etzt ha-<lb/>
be, bin ich nicht mehr ein Teufel, als andere.<lb/>
Denn wenn ich zu meinem Ziel gekommen bin:<lb/>
&#x017F;o bleibt es doch allemal nur eine Verfu&#x0364;hrung.<lb/>
Und vielleicht bin ich unterde&#x017F;&#x017F;en der Su&#x0364;nde vie-<lb/>
ler Verfu&#x0364;hrungen u&#x0364;berhoben worden.</p><lb/>
          <p>Was wu&#x0364;rde in die&#x017F;em Fall außerordentliches<lb/>
&#x017F;eyn: wenn ihre Wach&#x017F;amkeit nicht wa&#x0364;re? &#x2012; &#x2012;<lb/>
Denke&#x017F;t du, daß ich meinen Zweck nicht weit lie-<lb/>
ber mit weniger Unruhe und Su&#x0364;nde zu erhalten<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;che, &#x017F;o &#x017F;ehr ich auch wohlge&#x017F;pielte Ha&#x0364;ndel<lb/>
und li&#x017F;tige Erfindungen liebe?</p><lb/>
          <p>Derjenige, muß ich dir &#x017F;agen, der &#x017F;o bo&#x0364;&#x017F;e i&#x017F;t,<lb/>
als er &#x017F;eyn <hi rendition="#fr">kann,</hi> i&#x017F;t a&#x0364;rger, als ich bin. Laß<lb/>
mich unter den freyen Liebhabern in England fra-<lb/>
gen, wen du will&#x017F;t, ob er bey dem fe&#x017F;ten Vor&#x017F;atze,<lb/>
&#x017F;einen Zweck zu erreichen, &#x017F;ich &#x017F;o lange damit<lb/>
wu&#x0364;rde aufgehalten, oder &#x017F;o viele Ru&#x0364;hrungen des<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;ens, als ich, empfunden haben?</p><lb/>
          <p>Sa&#x0364;ße ein jeder freyer Liebhaber, ja &#x017F;a&#x0364;ße ein<lb/>
jeder Mann, wie ich, und &#x017F;chriebe alles, was ihm<lb/>
in den Kopf oder ins Herz kommt, und klagte &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t mit eben &#x017F;o vieler Freyheit als Wahrheit<lb/>
an: was wu&#x0364;rde ich fu&#x0364;r ein Heer von zweifelmu&#x0364;-<lb/>
thigen Leuten vor mir haben, mich im Zaume zu<lb/>
halten?</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t bey einigen eine fe&#x017F;tge&#x017F;etzte Regel, daß,<lb/>
wenn &#x017F;ie mit einem Frauenzimmer alleine &#x017F;ind,<lb/>
und keinen Ver&#x017F;uch an ihr wagen, &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
fu&#x0364;r be&#x017F;chimpft halten werden. &#x2012; &#x2012; Sind &#x017F;olche<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Leute</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0056] als in meinen liſtigen Erfindungen? Jn Betrach- tung der letzten Abſicht, die ich mir vorgeſetzt ha- be, bin ich nicht mehr ein Teufel, als andere. Denn wenn ich zu meinem Ziel gekommen bin: ſo bleibt es doch allemal nur eine Verfuͤhrung. Und vielleicht bin ich unterdeſſen der Suͤnde vie- ler Verfuͤhrungen uͤberhoben worden. Was wuͤrde in dieſem Fall außerordentliches ſeyn: wenn ihre Wachſamkeit nicht waͤre? ‒ ‒ Denkeſt du, daß ich meinen Zweck nicht weit lie- ber mit weniger Unruhe und Suͤnde zu erhalten wuͤnſche, ſo ſehr ich auch wohlgeſpielte Haͤndel und liſtige Erfindungen liebe? Derjenige, muß ich dir ſagen, der ſo boͤſe iſt, als er ſeyn kann, iſt aͤrger, als ich bin. Laß mich unter den freyen Liebhabern in England fra- gen, wen du willſt, ob er bey dem feſten Vorſatze, ſeinen Zweck zu erreichen, ſich ſo lange damit wuͤrde aufgehalten, oder ſo viele Ruͤhrungen des Gewiſſens, als ich, empfunden haben? Saͤße ein jeder freyer Liebhaber, ja ſaͤße ein jeder Mann, wie ich, und ſchriebe alles, was ihm in den Kopf oder ins Herz kommt, und klagte ſich ſelbſt mit eben ſo vieler Freyheit als Wahrheit an: was wuͤrde ich fuͤr ein Heer von zweifelmuͤ- thigen Leuten vor mir haben, mich im Zaume zu halten? Es iſt bey einigen eine feſtgeſetzte Regel, daß, wenn ſie mit einem Frauenzimmer alleine ſind, und keinen Verſuch an ihr wagen, ſie ſich ſelbſt fuͤr beſchimpft halten werden. ‒ ‒ Sind ſolche Leute

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/56
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/56>, abgerufen am 17.05.2024.