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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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Bösen auf viele Jahre hernach, wenn der Thäter
nicht mehr am Leben ist.
Ein Denkspruch, womit
ich die Sammlung meines Lords M. bereichert ha-
be. - - So groß ist das Wohlgefallen, das die
Welt an ärgerlichen Handlungen hat: oder mit an-
dern Worten, so suchet sich ein jeder weiß zu machen,
wenn er seinen Nachbarn anschwärzet. Du und
ich, Belford, haben der Welt große Dienste gethan,
daß wir ihr viele bequeme Gelegenheiten verschaffet
haben, ihrer teuflischen Neigung Genüge zu thun.

Fräulein Howe will alles, was sie selbst bes-
seres zu hoffen hat, fahren lassen, und Glück und
Unglück mit ihr theilen, wenn sie weit von hier in
ein fremdes Land gehen müßte.]
- - Eine vor-
treffliche Heldinn aus dem Romanenlande! - - Jch
muß mich an dieß Mägdchen machen, Bruder. Jch
habe allezeit gute Hoffnung von einem Frauenzim-
mer gehabt, das seine Leidenschaften so weit treibt.
- - Hätte ich die Fräulein Howe zuerst angegrif-
fen: so würden ihre Gemüthsbewegungen, wenn sie
so angeflammet und geleitet wären, als ich sie hätte
lenken können, sie innerhalb vierzehn Tagen in mein
Garn gebracht haben.

Glaubest du aber wohl; ich denke doch, du bil-
dest dir es ein; daß diese hochfliegende Gedanken
bey dem schönen Geschlechte etwas zu bedeuten ha-
ben? Jn Wahrheit, Bruder, diese heiße Freund-
schaften sind nichts, als Spreue und Stoppeln, die
sich durch eben den Wind, der sie erhebet, verwe-
hen lassen. Sie sind Affen, bloße Affen von uns.
Sie denken, das Wort Freundschaft klinget schön;
und es wird viel davon geschwatzet: es ist ein Wort
nach der Mode. Daher will in der That ein ledi-
ges Frauenzimmer, welches glaubt, daß sie eine See-
le hat, und weiß, daß ihr etwas fehlet, das Anse-
hen haben, als wenn sie unter ihrem eignen Ge-
schlechte eine Seele, die sich für sie schicket, ihren

Mangel
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Boͤſen auf viele Jahre hernach, wenn der Thaͤter
nicht mehr am Leben iſt.
Ein Denkſpruch, womit
ich die Sammlung meines Lords M. bereichert ha-
be. ‒ ‒ So groß iſt das Wohlgefallen, das die
Welt an aͤrgerlichen Handlungen hat: oder mit an-
dern Worten, ſo ſuchet ſich ein jeder weiß zu machen,
wenn er ſeinen Nachbarn anſchwaͤrzet. Du und
ich, Belford, haben der Welt große Dienſte gethan,
daß wir ihr viele bequeme Gelegenheiten verſchaffet
haben, ihrer teufliſchen Neigung Genuͤge zu thun.

Fraͤulein Howe will alles, was ſie ſelbſt beſ-
ſeres zu hoffen hat, fahren laſſen, und Gluͤck und
Ungluͤck mit ihr theilen, wenn ſie weit von hier in
ein fremdes Land gehen muͤßte.]
‒ ‒ Eine vor-
treffliche Heldinn aus dem Romanenlande! ‒ ‒ Jch
muß mich an dieß Maͤgdchen machen, Bruder. Jch
habe allezeit gute Hoffnung von einem Frauenzim-
mer gehabt, das ſeine Leidenſchaften ſo weit treibt.
‒ ‒ Haͤtte ich die Fraͤulein Howe zuerſt angegrif-
fen: ſo wuͤrden ihre Gemuͤthsbewegungen, wenn ſie
ſo angeflammet und geleitet waͤren, als ich ſie haͤtte
lenken koͤnnen, ſie innerhalb vierzehn Tagen in mein
Garn gebracht haben.

Glaubeſt du aber wohl; ich denke doch, du bil-
deſt dir es ein; daß dieſe hochfliegende Gedanken
bey dem ſchoͤnen Geſchlechte etwas zu bedeuten ha-
ben? Jn Wahrheit, Bruder, dieſe heiße Freund-
ſchaften ſind nichts, als Spreue und Stoppeln, die
ſich durch eben den Wind, der ſie erhebet, verwe-
hen laſſen. Sie ſind Affen, bloße Affen von uns.
Sie denken, das Wort Freundſchaft klinget ſchoͤn;
und es wird viel davon geſchwatzet: es iſt ein Wort
nach der Mode. Daher will in der That ein ledi-
ges Frauenzimmer, welches glaubt, daß ſie eine See-
le hat, und weiß, daß ihr etwas fehlet, das Anſe-
hen haben, als wenn ſie unter ihrem eignen Ge-
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Mangel
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[531/0537] Boͤſen auf viele Jahre hernach, wenn der Thaͤter nicht mehr am Leben iſt. Ein Denkſpruch, womit ich die Sammlung meines Lords M. bereichert ha- be. ‒ ‒ So groß iſt das Wohlgefallen, das die Welt an aͤrgerlichen Handlungen hat: oder mit an- dern Worten, ſo ſuchet ſich ein jeder weiß zu machen, wenn er ſeinen Nachbarn anſchwaͤrzet. Du und ich, Belford, haben der Welt große Dienſte gethan, daß wir ihr viele bequeme Gelegenheiten verſchaffet haben, ihrer teufliſchen Neigung Genuͤge zu thun. Fraͤulein Howe will alles, was ſie ſelbſt beſ- ſeres zu hoffen hat, fahren laſſen, und Gluͤck und Ungluͤck mit ihr theilen, wenn ſie weit von hier in ein fremdes Land gehen muͤßte.] ‒ ‒ Eine vor- treffliche Heldinn aus dem Romanenlande! ‒ ‒ Jch muß mich an dieß Maͤgdchen machen, Bruder. Jch habe allezeit gute Hoffnung von einem Frauenzim- mer gehabt, das ſeine Leidenſchaften ſo weit treibt. ‒ ‒ Haͤtte ich die Fraͤulein Howe zuerſt angegrif- fen: ſo wuͤrden ihre Gemuͤthsbewegungen, wenn ſie ſo angeflammet und geleitet waͤren, als ich ſie haͤtte lenken koͤnnen, ſie innerhalb vierzehn Tagen in mein Garn gebracht haben. Glaubeſt du aber wohl; ich denke doch, du bil- deſt dir es ein; daß dieſe hochfliegende Gedanken bey dem ſchoͤnen Geſchlechte etwas zu bedeuten ha- ben? Jn Wahrheit, Bruder, dieſe heiße Freund- ſchaften ſind nichts, als Spreue und Stoppeln, die ſich durch eben den Wind, der ſie erhebet, verwe- hen laſſen. Sie ſind Affen, bloße Affen von uns. Sie denken, das Wort Freundſchaft klinget ſchoͤn; und es wird viel davon geſchwatzet: es iſt ein Wort nach der Mode. Daher will in der That ein ledi- ges Frauenzimmer, welches glaubt, daß ſie eine See- le hat, und weiß, daß ihr etwas fehlet, das Anſe- hen haben, als wenn ſie unter ihrem eignen Ge- ſchlechte eine Seele, die ſich fuͤr ſie ſchicket, ihren Mangel L l 2

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/537>, abgerufen am 22.11.2024.