Sie schwieg stille: ich freuete mich über ihr Stillschweigen. Das liebe Kind, dachte ich, hat mir in ihrem Herzen wirklich vergeben! - - Aber warum will sie mir nicht durch die Groß- muth einer ausdrücklichen Erklärung eine Ver- bindlichkeit auflegen! - - Jedoch da dieß bey der Sache nichts beschleunigen würde, indem der Trauschein noch nicht in meinen Händen ist: so ist sie desto weniger zu tadeln; wenn ich ihr Ge- rechtigkeit widerfahren lasse; daß sie mehr Zeit nahm, sich herabzulassen.
Jch schlug vor, mich morgen Abend zur Stadt zu begeben. Jch zweifelte nicht, daß ich Montags frühe den Trauschein mit mir herauf- bringen könnte. Nur fragte ich, ob sie die Ge- wogenheit haben wollte, mich zu versichern, daß sie der Fr. Moore Haus nicht verlassen wollte.
Sie würde bey der Fr. Moore bleiben, ant- wortete sie, bis sie eine Antwort von der Fräulein Howe bekäme.
Jch gab ihr zu verstehen, daß ich hoffete, sie würde wenigstens stillschweigend einwilligen, daß der Trauschein gesuchet würde.
An ihren Gesichtszügen merkte ich, daß ich diese Frage nicht hätte thun sollen. Sie war von einer stillschweigenden Einwilligung so weit entfernet, daß sie sich gerade für das Gegen- theil erklärte.
Weil ich, wie ich sagte, niemals die Absicht hatte, von ihr zu verlangen, daß sie in ein Haus, wo ihr die Leute so zuwider wären, zurückkehrte:
so
Sie ſchwieg ſtille: ich freuete mich uͤber ihr Stillſchweigen. Das liebe Kind, dachte ich, hat mir in ihrem Herzen wirklich vergeben! ‒ ‒ Aber warum will ſie mir nicht durch die Groß- muth einer ausdruͤcklichen Erklaͤrung eine Ver- bindlichkeit auflegen! ‒ ‒ Jedoch da dieß bey der Sache nichts beſchleunigen wuͤrde, indem der Trauſchein noch nicht in meinen Haͤnden iſt: ſo iſt ſie deſto weniger zu tadeln; wenn ich ihr Ge- rechtigkeit widerfahren laſſe; daß ſie mehr Zeit nahm, ſich herabzulaſſen.
Jch ſchlug vor, mich morgen Abend zur Stadt zu begeben. Jch zweifelte nicht, daß ich Montags fruͤhe den Trauſchein mit mir herauf- bringen koͤnnte. Nur fragte ich, ob ſie die Ge- wogenheit haben wollte, mich zu verſichern, daß ſie der Fr. Moore Haus nicht verlaſſen wollte.
Sie wuͤrde bey der Fr. Moore bleiben, ant- wortete ſie, bis ſie eine Antwort von der Fraͤulein Howe bekaͤme.
Jch gab ihr zu verſtehen, daß ich hoffete, ſie wuͤrde wenigſtens ſtillſchweigend einwilligen, daß der Trauſchein geſuchet wuͤrde.
An ihren Geſichtszuͤgen merkte ich, daß ich dieſe Frage nicht haͤtte thun ſollen. Sie war von einer ſtillſchweigenden Einwilligung ſo weit entfernet, daß ſie ſich gerade fuͤr das Gegen- theil erklaͤrte.
Weil ich, wie ich ſagte, niemals die Abſicht hatte, von ihr zu verlangen, daß ſie in ein Haus, wo ihr die Leute ſo zuwider waͤren, zuruͤckkehrte:
ſo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0480"n="474"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Sie ſchwieg ſtille: ich freuete mich uͤber ihr<lb/>
Stillſchweigen. Das liebe Kind, dachte ich, hat<lb/>
mir in ihrem Herzen wirklich vergeben! ‒‒<lb/>
Aber warum will ſie mir nicht durch die Groß-<lb/>
muth einer ausdruͤcklichen Erklaͤrung eine Ver-<lb/>
bindlichkeit auflegen! ‒‒ Jedoch da dieß bey der<lb/>
Sache nichts beſchleunigen wuͤrde, indem der<lb/>
Trauſchein noch nicht in meinen Haͤnden iſt: ſo<lb/>
iſt ſie deſto weniger zu tadeln; wenn ich ihr Ge-<lb/>
rechtigkeit widerfahren laſſe; daß ſie mehr Zeit<lb/>
nahm, ſich <hirendition="#fr">herabzulaſſen.</hi></p><lb/><p>Jch ſchlug vor, mich morgen Abend zur<lb/>
Stadt zu begeben. Jch zweifelte nicht, daß ich<lb/>
Montags fruͤhe den Trauſchein mit mir herauf-<lb/>
bringen koͤnnte. Nur fragte ich, ob ſie die Ge-<lb/>
wogenheit haben wollte, mich zu verſichern, daß ſie<lb/>
der Fr. Moore Haus nicht verlaſſen wollte.</p><lb/><p>Sie wuͤrde bey der Fr. Moore bleiben, ant-<lb/>
wortete ſie, bis ſie eine Antwort von der Fraͤulein<lb/>
Howe bekaͤme.</p><lb/><p>Jch gab ihr zu verſtehen, daß ich hoffete, ſie<lb/>
wuͤrde wenigſtens <hirendition="#fr">ſtillſchweigend</hi> einwilligen,<lb/>
daß der Trauſchein geſuchet wuͤrde.</p><lb/><p>An ihren Geſichtszuͤgen merkte ich, daß ich<lb/>
dieſe Frage nicht haͤtte thun ſollen. Sie war<lb/>
von einer <hirendition="#fr">ſtillſchweigenden</hi> Einwilligung ſo<lb/>
weit entfernet, daß ſie ſich gerade fuͤr das Gegen-<lb/>
theil erklaͤrte.</p><lb/><p>Weil ich, wie ich ſagte, niemals die Abſicht<lb/>
hatte, von ihr zu verlangen, daß ſie in ein Haus,<lb/>
wo ihr die Leute ſo zuwider waͤren, zuruͤckkehrte:<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſo</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[474/0480]
Sie ſchwieg ſtille: ich freuete mich uͤber ihr
Stillſchweigen. Das liebe Kind, dachte ich, hat
mir in ihrem Herzen wirklich vergeben! ‒ ‒
Aber warum will ſie mir nicht durch die Groß-
muth einer ausdruͤcklichen Erklaͤrung eine Ver-
bindlichkeit auflegen! ‒ ‒ Jedoch da dieß bey der
Sache nichts beſchleunigen wuͤrde, indem der
Trauſchein noch nicht in meinen Haͤnden iſt: ſo
iſt ſie deſto weniger zu tadeln; wenn ich ihr Ge-
rechtigkeit widerfahren laſſe; daß ſie mehr Zeit
nahm, ſich herabzulaſſen.
Jch ſchlug vor, mich morgen Abend zur
Stadt zu begeben. Jch zweifelte nicht, daß ich
Montags fruͤhe den Trauſchein mit mir herauf-
bringen koͤnnte. Nur fragte ich, ob ſie die Ge-
wogenheit haben wollte, mich zu verſichern, daß ſie
der Fr. Moore Haus nicht verlaſſen wollte.
Sie wuͤrde bey der Fr. Moore bleiben, ant-
wortete ſie, bis ſie eine Antwort von der Fraͤulein
Howe bekaͤme.
Jch gab ihr zu verſtehen, daß ich hoffete, ſie
wuͤrde wenigſtens ſtillſchweigend einwilligen,
daß der Trauſchein geſuchet wuͤrde.
An ihren Geſichtszuͤgen merkte ich, daß ich
dieſe Frage nicht haͤtte thun ſollen. Sie war
von einer ſtillſchweigenden Einwilligung ſo
weit entfernet, daß ſie ſich gerade fuͤr das Gegen-
theil erklaͤrte.
Weil ich, wie ich ſagte, niemals die Abſicht
hatte, von ihr zu verlangen, daß ſie in ein Haus,
wo ihr die Leute ſo zuwider waͤren, zuruͤckkehrte:
ſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/480>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.