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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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wie du dich selbst rühmest, mehr auf die vor-
läusige Kriegeslist, als auf den Zweck des
Sieges.

Sehen wir nicht diesen natürlichen Trieb an
einfältigen Klötzen und verrückten Köpfen? -
Die Neigung an sich ist ganz körperlich. Und
wenn wir am meisten Thoren und verrückt sind,
denn laufen wir derselben am hitzigsten nach.
Bedenke, was für Narren diese Leidenschaft aus
den weisesten Leuten mache! Was für alberne
Tröpfe, was für eingenommene Träumer! wenn
sie sich von derselben hinreissen lassen. - - Es ist
eine unbeständige Leidenschaft. Denn wofern
wir sie Liebe nennen müssen; weil wir uns ihres
eigentlichen Namens schämen: so ist eine be-
günstigte Liebe
ja schon eine befriedigte Lie-
be;
eine befriedigte Liebe aber ist der erste
Schritt zur Gleichgültigkeit. Und so ist es
selbst unter denen Umständen, wo eine freye Ein-
willigung an der einen Seite die Verbindlichkeit
an der andern vermehret. Was kann denn
wohl anders, als ein unruhiges Gewissen, auf
eine gewaltsame Kränkung der Ehre eines Frau-
enzimmers erfolgen?

Suchen nicht so gar keusche Verliebte bey
ihren vorläufigen Liebesbezeigungen allein zu
seyn? Schämen sie sich nicht auch nur ein Kind
zum Zeugen ihrer thörichten Handlungen und
noch thörichtern Ausdrückungen zu haben? - -
Muß diese vergötterte Leidenschaft in ihrer größ-
ten Höhe nicht das Licht scheuen? - - Gehn nicht

die



wie du dich ſelbſt ruͤhmeſt, mehr auf die vor-
laͤuſige Kriegesliſt, als auf den Zweck des
Sieges.

Sehen wir nicht dieſen natuͤrlichen Trieb an
einfaͤltigen Kloͤtzen und verruͤckten Koͤpfen? ‒
Die Neigung an ſich iſt ganz koͤrperlich. Und
wenn wir am meiſten Thoren und verruͤckt ſind,
denn laufen wir derſelben am hitzigſten nach.
Bedenke, was fuͤr Narren dieſe Leidenſchaft aus
den weiſeſten Leuten mache! Was fuͤr alberne
Troͤpfe, was fuͤr eingenommene Traͤumer! wenn
ſie ſich von derſelben hinreiſſen laſſen. ‒ ‒ Es iſt
eine unbeſtaͤndige Leidenſchaft. Denn wofern
wir ſie Liebe nennen muͤſſen; weil wir uns ihres
eigentlichen Namens ſchaͤmen: ſo iſt eine be-
guͤnſtigte Liebe
ja ſchon eine befriedigte Lie-
be;
eine befriedigte Liebe aber iſt der erſte
Schritt zur Gleichguͤltigkeit. Und ſo iſt es
ſelbſt unter denen Umſtaͤnden, wo eine freye Ein-
willigung an der einen Seite die Verbindlichkeit
an der andern vermehret. Was kann denn
wohl anders, als ein unruhiges Gewiſſen, auf
eine gewaltſame Kraͤnkung der Ehre eines Frau-
enzimmers erfolgen?

Suchen nicht ſo gar keuſche Verliebte bey
ihren vorlaͤufigen Liebesbezeigungen allein zu
ſeyn? Schaͤmen ſie ſich nicht auch nur ein Kind
zum Zeugen ihrer thoͤrichten Handlungen und
noch thoͤrichtern Ausdruͤckungen zu haben? ‒ ‒
Muß dieſe vergoͤtterte Leidenſchaft in ihrer groͤß-
ten Hoͤhe nicht das Licht ſcheuen? ‒ ‒ Gehn nicht

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[40/0046] wie du dich ſelbſt ruͤhmeſt, mehr auf die vor- laͤuſige Kriegesliſt, als auf den Zweck des Sieges. Sehen wir nicht dieſen natuͤrlichen Trieb an einfaͤltigen Kloͤtzen und verruͤckten Koͤpfen? ‒ Die Neigung an ſich iſt ganz koͤrperlich. Und wenn wir am meiſten Thoren und verruͤckt ſind, denn laufen wir derſelben am hitzigſten nach. Bedenke, was fuͤr Narren dieſe Leidenſchaft aus den weiſeſten Leuten mache! Was fuͤr alberne Troͤpfe, was fuͤr eingenommene Traͤumer! wenn ſie ſich von derſelben hinreiſſen laſſen. ‒ ‒ Es iſt eine unbeſtaͤndige Leidenſchaft. Denn wofern wir ſie Liebe nennen muͤſſen; weil wir uns ihres eigentlichen Namens ſchaͤmen: ſo iſt eine be- guͤnſtigte Liebe ja ſchon eine befriedigte Lie- be; eine befriedigte Liebe aber iſt der erſte Schritt zur Gleichguͤltigkeit. Und ſo iſt es ſelbſt unter denen Umſtaͤnden, wo eine freye Ein- willigung an der einen Seite die Verbindlichkeit an der andern vermehret. Was kann denn wohl anders, als ein unruhiges Gewiſſen, auf eine gewaltſame Kraͤnkung der Ehre eines Frau- enzimmers erfolgen? Suchen nicht ſo gar keuſche Verliebte bey ihren vorlaͤufigen Liebesbezeigungen allein zu ſeyn? Schaͤmen ſie ſich nicht auch nur ein Kind zum Zeugen ihrer thoͤrichten Handlungen und noch thoͤrichtern Ausdruͤckungen zu haben? ‒ ‒ Muß dieſe vergoͤtterte Leidenſchaft in ihrer groͤß- ten Hoͤhe nicht das Licht ſcheuen? ‒ ‒ Gehn nicht die

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/46>, abgerufen am 22.11.2024.