Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



hen. Wo unterdessen die Lady und die Fräulein
kommen, welche sie erwarten; und das arme
Frauenzimmer sprechen wollen, das sie unglück-
lich gemacht haben: so werde ich wissen, ob ich
ihren Besuch annehmen kann oder nicht.

Sie wandte sich hierauf in Geschwindigkeit
zur Thüre, ging fort, und die Treppen hinauf zu
ihrer Kammer.

O mein Herr, fing der Capitain an, so bald
sie weggegangen war, was für ein Engel von ei-
nem Frauenzimmer ist diese Fräulein! - - Jch
bin ein recht gottloser Mensch gewesen und bin
es noch
- - Aber wenn durch mein Verschul-
den dieser unvergleichlichen Fräulein etwas böses
widerfahren sollte: so werde ich mehr Ursache ha-
ben, mir desfalls selbst Vorwürfe zu machen, als
wenn ich alle meine Sünden in meinem ganzen
Leben zusammen nähme.

Seine Augen glänzten schon.

Es kann ihr nichts böses widerfahren: du
machst dir unnöthige Sorge. - - Was kann
ihr böses widerfahren? - - Müssen wir unsere
Vorstellung von Dingen nach den romanenmäs-
sigen Begriffen eines Mägdchens einrichten, das
nach ihrer Einbildung das geringste Uebel für
das größte hält? Habe ich dir nicht unsere ganze
Geschichte erzählet? Hat sie ihr Versprechen
nicht gebrochen? Habe ich ihrer nicht großmü-
thig geschonet, als sie in meiner Gewalt war?
Jch hielt mich in den Schranken des Wohlstan-
des: ob ich gleich solche Vortheile über sie hatte.

Jch



hen. Wo unterdeſſen die Lady und die Fraͤulein
kommen, welche ſie erwarten; und das arme
Frauenzimmer ſprechen wollen, das ſie ungluͤck-
lich gemacht haben: ſo werde ich wiſſen, ob ich
ihren Beſuch annehmen kann oder nicht.

Sie wandte ſich hierauf in Geſchwindigkeit
zur Thuͤre, ging fort, und die Treppen hinauf zu
ihrer Kammer.

O mein Herr, fing der Capitain an, ſo bald
ſie weggegangen war, was fuͤr ein Engel von ei-
nem Frauenzimmer iſt dieſe Fraͤulein! ‒ ‒ Jch
bin ein recht gottloſer Menſch geweſen und bin
es noch
‒ ‒ Aber wenn durch mein Verſchul-
den dieſer unvergleichlichen Fraͤulein etwas boͤſes
widerfahren ſollte: ſo werde ich mehr Urſache ha-
ben, mir desfalls ſelbſt Vorwuͤrfe zu machen, als
wenn ich alle meine Suͤnden in meinem ganzen
Leben zuſammen naͤhme.

Seine Augen glaͤnzten ſchon.

Es kann ihr nichts boͤſes widerfahren: du
machſt dir unnoͤthige Sorge. ‒ ‒ Was kann
ihr boͤſes widerfahren? ‒ ‒ Muͤſſen wir unſere
Vorſtellung von Dingen nach den romanenmaͤſ-
ſigen Begriffen eines Maͤgdchens einrichten, das
nach ihrer Einbildung das geringſte Uebel fuͤr
das groͤßte haͤlt? Habe ich dir nicht unſere ganze
Geſchichte erzaͤhlet? Hat ſie ihr Verſprechen
nicht gebrochen? Habe ich ihrer nicht großmuͤ-
thig geſchonet, als ſie in meiner Gewalt war?
Jch hielt mich in den Schranken des Wohlſtan-
des: ob ich gleich ſolche Vortheile uͤber ſie hatte.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0450" n="444"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
hen. Wo unterde&#x017F;&#x017F;en die Lady und die Fra&#x0364;ulein<lb/>
kommen, welche &#x017F;ie erwarten; und das arme<lb/>
Frauenzimmer &#x017F;prechen wollen, das &#x017F;ie unglu&#x0364;ck-<lb/>
lich gemacht haben: &#x017F;o werde ich wi&#x017F;&#x017F;en, ob ich<lb/>
ihren Be&#x017F;uch annehmen kann oder nicht.</p><lb/>
          <p>Sie wandte &#x017F;ich hierauf in Ge&#x017F;chwindigkeit<lb/>
zur Thu&#x0364;re, ging fort, und die Treppen hinauf zu<lb/>
ihrer Kammer.</p><lb/>
          <p>O mein Herr, fing der Capitain an, &#x017F;o bald<lb/>
&#x017F;ie weggegangen war, was fu&#x0364;r ein Engel von ei-<lb/>
nem Frauenzimmer i&#x017F;t die&#x017F;e Fra&#x0364;ulein! &#x2012; &#x2012; Jch<lb/><hi rendition="#fr">bin</hi> ein recht gottlo&#x017F;er Men&#x017F;ch <hi rendition="#fr">gewe&#x017F;en</hi> und <hi rendition="#fr">bin<lb/>
es noch</hi> &#x2012; &#x2012; Aber wenn durch mein Ver&#x017F;chul-<lb/>
den die&#x017F;er unvergleichlichen Fra&#x0364;ulein etwas bo&#x0364;&#x017F;es<lb/>
widerfahren &#x017F;ollte: &#x017F;o werde ich mehr Ur&#x017F;ache ha-<lb/>
ben, mir desfalls &#x017F;elb&#x017F;t Vorwu&#x0364;rfe zu machen, als<lb/>
wenn ich alle meine Su&#x0364;nden in meinem ganzen<lb/>
Leben zu&#x017F;ammen na&#x0364;hme.</p><lb/>
          <p>Seine Augen gla&#x0364;nzten &#x017F;chon.</p><lb/>
          <p>Es kann ihr nichts bo&#x0364;&#x017F;es widerfahren: du<lb/>
mach&#x017F;t dir unno&#x0364;thige Sorge. &#x2012; &#x2012; Was kann<lb/>
ihr bo&#x0364;&#x017F;es widerfahren? &#x2012; &#x2012; Mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir un&#x017F;ere<lb/>
Vor&#x017F;tellung von Dingen nach den romanenma&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;igen Begriffen eines Ma&#x0364;gdchens einrichten, das<lb/>
nach ihrer Einbildung das gering&#x017F;te Uebel fu&#x0364;r<lb/>
das gro&#x0364;ßte ha&#x0364;lt? Habe ich dir nicht un&#x017F;ere ganze<lb/>
Ge&#x017F;chichte erza&#x0364;hlet? Hat &#x017F;ie ihr Ver&#x017F;prechen<lb/>
nicht gebrochen? Habe ich ihrer nicht großmu&#x0364;-<lb/>
thig ge&#x017F;chonet, als &#x017F;ie in meiner Gewalt war?<lb/>
Jch hielt mich in den Schranken des Wohl&#x017F;tan-<lb/>
des: ob ich gleich &#x017F;olche Vortheile u&#x0364;ber &#x017F;ie hatte.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[444/0450] hen. Wo unterdeſſen die Lady und die Fraͤulein kommen, welche ſie erwarten; und das arme Frauenzimmer ſprechen wollen, das ſie ungluͤck- lich gemacht haben: ſo werde ich wiſſen, ob ich ihren Beſuch annehmen kann oder nicht. Sie wandte ſich hierauf in Geſchwindigkeit zur Thuͤre, ging fort, und die Treppen hinauf zu ihrer Kammer. O mein Herr, fing der Capitain an, ſo bald ſie weggegangen war, was fuͤr ein Engel von ei- nem Frauenzimmer iſt dieſe Fraͤulein! ‒ ‒ Jch bin ein recht gottloſer Menſch geweſen und bin es noch ‒ ‒ Aber wenn durch mein Verſchul- den dieſer unvergleichlichen Fraͤulein etwas boͤſes widerfahren ſollte: ſo werde ich mehr Urſache ha- ben, mir desfalls ſelbſt Vorwuͤrfe zu machen, als wenn ich alle meine Suͤnden in meinem ganzen Leben zuſammen naͤhme. Seine Augen glaͤnzten ſchon. Es kann ihr nichts boͤſes widerfahren: du machſt dir unnoͤthige Sorge. ‒ ‒ Was kann ihr boͤſes widerfahren? ‒ ‒ Muͤſſen wir unſere Vorſtellung von Dingen nach den romanenmaͤſ- ſigen Begriffen eines Maͤgdchens einrichten, das nach ihrer Einbildung das geringſte Uebel fuͤr das groͤßte haͤlt? Habe ich dir nicht unſere ganze Geſchichte erzaͤhlet? Hat ſie ihr Verſprechen nicht gebrochen? Habe ich ihrer nicht großmuͤ- thig geſchonet, als ſie in meiner Gewalt war? Jch hielt mich in den Schranken des Wohlſtan- des: ob ich gleich ſolche Vortheile uͤber ſie hatte. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/450
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/450>, abgerufen am 01.07.2024.