Der sechzehnte Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.
Nunmehr, dachte ich, wäre es hohe Zeit, alle meine Gedanken auf meine Geliebte zu rich- ten. Sie hatte völlige Muße gehabt, den Jn- halt der Briefe, die ich bey ihr gelassen hatte, zu erwägen.
Jch ersuchte also Fr. Moore, hineinzugehen und sich zu erkundigen, ob es ihr zu erlauben be- liebte, daß ich ihr in ihrem Zimmer auf Veran- lassung der Briefe, die ich bey ihr gelassen hätte, meine Aufwartung machte: oder ob sie die Güte haben wollte, mir ihre Gesellschaft in dem Spei- sesaal zu gönnen?
Frau Moore hat die Jungfer Rawlins, mit ihr zu der Fräulein zu gehen. Sie klopften an die Thüre und wurden beyde vorgelassen.
Jch muß hier einen Augenblick abbrechen, und, ob gleich wider mich selbst, über die Sicher- heit, welche aus der Unschuld entstehet, eine Be- trachtung anstellen. Es würde besser gewesen seyn, wenn bey derselben mehr von der Klugheit der Schlange mit der Aufrichtigkeit der Taube vereinigt gewesen wäre. Denn da sie sich hier gar um nichts bekümmerte, was ich hinter ihren Rücken sagen konnte; weil sie sich auf ihre guten
Eigen-
Der ſechzehnte Brief von Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.
Nunmehr, dachte ich, waͤre es hohe Zeit, alle meine Gedanken auf meine Geliebte zu rich- ten. Sie hatte voͤllige Muße gehabt, den Jn- halt der Briefe, die ich bey ihr gelaſſen hatte, zu erwaͤgen.
Jch erſuchte alſo Fr. Moore, hineinzugehen und ſich zu erkundigen, ob es ihr zu erlauben be- liebte, daß ich ihr in ihrem Zimmer auf Veran- laſſung der Briefe, die ich bey ihr gelaſſen haͤtte, meine Aufwartung machte: oder ob ſie die Guͤte haben wollte, mir ihre Geſellſchaft in dem Spei- ſeſaal zu goͤnnen?
Frau Moore hat die Jungfer Rawlins, mit ihr zu der Fraͤulein zu gehen. Sie klopften an die Thuͤre und wurden beyde vorgelaſſen.
Jch muß hier einen Augenblick abbrechen, und, ob gleich wider mich ſelbſt, uͤber die Sicher- heit, welche aus der Unſchuld entſtehet, eine Be- trachtung anſtellen. Es wuͤrde beſſer geweſen ſeyn, wenn bey derſelben mehr von der Klugheit der Schlange mit der Aufrichtigkeit der Taube vereinigt geweſen waͤre. Denn da ſie ſich hier gar um nichts bekuͤmmerte, was ich hinter ihren Ruͤcken ſagen konnte; weil ſie ſich auf ihre guten
Eigen-
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Der ſechzehnte Brief
von
Herrn Lovelacen an Herrn Joh. Belford.
Nunmehr, dachte ich, waͤre es hohe Zeit, alle
meine Gedanken auf meine Geliebte zu rich-
ten. Sie hatte voͤllige Muße gehabt, den Jn-
halt der Briefe, die ich bey ihr gelaſſen hatte, zu
erwaͤgen.
Jch erſuchte alſo Fr. Moore, hineinzugehen
und ſich zu erkundigen, ob es ihr zu erlauben be-
liebte, daß ich ihr in ihrem Zimmer auf Veran-
laſſung der Briefe, die ich bey ihr gelaſſen haͤtte,
meine Aufwartung machte: oder ob ſie die Guͤte
haben wollte, mir ihre Geſellſchaft in dem Spei-
ſeſaal zu goͤnnen?
Frau Moore hat die Jungfer Rawlins, mit
ihr zu der Fraͤulein zu gehen. Sie klopften an
die Thuͤre und wurden beyde vorgelaſſen.
Jch muß hier einen Augenblick abbrechen,
und, ob gleich wider mich ſelbſt, uͤber die Sicher-
heit, welche aus der Unſchuld entſtehet, eine Be-
trachtung anſtellen. Es wuͤrde beſſer geweſen
ſeyn, wenn bey derſelben mehr von der Klugheit
der Schlange mit der Aufrichtigkeit der Taube
vereinigt geweſen waͤre. Denn da ſie ſich hier
gar um nichts bekuͤmmerte, was ich hinter ihren
Ruͤcken ſagen konnte; weil ſie ſich auf ihre guten
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/291>, abgerufen am 25.11.2024.
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