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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

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Jch denke Wunder, Bruder, was der Jung-
fer Rawlins Liebesname ist. Die meisten von
den schönen Romanenfreundinnen haben sich in
ihrer Jugend Liebesnamen ausgesucht. Es hat
wohl niemals ein Pfarrer mehr wirkliche Na-
men gegeben, als ich erdichtete Namen gegeben
habe; und in recht guter Absicht. Manches lie-
bes Kind hat mir auf einen Brief geantwortet,
weil ich ihr einen Namen beygeleget, den ihre
Pathinn ihr niemals gegeben hatte.

Nein, es war ihr wirklicher Name, sprach sie.

Jch bat sie, den ganzen Brief durchzulesen.
Wenn die rechte Art zu schreiben nicht genau be-
obachtet ist, Jungfer Rawlins, sagte ich: so wer-
den sie es entschuldigen; es ist ein Lord, der es ge-
schrieben hat. Aber vielleicht mag ich ihn mei-
ner Gemahlinn nicht zeigen. Denn wenn jene,
die ich bey ihr gelassen habe, nichts über sie ver-
mögen: so wird es dieser auch nicht können; und
ich will meinen Lord M. ihrer Verachtung nicht
gern ausgesetzt seyn lassen. Jch fange in der
That an mich um die Folgen gar nicht zu be-
kümmern.

Die Jungfer Rawlins konnte über dieses
Merckmal des Vertrauens zu ihr nicht anders
als vergnügt seyn. Sie sahe so aus, als wenn
sie mich bedaurete.

Und hier magst du den Brief lesen.
No. III.

Herrn


Jch denke Wunder, Bruder, was der Jung-
fer Rawlins Liebesname iſt. Die meiſten von
den ſchoͤnen Romanenfreundinnen haben ſich in
ihrer Jugend Liebesnamen ausgeſucht. Es hat
wohl niemals ein Pfarrer mehr wirkliche Na-
men gegeben, als ich erdichtete Namen gegeben
habe; und in recht guter Abſicht. Manches lie-
bes Kind hat mir auf einen Brief geantwortet,
weil ich ihr einen Namen beygeleget, den ihre
Pathinn ihr niemals gegeben hatte.

Nein, es war ihr wirklicher Name, ſprach ſie.

Jch bat ſie, den ganzen Brief durchzuleſen.
Wenn die rechte Art zu ſchreiben nicht genau be-
obachtet iſt, Jungfer Rawlins, ſagte ich: ſo wer-
den ſie es entſchuldigen; es iſt ein Lord, der es ge-
ſchrieben hat. Aber vielleicht mag ich ihn mei-
ner Gemahlinn nicht zeigen. Denn wenn jene,
die ich bey ihr gelaſſen habe, nichts uͤber ſie ver-
moͤgen: ſo wird es dieſer auch nicht koͤnnen; und
ich will meinen Lord M. ihrer Verachtung nicht
gern ausgeſetzt ſeyn laſſen. Jch fange in der
That an mich um die Folgen gar nicht zu be-
kuͤmmern.

Die Jungfer Rawlins konnte uͤber dieſes
Merckmal des Vertrauens zu ihr nicht anders
als vergnuͤgt ſeyn. Sie ſahe ſo aus, als wenn
ſie mich bedaurete.

Und hier magſt du den Brief leſen.
No. III.

Herrn
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[278/0284] Jch denke Wunder, Bruder, was der Jung- fer Rawlins Liebesname iſt. Die meiſten von den ſchoͤnen Romanenfreundinnen haben ſich in ihrer Jugend Liebesnamen ausgeſucht. Es hat wohl niemals ein Pfarrer mehr wirkliche Na- men gegeben, als ich erdichtete Namen gegeben habe; und in recht guter Abſicht. Manches lie- bes Kind hat mir auf einen Brief geantwortet, weil ich ihr einen Namen beygeleget, den ihre Pathinn ihr niemals gegeben hatte. Nein, es war ihr wirklicher Name, ſprach ſie. Jch bat ſie, den ganzen Brief durchzuleſen. Wenn die rechte Art zu ſchreiben nicht genau be- obachtet iſt, Jungfer Rawlins, ſagte ich: ſo wer- den ſie es entſchuldigen; es iſt ein Lord, der es ge- ſchrieben hat. Aber vielleicht mag ich ihn mei- ner Gemahlinn nicht zeigen. Denn wenn jene, die ich bey ihr gelaſſen habe, nichts uͤber ſie ver- moͤgen: ſo wird es dieſer auch nicht koͤnnen; und ich will meinen Lord M. ihrer Verachtung nicht gern ausgeſetzt ſeyn laſſen. Jch fange in der That an mich um die Folgen gar nicht zu be- kuͤmmern. Die Jungfer Rawlins konnte uͤber dieſes Merckmal des Vertrauens zu ihr nicht anders als vergnuͤgt ſeyn. Sie ſahe ſo aus, als wenn ſie mich bedaurete. Und hier magſt du den Brief leſen. No. III. Herrn

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/284>, abgerufen am 22.11.2024.