"Kurz, die Fräulein so wohl, als der Kut- "scher, schienen unschlüßig. Die Pferde liefen fort. "Sonder Zweifel waren Kopf und Augen des "Kerls rückwärts gekehret: aber er war bald so "weit entfernet, daß man sich nicht mehr abru- "fen konnte. Sie sahe ihm mit starren Augen "nach, seufzete und weinte wiederum. Das be- "merkte der Diener, der eben damals schelmisch "bey ihr vorbeyging.
"Unterdessen war sie bis an die Häuser ge- "kommen. Sie sahe ein jedes im Vorbeygehen "an. Bisweilen hauchte sie auf ihre bloße Hand "und legte dieselbe über ihre geschwollene Augen, "die Röthe zu vertreiben und die Thränen abzu- "trocknen. Endlich, da sie an einem Hause ei- "nen Zettel sahe, daß Zimmer zu vermiethen "wären, ging sie ein halb Dutzend mal rück- und "vorwärts, als wenn sie sich nicht entschließen "könnte, was sie thun sollte. Und hierauf ging "sie weiter in die Stadt hinein. Weil hier den "guten Kerl einer von seinen vertrauten Freun- "den mit einem Schmatz aufhielte: so verlohr "er sie auf eine kurze Zeit. Aber er sahe sie bald "aus einer Leinwandsbude mit einem Dienst- "mägdchen, das ihr folgte, herauskommen: da sie, "seinem Vermuthen nach, einige Kleinigkeiten "gekauft, und, wie der Erfolg zeigte, das Dienst- "mägdchen genommen hatte, mit ihr zu dem Hau- "se zu gehen, wo sie sich itzo aufhält. (*)
"Der
(*) Siehe den XXI. Brief in diesem Th.
„Kurz, die Fraͤulein ſo wohl, als der Kut- „ſcher, ſchienen unſchluͤßig. Die Pferde liefen fort. „Sonder Zweifel waren Kopf und Augen des „Kerls ruͤckwaͤrts gekehret: aber er war bald ſo „weit entfernet, daß man ſich nicht mehr abru- „fen konnte. Sie ſahe ihm mit ſtarren Augen „nach, ſeufzete und weinte wiederum. Das be- „merkte der Diener, der eben damals ſchelmiſch „bey ihr vorbeyging.
„Unterdeſſen war ſie bis an die Haͤuſer ge- „kommen. Sie ſahe ein jedes im Vorbeygehen „an. Bisweilen hauchte ſie auf ihre bloße Hand „und legte dieſelbe uͤber ihre geſchwollene Augen, „die Roͤthe zu vertreiben und die Thraͤnen abzu- „trocknen. Endlich, da ſie an einem Hauſe ei- „nen Zettel ſahe, daß Zimmer zu vermiethen „waͤren, ging ſie ein halb Dutzend mal ruͤck- und „vorwaͤrts, als wenn ſie ſich nicht entſchließen „koͤnnte, was ſie thun ſollte. Und hierauf ging „ſie weiter in die Stadt hinein. Weil hier den „guten Kerl einer von ſeinen vertrauten Freun- „den mit einem Schmatz aufhielte: ſo verlohr „er ſie auf eine kurze Zeit. Aber er ſahe ſie bald „aus einer Leinwandsbude mit einem Dienſt- „maͤgdchen, das ihr folgte, herauskommen: da ſie, „ſeinem Vermuthen nach, einige Kleinigkeiten „gekauft, und, wie der Erfolg zeigte, das Dienſt- „maͤgdchen genommen hatte, mit ihr zu dem Hau- „ſe zu gehen, wo ſie ſich itzo aufhaͤlt. (*)
„Der
(*) Siehe den XXI. Brief in dieſem Th.
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[202/0208]
„Kurz, die Fraͤulein ſo wohl, als der Kut-
„ſcher, ſchienen unſchluͤßig. Die Pferde liefen fort.
„Sonder Zweifel waren Kopf und Augen des
„Kerls ruͤckwaͤrts gekehret: aber er war bald ſo
„weit entfernet, daß man ſich nicht mehr abru-
„fen konnte. Sie ſahe ihm mit ſtarren Augen
„nach, ſeufzete und weinte wiederum. Das be-
„merkte der Diener, der eben damals ſchelmiſch
„bey ihr vorbeyging.
„Unterdeſſen war ſie bis an die Haͤuſer ge-
„kommen. Sie ſahe ein jedes im Vorbeygehen
„an. Bisweilen hauchte ſie auf ihre bloße Hand
„und legte dieſelbe uͤber ihre geſchwollene Augen,
„die Roͤthe zu vertreiben und die Thraͤnen abzu-
„trocknen. Endlich, da ſie an einem Hauſe ei-
„nen Zettel ſahe, daß Zimmer zu vermiethen
„waͤren, ging ſie ein halb Dutzend mal ruͤck- und
„vorwaͤrts, als wenn ſie ſich nicht entſchließen
„koͤnnte, was ſie thun ſollte. Und hierauf ging
„ſie weiter in die Stadt hinein. Weil hier den
„guten Kerl einer von ſeinen vertrauten Freun-
„den mit einem Schmatz aufhielte: ſo verlohr
„er ſie auf eine kurze Zeit. Aber er ſahe ſie bald
„aus einer Leinwandsbude mit einem Dienſt-
„maͤgdchen, das ihr folgte, herauskommen: da ſie,
„ſeinem Vermuthen nach, einige Kleinigkeiten
„gekauft, und, wie der Erfolg zeigte, das Dienſt-
„maͤgdchen genommen hatte, mit ihr zu dem Hau-
„ſe zu gehen, wo ſie ſich itzo aufhaͤlt. (*)
„Der
(*) Siehe den XXI. Brief in dieſem Th.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/208>, abgerufen am 04.12.2024.
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