Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


"Kurz, die Fräulein so wohl, als der Kut-
"scher, schienen unschlüßig. Die Pferde liefen fort.
"Sonder Zweifel waren Kopf und Augen des
"Kerls rückwärts gekehret: aber er war bald so
"weit entfernet, daß man sich nicht mehr abru-
"fen konnte. Sie sahe ihm mit starren Augen
"nach, seufzete und weinte wiederum. Das be-
"merkte der Diener, der eben damals schelmisch
"bey ihr vorbeyging.

"Unterdessen war sie bis an die Häuser ge-
"kommen. Sie sahe ein jedes im Vorbeygehen
"an. Bisweilen hauchte sie auf ihre bloße Hand
"und legte dieselbe über ihre geschwollene Augen,
"die Röthe zu vertreiben und die Thränen abzu-
"trocknen. Endlich, da sie an einem Hause ei-
"nen Zettel sahe, daß Zimmer zu vermiethen
"wären, ging sie ein halb Dutzend mal rück- und
"vorwärts, als wenn sie sich nicht entschließen
"könnte, was sie thun sollte. Und hierauf ging
"sie weiter in die Stadt hinein. Weil hier den
"guten Kerl einer von seinen vertrauten Freun-
"den mit einem Schmatz aufhielte: so verlohr
"er sie auf eine kurze Zeit. Aber er sahe sie bald
"aus einer Leinwandsbude mit einem Dienst-
"mägdchen, das ihr folgte, herauskommen: da sie,
"seinem Vermuthen nach, einige Kleinigkeiten
"gekauft, und, wie der Erfolg zeigte, das Dienst-
"mägdchen genommen hatte, mit ihr zu dem Hau-
"se zu gehen, wo sie sich itzo aufhält. (*)

"Der
(*) Siehe den XXI. Brief in diesem Th.


„Kurz, die Fraͤulein ſo wohl, als der Kut-
„ſcher, ſchienen unſchluͤßig. Die Pferde liefen fort.
„Sonder Zweifel waren Kopf und Augen des
„Kerls ruͤckwaͤrts gekehret: aber er war bald ſo
„weit entfernet, daß man ſich nicht mehr abru-
„fen konnte. Sie ſahe ihm mit ſtarren Augen
„nach, ſeufzete und weinte wiederum. Das be-
„merkte der Diener, der eben damals ſchelmiſch
„bey ihr vorbeyging.

„Unterdeſſen war ſie bis an die Haͤuſer ge-
„kommen. Sie ſahe ein jedes im Vorbeygehen
„an. Bisweilen hauchte ſie auf ihre bloße Hand
„und legte dieſelbe uͤber ihre geſchwollene Augen,
„die Roͤthe zu vertreiben und die Thraͤnen abzu-
„trocknen. Endlich, da ſie an einem Hauſe ei-
„nen Zettel ſahe, daß Zimmer zu vermiethen
„waͤren, ging ſie ein halb Dutzend mal ruͤck- und
„vorwaͤrts, als wenn ſie ſich nicht entſchließen
„koͤnnte, was ſie thun ſollte. Und hierauf ging
„ſie weiter in die Stadt hinein. Weil hier den
„guten Kerl einer von ſeinen vertrauten Freun-
„den mit einem Schmatz aufhielte: ſo verlohr
„er ſie auf eine kurze Zeit. Aber er ſahe ſie bald
„aus einer Leinwandsbude mit einem Dienſt-
„maͤgdchen, das ihr folgte, herauskommen: da ſie,
„ſeinem Vermuthen nach, einige Kleinigkeiten
„gekauft, und, wie der Erfolg zeigte, das Dienſt-
„maͤgdchen genommen hatte, mit ihr zu dem Hau-
„ſe zu gehen, wo ſie ſich itzo aufhaͤlt. (*)

„Der
(*) Siehe den XXI. Brief in dieſem Th.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0208" n="202"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>&#x201E;Kurz, die Fra&#x0364;ulein &#x017F;o wohl, als der Kut-<lb/>
&#x201E;&#x017F;cher, &#x017F;chienen un&#x017F;chlu&#x0364;ßig. Die Pferde liefen fort.<lb/>
&#x201E;Sonder Zweifel waren Kopf und Augen des<lb/>
&#x201E;Kerls ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts gekehret: aber er war bald &#x017F;o<lb/>
&#x201E;weit entfernet, daß man &#x017F;ich nicht mehr abru-<lb/>
&#x201E;fen konnte. Sie &#x017F;ahe ihm mit &#x017F;tarren Augen<lb/>
&#x201E;nach, &#x017F;eufzete und weinte wiederum. Das be-<lb/>
&#x201E;merkte der Diener, der eben damals &#x017F;chelmi&#x017F;ch<lb/>
&#x201E;bey ihr vorbeyging.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Unterde&#x017F;&#x017F;en war &#x017F;ie bis an die Ha&#x0364;u&#x017F;er ge-<lb/>
&#x201E;kommen. Sie &#x017F;ahe ein jedes im Vorbeygehen<lb/>
&#x201E;an. Bisweilen hauchte &#x017F;ie auf ihre bloße Hand<lb/>
&#x201E;und legte die&#x017F;elbe u&#x0364;ber ihre ge&#x017F;chwollene Augen,<lb/>
&#x201E;die Ro&#x0364;the zu vertreiben und die Thra&#x0364;nen abzu-<lb/>
&#x201E;trocknen. Endlich, da &#x017F;ie an einem Hau&#x017F;e ei-<lb/>
&#x201E;nen Zettel &#x017F;ahe, daß Zimmer zu vermiethen<lb/>
&#x201E;wa&#x0364;ren, ging &#x017F;ie ein halb Dutzend mal ru&#x0364;ck- und<lb/>
&#x201E;vorwa&#x0364;rts, als wenn &#x017F;ie &#x017F;ich nicht ent&#x017F;chließen<lb/>
&#x201E;ko&#x0364;nnte, was &#x017F;ie thun &#x017F;ollte. Und hierauf ging<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie weiter in die Stadt hinein. Weil hier den<lb/>
&#x201E;guten Kerl einer von &#x017F;einen vertrauten Freun-<lb/>
&#x201E;den mit einem Schmatz aufhielte: &#x017F;o verlohr<lb/>
&#x201E;er &#x017F;ie auf eine kurze Zeit. Aber er &#x017F;ahe &#x017F;ie bald<lb/>
&#x201E;aus einer Leinwandsbude mit einem Dien&#x017F;t-<lb/>
&#x201E;ma&#x0364;gdchen, das ihr folgte, herauskommen: da &#x017F;ie,<lb/>
&#x201E;&#x017F;einem Vermuthen nach, einige Kleinigkeiten<lb/>
&#x201E;gekauft, und, wie der Erfolg zeigte, das Dien&#x017F;t-<lb/>
&#x201E;ma&#x0364;gdchen genommen hatte, mit ihr zu dem Hau-<lb/>
&#x201E;&#x017F;e zu gehen, wo &#x017F;ie &#x017F;ich itzo aufha&#x0364;lt. <note place="foot" n="(*)">Siehe den <hi rendition="#aq">XXI.</hi> Brief in die&#x017F;em Th.</note></p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Der</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0208] „Kurz, die Fraͤulein ſo wohl, als der Kut- „ſcher, ſchienen unſchluͤßig. Die Pferde liefen fort. „Sonder Zweifel waren Kopf und Augen des „Kerls ruͤckwaͤrts gekehret: aber er war bald ſo „weit entfernet, daß man ſich nicht mehr abru- „fen konnte. Sie ſahe ihm mit ſtarren Augen „nach, ſeufzete und weinte wiederum. Das be- „merkte der Diener, der eben damals ſchelmiſch „bey ihr vorbeyging. „Unterdeſſen war ſie bis an die Haͤuſer ge- „kommen. Sie ſahe ein jedes im Vorbeygehen „an. Bisweilen hauchte ſie auf ihre bloße Hand „und legte dieſelbe uͤber ihre geſchwollene Augen, „die Roͤthe zu vertreiben und die Thraͤnen abzu- „trocknen. Endlich, da ſie an einem Hauſe ei- „nen Zettel ſahe, daß Zimmer zu vermiethen „waͤren, ging ſie ein halb Dutzend mal ruͤck- und „vorwaͤrts, als wenn ſie ſich nicht entſchließen „koͤnnte, was ſie thun ſollte. Und hierauf ging „ſie weiter in die Stadt hinein. Weil hier den „guten Kerl einer von ſeinen vertrauten Freun- „den mit einem Schmatz aufhielte: ſo verlohr „er ſie auf eine kurze Zeit. Aber er ſahe ſie bald „aus einer Leinwandsbude mit einem Dienſt- „maͤgdchen, das ihr folgte, herauskommen: da ſie, „ſeinem Vermuthen nach, einige Kleinigkeiten „gekauft, und, wie der Erfolg zeigte, das Dienſt- „maͤgdchen genommen hatte, mit ihr zu dem Hau- „ſe zu gehen, wo ſie ſich itzo aufhaͤlt. (*) „Der (*) Siehe den XXI. Brief in dieſem Th.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/208
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/208>, abgerufen am 17.05.2024.