Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



kann ihn über dieses fast gar nicht los werden, wenn
er des Abends bey mir ist, und wir nur mittelmäs-
sig Freunde sind.

Um sieben Uhr kamen wir heute srüh in dem Spei-
se-Zimmer zusammen. Er schien zu erwarten, daß
ich ihn auf eine freundliche, oder wol gar auf eine
danckbare Weise empfangen sollte: und ich konnte
bald in seinem verstörten Gesichte lesen, daß er sich
in einer Hoffnung betrogen haben mußte.

Mein liebstes Kind, ist ihnen nicht wohl? - -
Warum sehen sie mich so überaus ernsthaft an?
Will ihre Kaltsinnigkeit sich noch nicht überwinden
lassen? Wenn ich irgend worin weniger versprochen
habe, als sie hoffeten - -

Jch sagte ihm: er habe mir wohlbedächtlich er-
laubet, daß ich der Fräulein Howe seinen Aufsatz
zuschicken dürfte, damit diese einige von ihren Freun-
den darüber um Rath fragen könnte. Jch würde näch-
stens Gelegenheit haben, ihr den Aufsatz zu über-
senden. Jch bäte demnach, daß wir nicht davon
reden möchten, bis ich Antwort von der Fräulein
Howe erhalten hätte.

Ach GOtt! (sagte er) wenn nur die geringste
Ausflucht, nur ein Vorwand zum Aufschub übrig
ist! - - Jch schreibe jetzt eben an meinen Onckle,
um ihm Nachricht zu geben, wie wir mit einander
stehen, und ich kann den Brief nicht so einrichten,
wie mein Onckle und ich es wünschen, wenn ich nicht
weiß, ob sie die zur Ehestiftung vorgeschlagene Be-
dingungen billigen.

Jch



kann ihn uͤber dieſes faſt gar nicht los werden, wenn
er des Abends bey mir iſt, und wir nur mittelmaͤſ-
ſig Freunde ſind.

Um ſieben Uhr kamen wir heute ſruͤh in dem Spei-
ſe-Zimmer zuſammen. Er ſchien zu erwarten, daß
ich ihn auf eine freundliche, oder wol gar auf eine
danckbare Weiſe empfangen ſollte: und ich konnte
bald in ſeinem verſtoͤrten Geſichte leſen, daß er ſich
in einer Hoffnung betrogen haben mußte.

Mein liebſtes Kind, iſt ihnen nicht wohl? ‒ ‒
Warum ſehen ſie mich ſo uͤberaus ernſthaft an?
Will ihre Kaltſinnigkeit ſich noch nicht uͤberwinden
laſſen? Wenn ich irgend worin weniger verſprochen
habe, als ſie hoffeten ‒ ‒

Jch ſagte ihm: er habe mir wohlbedaͤchtlich er-
laubet, daß ich der Fraͤulein Howe ſeinen Aufſatz
zuſchicken duͤrfte, damit dieſe einige von ihren Freun-
den daruͤber um Rath fragen koͤnnte. Jch wuͤrde naͤch-
ſtens Gelegenheit haben, ihr den Aufſatz zu uͤber-
ſenden. Jch baͤte demnach, daß wir nicht davon
reden moͤchten, bis ich Antwort von der Fraͤulein
Howe erhalten haͤtte.

Ach GOtt! (ſagte er) wenn nur die geringſte
Ausflucht, nur ein Vorwand zum Aufſchub uͤbrig
iſt! ‒ ‒ Jch ſchreibe jetzt eben an meinen Onckle,
um ihm Nachricht zu geben, wie wir mit einander
ſtehen, und ich kann den Brief nicht ſo einrichten,
wie mein Onckle und ich es wuͤnſchen, wenn ich nicht
weiß, ob ſie die zur Eheſtiftung vorgeſchlagene Be-
dingungen billigen.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0099" n="93"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
kann ihn u&#x0364;ber die&#x017F;es fa&#x017F;t gar nicht los werden, wenn<lb/>
er des Abends bey mir i&#x017F;t, und wir nur mittelma&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ig Freunde &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Um &#x017F;ieben Uhr kamen wir heute &#x017F;ru&#x0364;h in dem Spei-<lb/>
&#x017F;e-Zimmer zu&#x017F;ammen. Er &#x017F;chien zu erwarten, daß<lb/>
ich ihn auf eine freundliche, oder wol gar auf eine<lb/>
danckbare Wei&#x017F;e empfangen &#x017F;ollte: und ich konnte<lb/>
bald in &#x017F;einem ver&#x017F;to&#x0364;rten Ge&#x017F;ichte le&#x017F;en, daß er &#x017F;ich<lb/>
in einer Hoffnung betrogen haben mußte.</p><lb/>
          <p>Mein lieb&#x017F;tes Kind, i&#x017F;t ihnen nicht wohl? &#x2012; &#x2012;<lb/>
Warum &#x017F;ehen &#x017F;ie mich &#x017F;o u&#x0364;beraus ern&#x017F;thaft an?<lb/>
Will ihre Kalt&#x017F;innigkeit &#x017F;ich noch nicht u&#x0364;berwinden<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en? Wenn ich irgend worin weniger ver&#x017F;prochen<lb/>
habe, als &#x017F;ie hoffeten &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;agte ihm: er habe mir wohlbeda&#x0364;chtlich er-<lb/>
laubet, daß ich der Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Howe</hi> &#x017F;einen Auf&#x017F;atz<lb/>
zu&#x017F;chicken du&#x0364;rfte, damit die&#x017F;e einige von ihren Freun-<lb/>
den daru&#x0364;ber um Rath fragen ko&#x0364;nnte. Jch wu&#x0364;rde na&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;tens Gelegenheit haben, ihr den Auf&#x017F;atz zu u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;enden. Jch ba&#x0364;te demnach, daß wir nicht davon<lb/>
reden mo&#x0364;chten, bis ich Antwort von der Fra&#x0364;ulein<lb/><hi rendition="#fr">Howe</hi> erhalten ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Ach GOtt! (&#x017F;agte er) wenn nur die gering&#x017F;te<lb/>
Ausflucht, nur ein Vorwand zum Auf&#x017F;chub u&#x0364;brig<lb/>
i&#x017F;t! &#x2012; &#x2012; Jch &#x017F;chreibe jetzt eben an meinen Onckle,<lb/>
um ihm Nachricht zu geben, wie wir mit einander<lb/>
&#x017F;tehen, und ich kann den Brief nicht &#x017F;o einrichten,<lb/>
wie mein Onckle und ich es wu&#x0364;n&#x017F;chen, wenn ich nicht<lb/>
weiß, ob &#x017F;ie die zur Ehe&#x017F;tiftung vorge&#x017F;chlagene Be-<lb/>
dingungen billigen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0099] kann ihn uͤber dieſes faſt gar nicht los werden, wenn er des Abends bey mir iſt, und wir nur mittelmaͤſ- ſig Freunde ſind. Um ſieben Uhr kamen wir heute ſruͤh in dem Spei- ſe-Zimmer zuſammen. Er ſchien zu erwarten, daß ich ihn auf eine freundliche, oder wol gar auf eine danckbare Weiſe empfangen ſollte: und ich konnte bald in ſeinem verſtoͤrten Geſichte leſen, daß er ſich in einer Hoffnung betrogen haben mußte. Mein liebſtes Kind, iſt ihnen nicht wohl? ‒ ‒ Warum ſehen ſie mich ſo uͤberaus ernſthaft an? Will ihre Kaltſinnigkeit ſich noch nicht uͤberwinden laſſen? Wenn ich irgend worin weniger verſprochen habe, als ſie hoffeten ‒ ‒ Jch ſagte ihm: er habe mir wohlbedaͤchtlich er- laubet, daß ich der Fraͤulein Howe ſeinen Aufſatz zuſchicken duͤrfte, damit dieſe einige von ihren Freun- den daruͤber um Rath fragen koͤnnte. Jch wuͤrde naͤch- ſtens Gelegenheit haben, ihr den Aufſatz zu uͤber- ſenden. Jch baͤte demnach, daß wir nicht davon reden moͤchten, bis ich Antwort von der Fraͤulein Howe erhalten haͤtte. Ach GOtt! (ſagte er) wenn nur die geringſte Ausflucht, nur ein Vorwand zum Aufſchub uͤbrig iſt! ‒ ‒ Jch ſchreibe jetzt eben an meinen Onckle, um ihm Nachricht zu geben, wie wir mit einander ſtehen, und ich kann den Brief nicht ſo einrichten, wie mein Onckle und ich es wuͤnſchen, wenn ich nicht weiß, ob ſie die zur Eheſtiftung vorgeſchlagene Be- dingungen billigen. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/99
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/99>, abgerufen am 04.05.2024.