Er mag sich zwar auffuhren wie er will, so fürch- te ich mit Jhnen, daß ich in den Augen der Welt nicht unschuldiger, sondern tadelhafter werden würde, wenn ich mich endlich genöthiget fände, ihn zu ver- lassen. Allein so lange ich noch einiges Vermögen habe, mia zu helfen, will ich mich von ihm nicht demüthigen, oder mir niederträchtig begegnen lassen.
Sie geben mir Schuld, daß ich einige mahl aus Blödigkeit die Gelegenheit aus den Händen gelassen habe - - Was für eine Gelegenheit? Die Gelegen- heit die Frau eines Bösewichts zu werden. Wie groß dieses Glück sey, kann ich aus dem Briefe meines Vetters Mordens sehen. Jch muß Jh- nen hier ein für allemahl melden, nach was für Grund-Sätzen ich mich gegen diesen Menschen be- trage, und was ich für Ursachen zu meinem Betra- gen habe. Jch will mich selbst genau untersuchen, und Jhnen die reine Wahrheit schreiben.
Jch glaube nicht, daß ich blos nach Art unseres Geschlechtes blöde gegen ihn bin: ich habe auch nicht blos meine Absicht darauf gerichtet, was mein jetziges nothwendiges Uebel und mein künftiger Ge- mahl von mir denken möchte, wenn ich mich allzu wehlfeil verschenckte, da er sich so schlecht gegen mich aufgeführet hat: sondern ich folge hierinn meinen Einsichten, den geraden Trieben meines Her- tzens, und demjenigen, was dieses für Recht oder Unrecht, für geziemend oder ungeziemend erkennet. Jch handele so, wie ich es zuförderst vor mir selbst, und denn vor ihm und vor der Welt rechtfertigen kann. Es sind dieses Grund-Sätze, die tief in mein
Ge-
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Er mag ſich zwar auffuhren wie er will, ſo fuͤrch- te ich mit Jhnen, daß ich in den Augen der Welt nicht unſchuldiger, ſondern tadelhafter werden wuͤrde, wenn ich mich endlich genoͤthiget faͤnde, ihn zu ver- laſſen. Allein ſo lange ich noch einiges Vermoͤgen habe, mia zu helfen, will ich mich von ihm nicht demuͤthigen, oder mir niedertraͤchtig begegnen laſſen.
Sie geben mir Schuld, daß ich einige mahl aus Bloͤdigkeit die Gelegenheit aus den Haͤnden gelaſſen habe ‒ ‒ Was fuͤr eine Gelegenheit? Die Gelegen- heit die Frau eines Boͤſewichts zu werden. Wie groß dieſes Gluͤck ſey, kann ich aus dem Briefe meines Vetters Mordens ſehen. Jch muß Jh- nen hier ein fuͤr allemahl melden, nach was fuͤr Grund-Saͤtzen ich mich gegen dieſen Menſchen be- trage, und was ich fuͤr Urſachen zu meinem Betra- gen habe. Jch will mich ſelbſt genau unterſuchen, und Jhnen die reine Wahrheit ſchreiben.
Jch glaube nicht, daß ich blos nach Art unſeres Geſchlechtes bloͤde gegen ihn bin: ich habe auch nicht blos meine Abſicht darauf gerichtet, was mein jetziges nothwendiges Uebel und mein kuͤnftiger Ge- mahl von mir denken moͤchte, wenn ich mich allzu wehlfeil verſchenckte, da er ſich ſo ſchlecht gegen mich aufgefuͤhret hat: ſondern ich folge hierinn meinen Einſichten, den geraden Trieben meines Her- tzens, und demjenigen, was dieſes fuͤr Recht oder Unrecht, fuͤr geziemend oder ungeziemend erkennet. Jch handele ſo, wie ich es zufoͤrderſt vor mir ſelbſt, und denn vor ihm und vor der Welt rechtfertigen kann. Es ſind dieſes Grund-Saͤtze, die tief in mein
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Er mag ſich zwar auffuhren wie er will, ſo fuͤrch-
te ich mit Jhnen, daß ich in den Augen der Welt
nicht unſchuldiger, ſondern tadelhafter werden wuͤrde,
wenn ich mich endlich genoͤthiget faͤnde, ihn zu ver-
laſſen. Allein ſo lange ich noch einiges Vermoͤgen
habe, mia zu helfen, will ich mich von ihm nicht
demuͤthigen, oder mir niedertraͤchtig begegnen laſſen.
Sie geben mir Schuld, daß ich einige mahl aus
Bloͤdigkeit die Gelegenheit aus den Haͤnden gelaſſen
habe ‒ ‒ Was fuͤr eine Gelegenheit? Die Gelegen-
heit die Frau eines Boͤſewichts zu werden. Wie
groß dieſes Gluͤck ſey, kann ich aus dem Briefe
meines Vetters Mordens ſehen. Jch muß Jh-
nen hier ein fuͤr allemahl melden, nach was fuͤr
Grund-Saͤtzen ich mich gegen dieſen Menſchen be-
trage, und was ich fuͤr Urſachen zu meinem Betra-
gen habe. Jch will mich ſelbſt genau unterſuchen,
und Jhnen die reine Wahrheit ſchreiben.
Jch glaube nicht, daß ich blos nach Art unſeres
Geſchlechtes bloͤde gegen ihn bin: ich habe auch
nicht blos meine Abſicht darauf gerichtet, was mein
jetziges nothwendiges Uebel und mein kuͤnftiger Ge-
mahl von mir denken moͤchte, wenn ich mich allzu
wehlfeil verſchenckte, da er ſich ſo ſchlecht gegen mich
aufgefuͤhret hat: ſondern ich folge hierinn meinen
Einſichten, den geraden Trieben meines Her-
tzens, und demjenigen, was dieſes fuͤr Recht oder
Unrecht, fuͤr geziemend oder ungeziemend erkennet.
Jch handele ſo, wie ich es zufoͤrderſt vor mir ſelbſt,
und denn vor ihm und vor der Welt rechtfertigen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/91>, abgerufen am 16.02.2025.
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