Sie tadeln sich selbst und ihre Gesellschaft, wenn ihnen diese Begriffe strenge und übertrieben zu seyn scheinen. Es giebt tausend Frauenzimmer, die viel strenger sind als ich, und den Fehltritt nicht gethan haben würden, zu dem ich verleitet bin. Eben die- ser unglücklichen Verführung habe ich es zuzuschrei- ben, daß ich mich jetzt gezwungen sehe, einer Manns- Person den Begriff von Edelmüthigkeit beyzu- bringen, die nicht so artig ist, daß sie sich in das schicken könnte, was eigentlich bey einem Frauenzim- mer artig und wohlanständig ist, und dem Frauen- zimmer zur wahren Ehre gereichet.
Er nennete mich, seine himmlische Lehrmeisterin. Er versprach abermahls, daß er sich nach meinem Exempel bessern wollte. Allein er hoffte, daß ich ihm doch erlauben würde, mir zu sagen, wie gerecht und billig er in Entwerfung einer Ehestiftung seyn wollte: eine Sache, davon wir billig schon längstens geredet haben sollten, und davon er auch gewiß ge- redet haben würde, wenn ich ihm nicht durch meinen Unwillen so oft der Gelegenheit dazu beraubet hätte. Allein da er einmahl diese Gelegenheit ergriffen hatte, so wollte er sich durch nichts abhalten lassen, sie zu gebrauchen.
Jch bin jetzt nicht munter genug, Dinge von sol- cher Wichtigkeit zu überlegen. Schreiben sie das, was Sie sagen wollen, so werde ich überlegen, was ich zu antworten habe. Eine eintzige Bedin- gung will ich zum voraus vest setzen: wenn sie et- was berühren müssen, das meinen Vater mit ange- het, so werde ich aus ihrem Betragen gegen den
Va-
F 2
Sie tadeln ſich ſelbſt und ihre Geſellſchaft, wenn ihnen dieſe Begriffe ſtrenge und uͤbertrieben zu ſeyn ſcheinen. Es giebt tauſend Frauenzimmer, die viel ſtrenger ſind als ich, und den Fehltritt nicht gethan haben wuͤrden, zu dem ich verleitet bin. Eben die- ſer ungluͤcklichen Verfuͤhrung habe ich es zuzuſchrei- ben, daß ich mich jetzt gezwungen ſehe, einer Manns- Perſon den Begriff von Edelmuͤthigkeit beyzu- bringen, die nicht ſo artig iſt, daß ſie ſich in das ſchicken koͤnnte, was eigentlich bey einem Frauenzim- mer artig und wohlanſtaͤndig iſt, und dem Frauen- zimmer zur wahren Ehre gereichet.
Er nennete mich, ſeine himmliſche Lehrmeiſterin. Er verſprach abermahls, daß er ſich nach meinem Exempel beſſern wollte. Allein er hoffte, daß ich ihm doch erlauben wuͤrde, mir zu ſagen, wie gerecht und billig er in Entwerfung einer Eheſtiftung ſeyn wollte: eine Sache, davon wir billig ſchon laͤngſtens geredet haben ſollten, und davon er auch gewiß ge- redet haben wuͤrde, wenn ich ihm nicht durch meinen Unwillen ſo oft der Gelegenheit dazu beraubet haͤtte. Allein da er einmahl dieſe Gelegenheit ergriffen hatte, ſo wollte er ſich durch nichts abhalten laſſen, ſie zu gebrauchen.
Jch bin jetzt nicht munter genug, Dinge von ſol- cher Wichtigkeit zu uͤberlegen. Schreiben ſie das, was Sie ſagen wollen, ſo werde ich uͤberlegen, was ich zu antworten habe. Eine eintzige Bedin- gung will ich zum voraus veſt ſetzen: wenn ſie et- was beruͤhren muͤſſen, das meinen Vater mit ange- het, ſo werde ich aus ihrem Betragen gegen den
Va-
F 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0089"n="83"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Sie tadeln ſich ſelbſt und ihre Geſellſchaft, wenn<lb/>
ihnen dieſe Begriffe ſtrenge und uͤbertrieben zu ſeyn<lb/>ſcheinen. Es giebt tauſend Frauenzimmer, die viel<lb/>ſtrenger ſind als ich, und den Fehltritt nicht gethan<lb/>
haben wuͤrden, zu dem ich verleitet bin. Eben die-<lb/>ſer ungluͤcklichen Verfuͤhrung habe ich es zuzuſchrei-<lb/>
ben, daß ich mich jetzt gezwungen ſehe, einer Manns-<lb/>
Perſon den Begriff von <hirendition="#fr">Edelmuͤthigkeit</hi> beyzu-<lb/>
bringen, die nicht ſo artig iſt, daß ſie ſich in das<lb/>ſchicken koͤnnte, was eigentlich bey einem Frauenzim-<lb/>
mer artig und wohlanſtaͤndig iſt, und dem Frauen-<lb/>
zimmer zur wahren Ehre gereichet.</p><lb/><p>Er nennete mich, ſeine himmliſche Lehrmeiſterin.<lb/>
Er verſprach abermahls, daß er ſich nach meinem<lb/>
Exempel beſſern wollte. Allein er hoffte, daß ich<lb/>
ihm doch erlauben wuͤrde, mir zu ſagen, wie gerecht<lb/>
und billig er in Entwerfung einer Eheſtiftung ſeyn<lb/>
wollte: eine Sache, davon wir billig ſchon laͤngſtens<lb/>
geredet haben ſollten, und davon er auch gewiß ge-<lb/>
redet haben wuͤrde, wenn ich ihm nicht durch meinen<lb/>
Unwillen ſo oft der Gelegenheit dazu beraubet haͤtte.<lb/>
Allein da er einmahl dieſe Gelegenheit ergriffen hatte,<lb/>ſo wollte er ſich durch nichts abhalten laſſen, ſie zu<lb/>
gebrauchen.</p><lb/><p>Jch bin jetzt nicht munter genug, Dinge von ſol-<lb/>
cher Wichtigkeit zu uͤberlegen. Schreiben ſie das,<lb/>
was Sie ſagen wollen, ſo werde ich uͤberlegen,<lb/>
was ich zu antworten habe. Eine eintzige Bedin-<lb/>
gung will ich zum voraus veſt ſetzen: wenn ſie et-<lb/>
was beruͤhren muͤſſen, das meinen Vater mit ange-<lb/>
het, ſo werde ich aus ihrem Betragen gegen den<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Va-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[83/0089]
Sie tadeln ſich ſelbſt und ihre Geſellſchaft, wenn
ihnen dieſe Begriffe ſtrenge und uͤbertrieben zu ſeyn
ſcheinen. Es giebt tauſend Frauenzimmer, die viel
ſtrenger ſind als ich, und den Fehltritt nicht gethan
haben wuͤrden, zu dem ich verleitet bin. Eben die-
ſer ungluͤcklichen Verfuͤhrung habe ich es zuzuſchrei-
ben, daß ich mich jetzt gezwungen ſehe, einer Manns-
Perſon den Begriff von Edelmuͤthigkeit beyzu-
bringen, die nicht ſo artig iſt, daß ſie ſich in das
ſchicken koͤnnte, was eigentlich bey einem Frauenzim-
mer artig und wohlanſtaͤndig iſt, und dem Frauen-
zimmer zur wahren Ehre gereichet.
Er nennete mich, ſeine himmliſche Lehrmeiſterin.
Er verſprach abermahls, daß er ſich nach meinem
Exempel beſſern wollte. Allein er hoffte, daß ich
ihm doch erlauben wuͤrde, mir zu ſagen, wie gerecht
und billig er in Entwerfung einer Eheſtiftung ſeyn
wollte: eine Sache, davon wir billig ſchon laͤngſtens
geredet haben ſollten, und davon er auch gewiß ge-
redet haben wuͤrde, wenn ich ihm nicht durch meinen
Unwillen ſo oft der Gelegenheit dazu beraubet haͤtte.
Allein da er einmahl dieſe Gelegenheit ergriffen hatte,
ſo wollte er ſich durch nichts abhalten laſſen, ſie zu
gebrauchen.
Jch bin jetzt nicht munter genug, Dinge von ſol-
cher Wichtigkeit zu uͤberlegen. Schreiben ſie das,
was Sie ſagen wollen, ſo werde ich uͤberlegen,
was ich zu antworten habe. Eine eintzige Bedin-
gung will ich zum voraus veſt ſetzen: wenn ſie et-
was beruͤhren muͤſſen, das meinen Vater mit ange-
het, ſo werde ich aus ihrem Betragen gegen den
Va-
F 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/89>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.