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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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Absichten gegen mich, nicht allein gerecht sondern
auch edel wären; und ich selbst würde es sehen,
wenn ich das nur anhören wollte, was er von der
Ehestiftung zu sagen hätte.

Hätte er nicht ohne alle dieses Gepränge gleich
anfangen können von der Sache zu reden? Wie
oft wird etwas abgeschlagen, und muß abgeschlagen
werden, weil man erst um Erlaubniß bittet, davon
zu reden? Und wenn einmahl eine abschlägige Ant-
wort gegeben ist, so muß man Ehren-wegen da-
bey bleiben: dahingegen wird manches in Ueberle-
gung genommen und bewilliget, wenn man uns mit
der Bitte gleichsam überschleichet. Wenn Er das
nicht weiß, wer soll es denn wissen?

Ob ich gleich diese Rede nicht gantz abbrechen
wollte, so fand ich mich doch genöthiget, sie etwas
in das weite zu dehnen: damit ich eines Theils
nicht den Verdruß haben möchte, für allzu willig
angesehen zu werden; und andern Theils nicht nö-
thig hätte, ihm etwas so deutlich abzuschlagen, daß
wir von neuen darüber zerfallen könnten. Sie se-
hen also, daß ich Jhren Rath beobachtet habe.

Eine grausame und schwere Mittel-Strasse
zwischen zweyen Uebeln!

Jch sagte: sie reden jetzt von Edelmüthigkeit,
von Gerechtigkeit, ohne vielleicht die wahre Be-
deutung dieser Worte zu kennen oder zu bedencken.
Soll ich ihnen sagen, was edel heißt? Ein wahr-
haftig edles
Hertz zeiget sich nicht blos in Geld-
Sachen; es ist mehr als Höflichkeit; mehr als
Ehrlichkeit; mehr als Gerechtigkeit, dadurch

eine
Vierter Theil. F



Abſichten gegen mich, nicht allein gerecht ſondern
auch edel waͤren; und ich ſelbſt wuͤrde es ſehen,
wenn ich das nur anhoͤren wollte, was er von der
Eheſtiftung zu ſagen haͤtte.

Haͤtte er nicht ohne alle dieſes Gepraͤnge gleich
anfangen koͤnnen von der Sache zu reden? Wie
oft wird etwas abgeſchlagen, und muß abgeſchlagen
werden, weil man erſt um Erlaubniß bittet, davon
zu reden? Und wenn einmahl eine abſchlaͤgige Ant-
wort gegeben iſt, ſo muß man Ehren-wegen da-
bey bleiben: dahingegen wird manches in Ueberle-
gung genommen und bewilliget, wenn man uns mit
der Bitte gleichſam uͤberſchleichet. Wenn Er das
nicht weiß, wer ſoll es denn wiſſen?

Ob ich gleich dieſe Rede nicht gantz abbrechen
wollte, ſo fand ich mich doch genoͤthiget, ſie etwas
in das weite zu dehnen: damit ich eines Theils
nicht den Verdruß haben moͤchte, fuͤr allzu willig
angeſehen zu werden; und andern Theils nicht noͤ-
thig haͤtte, ihm etwas ſo deutlich abzuſchlagen, daß
wir von neuen daruͤber zerfallen koͤnnten. Sie ſe-
hen alſo, daß ich Jhren Rath beobachtet habe.

Eine grauſame und ſchwere Mittel-Straſſe
zwiſchen zweyen Uebeln!

Jch ſagte: ſie reden jetzt von Edelmuͤthigkeit,
von Gerechtigkeit, ohne vielleicht die wahre Be-
deutung dieſer Worte zu kennen oder zu bedencken.
Soll ich ihnen ſagen, was edel heißt? Ein wahr-
haftig edles
Hertz zeiget ſich nicht blos in Geld-
Sachen; es iſt mehr als Hoͤflichkeit; mehr als
Ehrlichkeit; mehr als Gerechtigkeit, dadurch

eine
Vierter Theil. F
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[81/0087] Abſichten gegen mich, nicht allein gerecht ſondern auch edel waͤren; und ich ſelbſt wuͤrde es ſehen, wenn ich das nur anhoͤren wollte, was er von der Eheſtiftung zu ſagen haͤtte. Haͤtte er nicht ohne alle dieſes Gepraͤnge gleich anfangen koͤnnen von der Sache zu reden? Wie oft wird etwas abgeſchlagen, und muß abgeſchlagen werden, weil man erſt um Erlaubniß bittet, davon zu reden? Und wenn einmahl eine abſchlaͤgige Ant- wort gegeben iſt, ſo muß man Ehren-wegen da- bey bleiben: dahingegen wird manches in Ueberle- gung genommen und bewilliget, wenn man uns mit der Bitte gleichſam uͤberſchleichet. Wenn Er das nicht weiß, wer ſoll es denn wiſſen? Ob ich gleich dieſe Rede nicht gantz abbrechen wollte, ſo fand ich mich doch genoͤthiget, ſie etwas in das weite zu dehnen: damit ich eines Theils nicht den Verdruß haben moͤchte, fuͤr allzu willig angeſehen zu werden; und andern Theils nicht noͤ- thig haͤtte, ihm etwas ſo deutlich abzuſchlagen, daß wir von neuen daruͤber zerfallen koͤnnten. Sie ſe- hen alſo, daß ich Jhren Rath beobachtet habe. Eine grauſame und ſchwere Mittel-Straſſe zwiſchen zweyen Uebeln! Jch ſagte: ſie reden jetzt von Edelmuͤthigkeit, von Gerechtigkeit, ohne vielleicht die wahre Be- deutung dieſer Worte zu kennen oder zu bedencken. Soll ich ihnen ſagen, was edel heißt? Ein wahr- haftig edles Hertz zeiget ſich nicht blos in Geld- Sachen; es iſt mehr als Hoͤflichkeit; mehr als Ehrlichkeit; mehr als Gerechtigkeit, dadurch eine Vierter Theil. F

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/87>, abgerufen am 04.05.2024.