Jch bin begierig, und ich fürchte mich zu erfahren, wie Sie es anfangen werden, weniger spröde gegen ihn zu thun, nachdem Sie bisher so hart gegen ihn gewesen sind, und wie sich sein Hochmuth bey dieser Gelegenheit an Jhnen rächen wird. Allein das muß ich Jhnen sagen: wenn ich durch eine Reise nach London Jhnen den Verdruß ersparen kann, sich so tief her- unter zu lassen, oder wenn ich gar dadurch grösserem Unglück vorbeugen kann, so würde ich mich nicht ei- nen Augenblick bedencken. Was frage ich nach der gantzen Welt, wenn ich sie gegen unsere Freund- schaft auf die Wage-Schaale lege? Können Sie glauben, daß mir einiges Vergnügen dieses Lebens angenehm seyn würde, wenn ich wüßte, daß ich durch dessen Aufopferung das Unglück einer solchen Freundinn, als Sie sind, hätte abwenden oder erleich- tern können? Jch biete Jhnen weiter nichts an, als die billigsten Früchte der Freundschaft, zu wel- cher ich durch Jhren Werth bewogen bin. Ent- schuldigen Sie dasjenige, was in meinen Ausdrücken also hitzig seyn könnte: mein Hertz aber braucht kei- ner Entschuldigung, wenn es in seiner Freundschaft hitzig ist. Jch möchte vor Verdruß über Jhre An- verwanten von Sinnen kommen. So viel schlim- mes ich Jhnen schon gemeldet habe, so behalte ich doch das schlimmste noch für mich, und werde es ver- muthlich ewig für mich behalten. Jch ärgere mich über den kleinen Geist meiner Mutter, und daß sie bey ihren alten Gedancken ohne weitere Ueberlegung immer bleibet. Gegen Jhren albernen und nieder-
träch-
Jch bin begierig, und ich fuͤrchte mich zu erfahren, wie Sie es anfangen werden, weniger ſproͤde gegen ihn zu thun, nachdem Sie bisher ſo hart gegen ihn geweſen ſind, und wie ſich ſein Hochmuth bey dieſer Gelegenheit an Jhnen raͤchen wird. Allein das muß ich Jhnen ſagen: wenn ich durch eine Reiſe nach London Jhnen den Verdruß erſparen kann, ſich ſo tief her- unter zu laſſen, oder wenn ich gar dadurch groͤſſerem Ungluͤck vorbeugen kann, ſo wuͤrde ich mich nicht ei- nen Augenblick bedencken. Was frage ich nach der gantzen Welt, wenn ich ſie gegen unſere Freund- ſchaft auf die Wage-Schaale lege? Koͤnnen Sie glauben, daß mir einiges Vergnuͤgen dieſes Lebens angenehm ſeyn wuͤrde, wenn ich wuͤßte, daß ich durch deſſen Aufopferung das Ungluͤck einer ſolchen Freundinn, als Sie ſind, haͤtte abwenden oder erleich- tern koͤnnen? Jch biete Jhnen weiter nichts an, als die billigſten Fruͤchte der Freundſchaft, zu wel- cher ich durch Jhren Werth bewogen bin. Ent- ſchuldigen Sie dasjenige, was in meinen Ausdruͤcken alſo hitzig ſeyn koͤnnte: mein Hertz aber braucht kei- ner Entſchuldigung, wenn es in ſeiner Freundſchaft hitzig iſt. Jch moͤchte vor Verdruß uͤber Jhre An- verwanten von Sinnen kommen. So viel ſchlim- mes ich Jhnen ſchon gemeldet habe, ſo behalte ich doch das ſchlimmſte noch fuͤr mich, und werde es ver- muthlich ewig fuͤr mich behalten. Jch aͤrgere mich uͤber den kleinen Geiſt meiner Mutter, und daß ſie bey ihren alten Gedancken ohne weitere Ueberlegung immer bleibet. Gegen Jhren albernen und nieder-
traͤch-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0066"n="60"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jch bin begierig, und ich fuͤrchte mich zu erfahren,<lb/>
wie Sie es anfangen werden, weniger ſproͤde gegen ihn<lb/>
zu thun, nachdem Sie bisher ſo hart gegen ihn geweſen<lb/>ſind, und wie ſich ſein Hochmuth bey dieſer Gelegenheit<lb/>
an Jhnen raͤchen wird. Allein das muß ich Jhnen<lb/>ſagen: wenn ich durch eine Reiſe nach <hirendition="#fr">London</hi><lb/>
Jhnen den Verdruß erſparen kann, ſich ſo tief her-<lb/>
unter zu laſſen, oder wenn ich gar dadurch groͤſſerem<lb/>
Ungluͤck vorbeugen kann, ſo wuͤrde ich mich nicht ei-<lb/>
nen Augenblick bedencken. Was frage ich nach<lb/>
der gantzen Welt, wenn ich ſie gegen unſere Freund-<lb/>ſchaft auf die Wage-Schaale lege? Koͤnnen Sie<lb/>
glauben, daß mir einiges Vergnuͤgen dieſes Lebens<lb/>
angenehm ſeyn wuͤrde, wenn ich wuͤßte, daß ich<lb/>
durch deſſen Aufopferung das Ungluͤck einer ſolchen<lb/>
Freundinn, als Sie ſind, haͤtte abwenden oder erleich-<lb/>
tern koͤnnen? Jch biete Jhnen weiter nichts an,<lb/>
als die billigſten Fruͤchte der Freundſchaft, zu wel-<lb/>
cher ich durch Jhren Werth bewogen bin. Ent-<lb/>ſchuldigen Sie dasjenige, was in meinen Ausdruͤcken<lb/>
alſo hitzig ſeyn koͤnnte: mein Hertz aber braucht kei-<lb/>
ner Entſchuldigung, wenn es in ſeiner Freundſchaft<lb/>
hitzig iſt. Jch moͤchte vor Verdruß uͤber Jhre An-<lb/>
verwanten von Sinnen kommen. So viel ſchlim-<lb/>
mes ich Jhnen ſchon gemeldet habe, ſo behalte ich<lb/>
doch das ſchlimmſte noch fuͤr mich, und werde es ver-<lb/>
muthlich ewig fuͤr mich behalten. Jch aͤrgere mich<lb/>
uͤber den kleinen Geiſt meiner Mutter, und daß ſie<lb/>
bey ihren alten Gedancken ohne weitere Ueberlegung<lb/>
immer bleibet. Gegen Jhren albernen und nieder-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">traͤch-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[60/0066]
Jch bin begierig, und ich fuͤrchte mich zu erfahren,
wie Sie es anfangen werden, weniger ſproͤde gegen ihn
zu thun, nachdem Sie bisher ſo hart gegen ihn geweſen
ſind, und wie ſich ſein Hochmuth bey dieſer Gelegenheit
an Jhnen raͤchen wird. Allein das muß ich Jhnen
ſagen: wenn ich durch eine Reiſe nach London
Jhnen den Verdruß erſparen kann, ſich ſo tief her-
unter zu laſſen, oder wenn ich gar dadurch groͤſſerem
Ungluͤck vorbeugen kann, ſo wuͤrde ich mich nicht ei-
nen Augenblick bedencken. Was frage ich nach
der gantzen Welt, wenn ich ſie gegen unſere Freund-
ſchaft auf die Wage-Schaale lege? Koͤnnen Sie
glauben, daß mir einiges Vergnuͤgen dieſes Lebens
angenehm ſeyn wuͤrde, wenn ich wuͤßte, daß ich
durch deſſen Aufopferung das Ungluͤck einer ſolchen
Freundinn, als Sie ſind, haͤtte abwenden oder erleich-
tern koͤnnen? Jch biete Jhnen weiter nichts an,
als die billigſten Fruͤchte der Freundſchaft, zu wel-
cher ich durch Jhren Werth bewogen bin. Ent-
ſchuldigen Sie dasjenige, was in meinen Ausdruͤcken
alſo hitzig ſeyn koͤnnte: mein Hertz aber braucht kei-
ner Entſchuldigung, wenn es in ſeiner Freundſchaft
hitzig iſt. Jch moͤchte vor Verdruß uͤber Jhre An-
verwanten von Sinnen kommen. So viel ſchlim-
mes ich Jhnen ſchon gemeldet habe, ſo behalte ich
doch das ſchlimmſte noch fuͤr mich, und werde es ver-
muthlich ewig fuͤr mich behalten. Jch aͤrgere mich
uͤber den kleinen Geiſt meiner Mutter, und daß ſie
bey ihren alten Gedancken ohne weitere Ueberlegung
immer bleibet. Gegen Jhren albernen und nieder-
traͤch-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/66>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.