Sie antwortete sehr ernsthaft: sie hoffete, daß die Betrachtung ihrer Pflicht, und die Erkenntniß der vielen unverdienten göttlichen Wohlthaten sie nicht würde undanckbar gegen den Geber aller gu- ten Gaben werden lassen! und wo ein danckbares Gemüthe wäre, da wäre auch ein fröliches Hertz.
Sie erwartet demnach alles zukünftige Ver- gnügen und Ruhe ihres Lebens blos von dem un- sichtbaren Gott. Sie hat Recht: denn diejeni- gen werden sich am wenigsten in ihrer Hoffnung betrogen sehen, die das Gute von den Mittel-Ur- sachen nicht erwarten. Bin ich nicht eben so fromm und ernsthaft, als sie?
Sie hatte kaum ausgeredet, so kam Dorcas wieder lärmend herauf gelaufen. Mir selbst fing das Hertz an zu schlagen, wie die Unruhe in der Uhr. Meines Kindes Hertz pochete, wie ich an den Brüsten sehen konnte, die bis an den Kinn schwollen.
Meine Geliebte machte die richtige Anmer- ckung: gemeine Leute hätten immer auf eine dum- me Art mit dem Wunderbaren zu thun: und sie könnten die gemeinesten Zufälle des Lebens so vor- stellen, daß man sich darüber erschrecken müßte.
Was der Teufel (sagte ich zu der Hexe) soll das Lärmen? Was sperret ihr die Finger von ein- ander? O gnädiger Herr! O gnädige Frau! Was für ein albernes Schreien. Verfluchtes Mädchen! Würdet ihr eine halbe Minute später gekommen seyn, wenn ihr ordentlich gegangen wäret?
Ja,
Sie antwortete ſehr ernſthaft: ſie hoffete, daß die Betrachtung ihrer Pflicht, und die Erkenntniß der vielen unverdienten goͤttlichen Wohlthaten ſie nicht wuͤrde undanckbar gegen den Geber aller gu- ten Gaben werden laſſen! und wo ein danckbares Gemuͤthe waͤre, da waͤre auch ein froͤliches Hertz.
Sie erwartet demnach alles zukuͤnftige Ver- gnuͤgen und Ruhe ihres Lebens blos von dem un- ſichtbaren Gott. Sie hat Recht: denn diejeni- gen werden ſich am wenigſten in ihrer Hoffnung betrogen ſehen, die das Gute von den Mittel-Ur- ſachen nicht erwarten. Bin ich nicht eben ſo fromm und ernſthaft, als ſie?
Sie hatte kaum ausgeredet, ſo kam Dorcas wieder laͤrmend herauf gelaufen. Mir ſelbſt fing das Hertz an zu ſchlagen, wie die Unruhe in der Uhr. Meines Kindes Hertz pochete, wie ich an den Bruͤſten ſehen konnte, die bis an den Kinn ſchwollen.
Meine Geliebte machte die richtige Anmer- ckung: gemeine Leute haͤtten immer auf eine dum- me Art mit dem Wunderbaren zu thun: und ſie koͤnnten die gemeineſten Zufaͤlle des Lebens ſo vor- ſtellen, daß man ſich daruͤber erſchrecken muͤßte.
Was der Teufel (ſagte ich zu der Hexe) ſoll das Laͤrmen? Was ſperret ihr die Finger von ein- ander? O gnaͤdiger Herr! O gnaͤdige Frau! Was fuͤr ein albernes Schreien. Verfluchtes Maͤdchen! Wuͤrdet ihr eine halbe Minute ſpaͤter gekommen ſeyn, wenn ihr ordentlich gegangen waͤret?
Ja,
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Sie antwortete ſehr ernſthaft: ſie hoffete, daß
die Betrachtung ihrer Pflicht, und die Erkenntniß
der vielen unverdienten goͤttlichen Wohlthaten ſie
nicht wuͤrde undanckbar gegen den Geber aller gu-
ten Gaben werden laſſen! und wo ein danckbares
Gemuͤthe waͤre, da waͤre auch ein froͤliches Hertz.
Sie erwartet demnach alles zukuͤnftige Ver-
gnuͤgen und Ruhe ihres Lebens blos von dem un-
ſichtbaren Gott. Sie hat Recht: denn diejeni-
gen werden ſich am wenigſten in ihrer Hoffnung
betrogen ſehen, die das Gute von den Mittel-Ur-
ſachen nicht erwarten. Bin ich nicht eben ſo fromm
und ernſthaft, als ſie?
Sie hatte kaum ausgeredet, ſo kam Dorcas
wieder laͤrmend herauf gelaufen. Mir ſelbſt fing
das Hertz an zu ſchlagen, wie die Unruhe in der
Uhr. Meines Kindes Hertz pochete, wie ich an
den Bruͤſten ſehen konnte, die bis an den Kinn
ſchwollen.
Meine Geliebte machte die richtige Anmer-
ckung: gemeine Leute haͤtten immer auf eine dum-
me Art mit dem Wunderbaren zu thun: und ſie
koͤnnten die gemeineſten Zufaͤlle des Lebens ſo vor-
ſtellen, daß man ſich daruͤber erſchrecken muͤßte.
Was der Teufel (ſagte ich zu der Hexe) ſoll
das Laͤrmen? Was ſperret ihr die Finger von ein-
ander? O gnaͤdiger Herr! O gnaͤdige Frau! Was
fuͤr ein albernes Schreien. Verfluchtes Maͤdchen!
Wuͤrdet ihr eine halbe Minute ſpaͤter gekommen
ſeyn, wenn ihr ordentlich gegangen waͤret?
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/344>, abgerufen am 23.11.2024.
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