Jm' geringsten nichts! (sagte er) aber es ist Jammer-Schade - -
Ein jämmerlicher Kerl! Was ist das für ein närrisches Mittleiden eingeschränckter Geister, die kein Huhn abschlachten können, und doch hundert abgeschlachtete Hüner gierig fressen!
Der Brief erzählet, daß eine Magd der Frau Fretchville die Pocken bekommen habe. Sie hat ihre Herrschaft angesteckt. Leute, bey denen die Einbildung starck ist, werden auch leicht kranck: man darf die Kranckheit nur nennen, so haben sie sie schon an dem Halse. Bey ihnen schlägt das Jnoculiren gewiß an. Sie sind die melcken- den Kühe der gesundmachenden Zunft. Ein hy- pokondrischer Krancker, voller Grillen und Ein- bildung, ist die Fiddel auf der der Doctor unauf- hörlich spielen kann; und er spielt gewiß gern. Wenn kein ausserordentliches Unglück dazwischen kommt, und die Furcht nicht zur wircklichen Kranckheit wird, (wie es der armen Frau Fretch- ville gegangen ist) so haben sie weiter keine Noth, als daß sie sich Mühe geben das Lachen zu lassen, wenn der Krancke sein eigener Ankläger wird. So bald sie seine Klage gehöret haben, können sie zur Strafe schreiten: denn Strafe ist der rechte Nahme, damit man das fremdlautende Wort, Recept, verdeutschen kann. Was hält die Strafe auf! Der Schuldige hat ja bekannt! Jhre Stra- fe ist gemeiniglich rachgierig.
Es fällt mir aber eben bey: die Kerls sind dumm! Da ihre Quacksalberey nicht nutzen soll,
so
Jm' geringſten nichts! (ſagte er) aber es iſt Jammer-Schade ‒ ‒
Ein jaͤmmerlicher Kerl! Was iſt das fuͤr ein naͤrriſches Mittleiden eingeſchraͤnckter Geiſter, die kein Huhn abſchlachten koͤnnen, und doch hundert abgeſchlachtete Huͤner gierig freſſen!
Der Brief erzaͤhlet, daß eine Magd der Frau Fretchville die Pocken bekommen habe. Sie hat ihre Herrſchaft angeſteckt. Leute, bey denen die Einbildung ſtarck iſt, werden auch leicht kranck: man darf die Kranckheit nur nennen, ſo haben ſie ſie ſchon an dem Halſe. Bey ihnen ſchlaͤgt das Jnoculiren gewiß an. Sie ſind die melcken- den Kuͤhe der geſundmachenden Zunft. Ein hy- pokondriſcher Krancker, voller Grillen und Ein- bildung, iſt die Fiddel auf der der Doctor unauf- hoͤrlich ſpielen kann; und er ſpielt gewiß gern. Wenn kein auſſerordentliches Ungluͤck dazwiſchen kommt, und die Furcht nicht zur wircklichen Kranckheit wird, (wie es der armen Frau Fretch- ville gegangen iſt) ſo haben ſie weiter keine Noth, als daß ſie ſich Muͤhe geben das Lachen zu laſſen, wenn der Krancke ſein eigener Anklaͤger wird. So bald ſie ſeine Klage gehoͤret haben, koͤnnen ſie zur Strafe ſchreiten: denn Strafe iſt der rechte Nahme, damit man das fremdlautende Wort, Recept, verdeutſchen kann. Was haͤlt die Strafe auf! Der Schuldige hat ja bekannt! Jhre Stra- fe iſt gemeiniglich rachgierig.
Es faͤllt mir aber eben bey: die Kerls ſind dumm! Da ihre Quackſalberey nicht nutzen ſoll,
ſo
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Jm' geringſten nichts! (ſagte er) aber es iſt
Jammer-Schade ‒ ‒
Ein jaͤmmerlicher Kerl! Was iſt das fuͤr ein
naͤrriſches Mittleiden eingeſchraͤnckter Geiſter, die
kein Huhn abſchlachten koͤnnen, und doch hundert
abgeſchlachtete Huͤner gierig freſſen!
Der Brief erzaͤhlet, daß eine Magd der Frau
Fretchville die Pocken bekommen habe. Sie
hat ihre Herrſchaft angeſteckt. Leute, bey denen
die Einbildung ſtarck iſt, werden auch leicht kranck:
man darf die Kranckheit nur nennen, ſo haben ſie
ſie ſchon an dem Halſe. Bey ihnen ſchlaͤgt das
Jnoculiren gewiß an. Sie ſind die melcken-
den Kuͤhe der geſundmachenden Zunft. Ein hy-
pokondriſcher Krancker, voller Grillen und Ein-
bildung, iſt die Fiddel auf der der Doctor unauf-
hoͤrlich ſpielen kann; und er ſpielt gewiß gern.
Wenn kein auſſerordentliches Ungluͤck dazwiſchen
kommt, und die Furcht nicht zur wircklichen
Kranckheit wird, (wie es der armen Frau Fretch-
ville gegangen iſt) ſo haben ſie weiter keine Noth,
als daß ſie ſich Muͤhe geben das Lachen zu laſſen,
wenn der Krancke ſein eigener Anklaͤger wird.
So bald ſie ſeine Klage gehoͤret haben, koͤnnen ſie
zur Strafe ſchreiten: denn Strafe iſt der rechte
Nahme, damit man das fremdlautende Wort,
Recept, verdeutſchen kann. Was haͤlt die Strafe
auf! Der Schuldige hat ja bekannt! Jhre Stra-
fe iſt gemeiniglich rachgierig.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/277>, abgerufen am 22.11.2024.
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