Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



meine Seele über dich ist. Wie armseelig
kam ich mir selbst vor, als sie dieses sagte? Mir
fiel ihr Vorzug vor mir in die Augen, so hochmü-
thig ich auch bin! Wie werde ich unten, (bey
meiner Seele, unten) gegen sie getrieben!

Es ist auch armseelig, wenn ich mich für eine
bloße Maschine halte. Jck bin keine Maschine!
du thust dir Unrecht, Lovelace, wenn dir der Ge-
dancke nur einfället, daß du eine Maschine seyst!

Da ich einmahl so weit gegangen bin, so wür-
de es mein Unglück seyn, wenn ich mir künftig in
meinem verheyratheten Stande, so oft ich gegen
mich leichtfertig wäre, den Vorwurf machen könn-
te, daß ich sie nicht auf alle mögliche Proben ge-
stellet hätte. Jch weiß nicht wie es zugehet, so
bald ich dieser Schönen nahe komme, so werde ich
auch halb tugendhaft. Jch will jetzt an den Sieg
nicht gedencken, den sie an dem verwichenen Sonn-
tags-Abend über mich erhalten hat. Jch habe
mir noch außer dem ein Paar mahl vorgenom-
men, einige Freyheit zu versuchen, die ich nachher
dem Verdrusse Schuld geben könnte, dazu sie
mich gereitzet hat. Allein ich empfand Schau-
der und Ehrfurcht, so bald ich sie sahe, und ihre
in die Augen fallende Reinigkeit dämpfte zuerst
meine doppelte Flamme, und löschte sie zuletzt völ-
lig aus.

Was für eine ausserordentliche Gewalt ist das!
Sie befindet sich nun so lange in meiner Macht:
und ich werde von meiner Liebe und von den

Frauens-



meine Seele uͤber dich iſt. Wie armſeelig
kam ich mir ſelbſt vor, als ſie dieſes ſagte? Mir
fiel ihr Vorzug vor mir in die Augen, ſo hochmuͤ-
thig ich auch bin! Wie werde ich unten, (bey
meiner Seele, unten) gegen ſie getrieben!

Es iſt auch armſeelig, wenn ich mich fuͤr eine
bloße Maſchine halte. Jck bin keine Maſchine!
du thuſt dir Unrecht, Lovelace, wenn dir der Ge-
dancke nur einfaͤllet, daß du eine Maſchine ſeyſt!

Da ich einmahl ſo weit gegangen bin, ſo wuͤr-
de es mein Ungluͤck ſeyn, wenn ich mir kuͤnftig in
meinem verheyratheten Stande, ſo oft ich gegen
mich leichtfertig waͤre, den Vorwurf machen koͤnn-
te, daß ich ſie nicht auf alle moͤgliche Proben ge-
ſtellet haͤtte. Jch weiß nicht wie es zugehet, ſo
bald ich dieſer Schoͤnen nahe komme, ſo werde ich
auch halb tugendhaft. Jch will jetzt an den Sieg
nicht gedencken, den ſie an dem verwichenen Sonn-
tags-Abend uͤber mich erhalten hat. Jch habe
mir noch außer dem ein Paar mahl vorgenom-
men, einige Freyheit zu verſuchen, die ich nachher
dem Verdruſſe Schuld geben koͤnnte, dazu ſie
mich gereitzet hat. Allein ich empfand Schau-
der und Ehrfurcht, ſo bald ich ſie ſahe, und ihre
in die Augen fallende Reinigkeit daͤmpfte zuerſt
meine doppelte Flamme, und loͤſchte ſie zuletzt voͤl-
lig aus.

Was fuͤr eine auſſerordentliche Gewalt iſt das!
Sie befindet ſich nun ſo lange in meiner Macht:
und ich werde von meiner Liebe und von den

Frauens-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0274" n="268"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><hi rendition="#fr">meine Seele u&#x0364;ber dich i&#x017F;t.</hi> Wie arm&#x017F;eelig<lb/>
kam ich mir &#x017F;elb&#x017F;t vor, als &#x017F;ie die&#x017F;es &#x017F;agte? Mir<lb/>
fiel ihr Vorzug vor mir in die Augen, &#x017F;o hochmu&#x0364;-<lb/>
thig ich auch bin! Wie werde ich unten, (bey<lb/>
meiner Seele, <hi rendition="#fr">unten</hi>) gegen &#x017F;ie getrieben!</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t auch arm&#x017F;eelig, wenn ich mich fu&#x0364;r eine<lb/>
bloße Ma&#x017F;chine halte. Jck bin keine Ma&#x017F;chine!<lb/>
du thu&#x017F;t dir Unrecht, <hi rendition="#fr">Lovelace,</hi> wenn dir der Ge-<lb/>
dancke nur einfa&#x0364;llet, daß du eine Ma&#x017F;chine &#x017F;ey&#x017F;t!</p><lb/>
          <p>Da ich einmahl &#x017F;o weit gegangen bin, &#x017F;o wu&#x0364;r-<lb/>
de es mein Unglu&#x0364;ck &#x017F;eyn, wenn ich mir ku&#x0364;nftig in<lb/>
meinem verheyratheten Stande, &#x017F;o oft ich gegen<lb/>
mich leichtfertig wa&#x0364;re, den Vorwurf machen ko&#x0364;nn-<lb/>
te, daß ich &#x017F;ie nicht auf alle mo&#x0364;gliche Proben ge-<lb/>
&#x017F;tellet ha&#x0364;tte. Jch weiß nicht wie es zugehet, &#x017F;o<lb/>
bald ich die&#x017F;er Scho&#x0364;nen nahe komme, &#x017F;o werde ich<lb/>
auch halb tugendhaft. Jch will jetzt an den Sieg<lb/>
nicht gedencken, den &#x017F;ie an dem verwichenen Sonn-<lb/>
tags-Abend u&#x0364;ber mich erhalten hat. Jch habe<lb/>
mir noch außer dem ein Paar mahl vorgenom-<lb/>
men, einige Freyheit zu ver&#x017F;uchen, die ich nachher<lb/>
dem Verdru&#x017F;&#x017F;e Schuld geben ko&#x0364;nnte, dazu &#x017F;ie<lb/>
mich gereitzet hat. Allein ich empfand Schau-<lb/>
der und Ehrfurcht, &#x017F;o bald ich &#x017F;ie &#x017F;ahe, und ihre<lb/>
in die Augen fallende Reinigkeit da&#x0364;mpfte zuer&#x017F;t<lb/>
meine doppelte Flamme, und lo&#x0364;&#x017F;chte &#x017F;ie zuletzt vo&#x0364;l-<lb/>
lig aus.</p><lb/>
          <p>Was fu&#x0364;r eine au&#x017F;&#x017F;erordentliche Gewalt i&#x017F;t das!<lb/>
Sie befindet &#x017F;ich nun &#x017F;o lange in meiner Macht:<lb/>
und ich werde von meiner Liebe und von den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Frauens-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0274] meine Seele uͤber dich iſt. Wie armſeelig kam ich mir ſelbſt vor, als ſie dieſes ſagte? Mir fiel ihr Vorzug vor mir in die Augen, ſo hochmuͤ- thig ich auch bin! Wie werde ich unten, (bey meiner Seele, unten) gegen ſie getrieben! Es iſt auch armſeelig, wenn ich mich fuͤr eine bloße Maſchine halte. Jck bin keine Maſchine! du thuſt dir Unrecht, Lovelace, wenn dir der Ge- dancke nur einfaͤllet, daß du eine Maſchine ſeyſt! Da ich einmahl ſo weit gegangen bin, ſo wuͤr- de es mein Ungluͤck ſeyn, wenn ich mir kuͤnftig in meinem verheyratheten Stande, ſo oft ich gegen mich leichtfertig waͤre, den Vorwurf machen koͤnn- te, daß ich ſie nicht auf alle moͤgliche Proben ge- ſtellet haͤtte. Jch weiß nicht wie es zugehet, ſo bald ich dieſer Schoͤnen nahe komme, ſo werde ich auch halb tugendhaft. Jch will jetzt an den Sieg nicht gedencken, den ſie an dem verwichenen Sonn- tags-Abend uͤber mich erhalten hat. Jch habe mir noch außer dem ein Paar mahl vorgenom- men, einige Freyheit zu verſuchen, die ich nachher dem Verdruſſe Schuld geben koͤnnte, dazu ſie mich gereitzet hat. Allein ich empfand Schau- der und Ehrfurcht, ſo bald ich ſie ſahe, und ihre in die Augen fallende Reinigkeit daͤmpfte zuerſt meine doppelte Flamme, und loͤſchte ſie zuletzt voͤl- lig aus. Was fuͤr eine auſſerordentliche Gewalt iſt das! Sie befindet ſich nun ſo lange in meiner Macht: und ich werde von meiner Liebe und von den Frauens-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/274
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/274>, abgerufen am 18.05.2024.